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08.03.08 / Alle Indizien weisen auf Mord / Mit Jan Masaryk starb die tschechoslowakische Halb-Demokratie – Ursachen und Folgen des Prager Putsches von 1948

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-08 vom 08. März 2008

Alle Indizien weisen auf Mord
Mit Jan Masaryk starb die tschechoslowakische Halb-Demokratie – Ursachen und Folgen des Prager Putsches von 1948
von Wolf Oschlies

Tschechen haben eine mystische Furcht vor Jahreszahlen mit der Acht am Ende. Mit Blick auf ihre jüngere Geschichte wird das verständlich: 1938 Münchner Abkommen, 1948 Putsch der Stalinisten in Prag, 1968 Überfall des Warschauer Pakts auf die (damalige) Tschechoslowakei und weitere Unglücke davor und danach. Das folgenschwerste war der Putsch vor 60 Jahren, der am 13. Februar 1948 mit einer Regierungskrise begann, am 25. Februar in der Machtübernahme der Stalinisten kulminierte und zwei Wochen später mit einem mysteriösen Todesfall endete.

Am frühen Morgen des 10. März 1948 fanden Angestellte im Hof des Cerni-Palais, dem Sitz des tschechoslowakischen Außenministeriums, den Leichnam des Ministers Jan Masaryk. Nur eine halbe Stunde durften Kriminalpolizisten Spuren sichern, dann übernahm die Staatssicherheit die Regie, um sofort zu verkünden, es sei Selbstmord gewesen. Mehrere offizielle Untersuchungen, die letzte im Jahre 2002, mühten sich vergeblich, diese Version zu bestätigen.

Die Kriminalisten hätten Volkes Stimme hören sollen, die von Anfang von Mord raunte. Dafür sprachen alle Indizien: Masaryk war aus dem Badezimmer seiner Wohnung im zweiten Stock gestürzt, im Zimmer fanden sich Kotspuren, die von Todesangst kündeten, der Tote war in einen Schlafanzug gekleidet, dem aufgebahrten Masaryk legte man ein Veilchensträußchen hinter das rechte Ohr, um ein Einschußloch zu verdecken und weitere Beweise, daß der Außenminister keine Hand an sich gelegt hatte. Wer hatte ihn getötet? 2002 spürte das Tschechische Fernsehen eine Ex-Mitarbeiterin des sowjetischen Geheimdienstes auf, die in die Kamera erklärte: „Wir haben nach Kriegsende in der Tschechoslowakei nur einen Erfolg gehabt, als wir den Außenminister aus dem Fenster schmissen.“ Als tschechische Kriminalisten die Dame vernehmen wollten, war diese leider „verstorben“, und die Archive mit sowjetischen Dokumenten, die Aufschluß geben könnten, bleiben noch lange verschlossen.

Jan Masaryk wurde am 14. September 1886 in Prag als Sohn des (späteren) Staatsgründers Tomás Masaryk (1850–1937) geboren. Nach Gründung der Tschechoslowakei trat er in den diplomatischen Dienst ein und war in den Jahren 1925 bis 1938 Botschafter in London, von 1939 bis Kriegsende Außenminister in der Londoner Exilregierung unter Präsident Benesch. Mit diesem kehrte er im Mai 1945 in die restituierte Tschechoslowakei zurück, in der die Kommunisten bereits den Weg zum Satelliten Stalins vorzeichneten. In der Slowakei agierten sie ab Ende 1944 unter den Flügeln der vorrückenden Sowjetarmee – in Prag inszenierten sie einen eiligen „Aufstand“, der die Westalliierten von der Hauptstadt fern hielt, bis diese von den Sowjets „befreit“ wurde. In dem Parteienverband „Nationale Front“ und in den neuen Machtorganen „Nationalkomitees“ spielten Kommunisten die Hauptrolle, sie dirigierten die beiden politischen Hauptaufgaben, „Nationalisierungen“ bei Tschechen und Slowaken und „Abschiebung“ von über drei Millionen Deutschen. Ihren Moskauer Auftraggebern genügte das nicht: Die tschechoslowakische „Halbdemokratie“ sollte stalinistische „Volksdemokratie“ werden.

Die Wahlen vom 26. Mai 1946 machten die Kommunistische Partei (KPC) mit 38 Prozent zwar zur stärksten Partei, aber in der Slowakei besiegten die Demokraten sie vernichtend, in Böhmen und Mähren bildeten Volkssozialisten, Nationale und Sozialdemokraten einen starken Mitte-Rechtsblock. KPC-Chef Klement Gottwald wurde Ministerpräsident, und mit diesem debilen Alkoholiker hatte Stalin ein leichtes Spiel. Im Juni 1947 zwang Moskau die Tschechoslowakei, das amerikanische Hilfsangebot des Marschall-Plans abzulehnen. Mit dabei war der alt-neue Außenminister Jan Masaryk, der später dazu sagte: „Nach Moskau fuhr ich als tschechoslowakischer Minister, zurück kehrte ich als Stalins Knecht.“

