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08.03.08 / Steife Brise, Tee mit Rum und viel Ruhe / Das etwas andere Sylt außerhalb der Saison kennenlernen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-08 vom 08. März 2008

Steife Brise, Tee mit Rum und viel Ruhe
Das etwas andere Sylt außerhalb der Saison kennenlernen
von Elke Gersmann

Viele Norddeutsche verstehen nicht, was das Gerede über das Wetter immer soll. Hier oben verfährt man nach der wohlbekannten Devise: Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur falsche Kleidung. Der steifen Brise am Nordseestrand begegnet man dick vermummt mit Mütze, Schal, Handschuhen und mehreren Kleidungslagen übereinander. Bestens ausgerüstet geht es dann durch den feinen Sand der endlosen Dünen auf Sylt hinunter an die aufgewühlte Nordsee. Und da ist auch im Winter bannig wat los, wie die Einheimischen sagen. Sylt in der kalten Jahreszeit ist etwas ganz Besonderes.

Die Luft ist noch ein bißchen klarer, Wolken rasen über den Himmel und tauchen die Landschaft in unzählige Blau- und Grautöne. Die Sonne steht ganz niedrig am Winterhimmel und leuchtet in einem milden Glanz. Geradezu unendlich breit wirken die Sandstrände zwischen Dünen und Meer, der Blick wird nicht von Strandkörben verstellt. Die mitgebrachten Hunde können diese grenzenlose Freiheit gar nicht fassen und tollen ungestüm durch den Sand.

Den Menschen geht es nicht viel anders: Man mag gar nicht aufhören zu laufen.

Noch ein Stück, nur noch bis zur nächsten Treppe, zur nächsten Strandbar, zum nächsten Ort. Und so werden aus einer Stunde zwei – und aus zwei schon mal drei. Dann irgendwo einkehren, erschöpft aber glücklich und sich mit einem Heißgetränk wieder aufwärmen.

Bei den Nordfriesen gehört dazu ein ordentlicher Schuß Rum oder Köm, damit es einem nicht nur ums Herz, sondern auch im Magen schön warm wird – am liebsten direkt hinein in den Tee, Kaffee oder Kakao.

Pharisäer heißt der mit Rum veredelte Kaffee. Dessen Name soll auf einen Pastor zurückgehen, der bei der Erkenntnis, was sich unter der Sahnehaube wirklich verbirgt, die Gäste einer Taufe als „Ihr Pharisäer“ bezeichnete. Die Kakao-Variation heißt „Tote Tante“. Und hier liegt wohl die Vermutung nahe, daß die Namensgebung auf ähnliche Vorkommnisse bei einer Beerdigung beruht.

Aber vor allem dem Tee wird auf Sylt gehuldigt. In heimeligen kleinen Läden wird verkauft, was das Teetrinkerherz begehrt. Da gibt es den leckeren Früchtetee „Sylter Rote Grütze“, diverse Friesenmischungen, grünen, weißen, schwarzen Tee und natürlich Kandiszucker in Rum eingelegt. So manch einer hat später daheim bei einer guten Tasse sehnsuchtsvoll gemeint, wieder das Rauschen der Wellen und die Möwen vom Nordseestrand zu hören.

Die rauhe See, das ist es, was die Besucher im Winter vor allem hierher zieht. Die Dichte der edlen Kaschmirpullover ist auf der Insel zwar noch leicht erhöht – ums Sehen und Gesehenwerden geht es jetzt aber kaum. Auch im sonst so schicken Kampen stemmt man sich jetzt gegen den Wind und hat eigentlich nur ein Ziel: runter ans Meer. Die Dünenlandschaft am Ende des Ortes gehört zu den schönsten auf Sylt und hier steht auch der älteste Leuchtturm der Insel, der 38 Meter hohe Leuchtturm am Roten Kliff. Die vier Kilometer lange Steilküste erlangt nach jeder Sturmflut traurige Berühmtheit, wenn sich die brodelnde Nordsee wütend wieder ein Stück geholt hat. Dann gibt es in den Nachrichten Bilder von Häusern, die plötzlich über dem Abgrund schweben. Die Nordsee ist so faszinierend wie unberechenbar.

Auch deshalb haben sich im 18. Jahrhundert wohlhabende Sylter Kapitäne auf der anderen Seite der Insel, in Keitum, niedergelassen.

Sie wußten, daß einem sturmgepeitschten Meer kaum zu trotzen ist und wählten deshalb einen sicheren Ort für ihre Familie. Der frühere Sylter Hauptort ist das schönste und grünste Dorf der Insel und manche Bewohner befürchten gar, daß es zu Tode geliebt werden könnte. Doch im Winter ist es hier trotz der Boutiquen und Designläden richtig schön verschlafen. Verschlungene Wege, von prächtigen Friesenhäusern gesäumt, durchziehen den verwinkelten alten Ortskern. Und am Rand des Ortes scheint Keitums Kirche St. Severin darüber zu wachen, daß die Veränderungen nicht zu groß werden.

Im heutigen Hauptort der Insel, in Westerland, geht es lange nicht so ruhig zu. Besonders schön ist es hier dagegen aber auch nicht. Vor allem nahe der Promenade leidet das Bild unter den 70er-Jahre-Bauten. Aber nach Westerland kommt man nicht, weil man es schön haben will. Shopping, Fischbrötchen und Bierstube, in der Friedrichstraße ist alles vereint. In den Seitenstraßen lassen sich in kleinen Geschäften hübsche Souvenirs erstehen.

Wenn dann plötzlich ein Hauch von Kakao in der Luft liegt und in einem der Geschäfte recht großes Gedränge herrscht, ist man beim Schokoladen-Laden des Café Wien angekommen. Da gibt es nur eines: reindrängeln und staunen. Curry-Cocos, Rum-Cola, Hanf-Vollmich – die gute Nordseeluft hat anscheinend auch positive Auswirkungen auf die Kreativität.

Diejenigen, die auch im Winter gerne ein bißchen Trubel haben, treffen sich also in Westerland und Wenningstedt. Die Ruhesuchenden zieht es eher in den Süden nach Rantum und Hörnum oder in die kleinen Ost-Dörfer. Und wer es richtig einsam mag, der besucht den nördlichsten Ort Deutschlands: List.

Hierher verirren sich jetzt nicht mehr so viele Besucher. Gestärkt mit einem Fischbrötchen geht es auf markierten Holzstegen in die Wanderdünen der Sylter Sahara. Verletzlich und wunderschön ist diese Landschaft aus Sand, Himmel und Meer.

Der Wind formt sie immer wieder neu. Und auch man selbst kehrt vielleicht nicht als besserer Mensch, aber doch irgendwie geläutert nach Hause zurück.


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