Der Kalte Krieg kam auf Touren, die für Anfang 1948 geplanten Wahlen verhießen den tschecho-slowakischen Kommunisten eine deftige Niederlage. Diese Aussicht beflügelte ihre Putschpläne, zu deren Unterstützung Stalin seinen Vize-Außenminister Valerian Zorin als „Revolutionsberater“ schickte. In Prag verkündete der kommunistische Innenminister Václav Nosek Personalveränderungen im Sicherheitsapparat, die diesen vollends in die Botmäßigkeit der KPC gebracht hätten. Dagegen protestierten die nichtkommunistischen Minister, die am 20. Februar sogar zurücktraten – überzeugt, daß Benesch diese Rücktritte nicht akzeptieren würde. Worum es ging, erklärte Außenhandelsminister Hubert Ripka: „Verhindern wir, daß die Kommunisten durch Verelendung unseres Volkes ihr totalitäres Regime errichten, das die freie Tschechoslowakei in ein Arbeitslager verproletarisierter Sklaven verwandelte.“

Berechtigte Warnungen, aber zwecklose, wenn „das Volk freiwillig den Totalitarismus wählt und in seiner notorischen politischen Naivität mit den Kommunisten kollaboriert“ (wie die Prager Wochenzeitung „Tyden“ rückblickend kommentierte). Damals hatte die KPC freie Bahn: Sie brachte die Gewerkschaften und Jugendverbände auf ihre Seite, bildete aus ihren Anhängern bewaffnete „Volksmilizen“, organisierten Massenaufmärsche – alles um Druck auf Benesch auszu-üben, die Demissionen der Minister anzunehmen und eine Regierung nach KPC-Wünschen zu bilden. Am 25. Februar gab Benesch auf, in der Tschechoslowakei wurde eine stalinistische Diktatur errichtet – rascher und grausamer als anderswo, da Prag eine dreijährige „Verspätung“ aufzuholen hatte.

Das ging den Tschechen erst nach dem Tode Jan Masaryks auf. Masaryk war in der neuen Regierung geblieben, was den Menschen wie eine „Garantie“ erschien, daß alles wohl „nicht so schlimm“ würde. Demonstrativ ernannten mehrere böhmische Orte ihn zum Ehrenbürger – die entsprechenden Feiern waren für den Mai geplant. Aber nun war der Außenminister ermordet worden, wovon das Gros der Menschen überzeugt war: So brutal verfahren nur Stalins Killer, denen Masaryk schon lange ein Dorn im Auge war. Was Kommunisten als Partei und politischen Partner betraf, so teilte Masaryk-Sohn vollauf die abwertende Meinung von Masaryk-Vater: Kommunisten sind „Despoten, die das Maul voll demokratischer Phrasen haben“ – sowjetische Bolschewiken offenbaren die Primitivität der Steppe und asiatische Grausamkeit.

Diese grundlegende Verachtung formulierte Jan Masaryk mit dem Geist und Witz, für den er seit seinen BBC-Ansprachen im Krieg berühmt war. Er zerpflückte kommunistische „Argumente“ und kam zu dem Schluß, daß nur Leute ohne „gesunden Menschenverstand und Rechenstift“ darauf hereinfallen. Sich selber nahm er davon aus: „Auch wenn ich alles schluckte, was Marx, Engels, Lenin, Stalin und alle anderen kommunistischen Päpste und Kardinäle zusammenschmierten, müßte man mich dennoch nach Sibirien schicken oder bei der ersten Säuberung liquidieren. Ich könnte niemals die Methoden vertragen, die Kommunisten anwenden, sondern immer fragen: Lohnt das die Millionenopfer an unglücklichen Menschen? Muß man für so etwas die Freiheit vernichten? Darum würden sie mich aufhängen, denn mich zu überzeugen wäre schwerer.“ 

„Nach dem Februar war Masaryk ein veränderter Mensch“, schreibt der Biograph Fischl in seinen „Gesprächen“. Das traf zu und daraus haben tschechische Autoren geschlossen, daß ein frustrierter Masaryk Selbstmord begangen habe. War dem so? Oder bereitete der Außenminister seine Flucht in den Westen vor, um dort die Sowjets der Vergewaltigung seiner Heimat anzuklagen. So bekannte er: „Ich wußte, daß es schlimm wird, aber es ist grauenhafter, als ich ahnte, die Hölle.“ Masaryk war kein Wissenschaftler wie sein Vater, kein Staatsmann wie Benesch, aber er wäre ein idealer Generalsekretär der Vereinten Nationen gewesen – sagt Fischl und fügt ein letztes Argument gegen Masaryks „Selbstmord“ hinzu: Einen solchen hätten seine „kommunistischen Aufpasser“ verhindert. Aber nur sie konnten den Mord an ihm verüben.  

Foto: Stalins unwilliger Knecht? Jan Masaryk im September 1947


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