29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
08.03.08 / Der Wochenrückblick mit Klaus J. Groth

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-08 vom 08. März 2008

Alles Strategen
Eine Strategie ist noch lange keine Richtung. Wie man auch mit gutem Gewissen in fremde Betten steigen kann
Der Wochenrückblick mit Klaus J. Groth

Also, nur mal so angedacht: Sie befinden sich auf dem Hof eines Gebrauchtwagenhändlers, weil Sie einen Ersatz für Ihren alten Schlorren suchen. Drei von den ausgestellten Autos gefallen Ihnen auch ganz gut. Deren Ausstattung ist zwar nicht üppig, aber Sie haben es sich ohnehin abgewöhnt, mehr als das Notwendige zu erwarten. Dafür aber scheinen die auf vier Jahre ausgelegten Ratenzahlungen moderat zu sein. Während Sie jetzt überlegen, welchen der drei Wagen Sie wählen sollen, stehen plötzlich drei Verkäufer hinter Ihnen. Es sind Kurt Beck, Oskar Lafontaine und Gregor Gysi. Jeder von ihnen versucht, Ihnen ein Auto zu verkaufen. Vom wem würden Sie kaufen?

Nein, Sie müssen jetzt diese Frage nicht beantworten. Sie müssen nicht einmal die Frage beantworten, warum Sie denn nun immer noch Ihren alten Schlorren fahren.

Ja gut, es gibt jetzt Leute, die sagen, von keinem der Drei würden sie ein gebrauchtes Auto kaufen. Von Zweien sowieso nicht und von dem Dritten nicht, weil er wortbrüchig geworden sei. Man kann das so sehen. 65 Prozent der Deutschen sehen das inzwischen so. Andere sehen das nicht so. Zum Beispiel Klaus Wowereit. Na ja! Oder Sigmar Gabriel. Na ja, na ja! Oder Ralf Stegner. Ach ja? Irgendwie muß man ja auffallen. Und Autos verkaufen die Drei zum Glück ja auch nicht.

Aber mal ehrlich, sehen die 65 Prozent die Sache mit dem Wortbruch nicht ein bißchen zu eng? Oder haben sie überhaupt verstanden, worum es geht? Es geht nämlich um Strategie. Nur um strategische Entscheidungen, sonst gar nichts. Das haben die meisten nur noch nicht begriffen.

Aber zum Glück haben wir ja unsere Elite, unsere politischen und wirtschaftlichen Macher. Die sagen uns schon, wo es lang geht. Andrea Nahles zum Beispiel, deren korrekter Name stets mit einem Zusatz zu schreiben ist, und der lautet „Andrea Nahles vom linken Flügel der SPD“. Die also hat doch den Nagel auf den Kopf getroffen, als sie ihrem Chef Kurt Beck „Gute Besserung“ wünschte und sagte: „Ich warne davor, jetzt aus einer strategischen Entscheidung eine Richtungsdebatte zu machen.“

Welch ein Glück, nur darum geht es also ganz allein: um eine strategische Entscheidung. Dann ist das alles halb so schlimm. Vor allem, wenn es eine Entscheidung wider die guten Sitten ist. Oder nicht in Einklang mit dem zu bringen ist, was zuvor versprochen wurde. Oder dem gewöhnlichen Volk ganz einfach unverständlich bleiben muß. Dann ist es immer eine strategische Entscheidung.

Während die Soldaten der Bundeswehr in Freund-Feindes-Land endlich ihre gesellschaftlich akzeptierte Aufgabe als Brunnenbohrer oder Zimmerer von Hütten gefunden haben, reiften hierzulande die größten Strategen in der Deckung hinter ihren Schreibtischen heran.

Wer sagt denn, daß ein Stratege ein Heerführer ist? Und wieso sollte eine Strategie eine Kriegslist sein? So steht es im Duden? Na, ist halt eine alte Ausgabe, war vor der Rechtschreibe-Reform.

Nein, unsere neuen Strategen haben zum Glück mit der Lehre von der Führung der Truppe nichts im Sinn. Obgleich sie allesamt in Führungspositionen sind. Und obgleich die von ihnen Geführten sich glücklich schätzen dürfen, wenn sie als deren Truppen angesehen werden. Irgendwie hat sich ja doch rudimentär noch die Vorstellung erhalten, ein Heerführer trage die Verantwortung für seine Truppen.

Nicht allerdings die neuen Strategen. Die tragen für alles Verantwortung, nur nicht für ihre Truppen. Jedenfalls nicht für die Teile, die sie strategisch opfern. Das geschieht gerade wieder mal reihenweise und in großem Stil. Gewissermaßen global denkend – das bedeutet immer: im großen Stil. Das bedeutet aber leider auch: Nicht jeder kann sofort den Sinn einer strategischen Entscheidung begreifen. Mit dieser Einsamkeit ihrer strategischen Planungen müssen die großen Planer leben.

Oder wie sollte es zu begreifen sein, daß die großen Dax-Unternehmen in ihren Bilanzen Gewinne wie noch nie ausweisen und gleichzeitig massiv Arbeitsplätze beseitigen? Stellenabbau heißt das beschönigend, wo es nichts zu beschönigen gibt. Das wäre so, als wenn ein Heerführer am Ende einer bestandenen Schlacht einen Teil seiner siegreichen Truppen eliminierte, um bei einer künftigen Schlacht beweglicher operieren zu können.

Die Zeiten, in denen es den Arbeitnehmern gut ging, wenn es dem Unternehmen gut ging, die sind vorbei. Von der Belegschaft erwirtschaftete Gewinne sind keine Garantie mehr für die Belegschaft.

Mit den Massenentlassungen begannen die deutschen Unternehmen in einer Zeit, in der es der deutschen Wirtschaft nicht gut ging. Das Streichen der Jobs sei ein notwendiger Aderlaß, auf daß es der Wirtschaft wieder besser gehe, wurde damals gesagt. Nun geht es der Wirtschaft nicht nur besser, sondern sie verdient klotzig – und die Massenentlassungen nehmen kein Ende. Die jüngsten Beispiele: Conti streicht 2000 Stellen, Henkel braucht 3000 Mitarbeiter weniger, bei Siemens sind 6800 Leute überflüssig, und BMW will sich von 8100 Kräften trennen.

Das alles, so klingt es aus den Chef-Etagen, seien nichts als strategische Entscheidungen. Wegen der Globalisierung und wegen der Finanzmärkte. Sorry, auch wenn die Entscheidung auf den ersten Blick etwas unverständlich scheine, so bitte man die verehrten geschaßten Mitarbeiter doch um ein wenig Verständnis, denn strategisch sei es nun mal unumgänglich, sie rauszuschmeißen. Wie anders wolle man sonst den internationalen Finanzmärkten signalisieren, daß der Aktienkurs etwas höher bewertet werden dürfe.

Das ist ja das schöne an einer Strategie: Sie muß in der Gegenwart nicht verstanden werden, weil sie ihre Richtigkeit erst in einer nicht genau definierten Zukunft unter Beweis stellen muß. Oder auch nicht. Denn nach strategischen Fehlentscheidungen der Vergangenheit fragt selten jemand.

Die Strategie hat aber auch noch andere Vorteile. Beispielweise liefert sie Freifahrtscheine in alle Richtungen. Strategisch darf auch das Unmögliche gedacht werden. Unanständiges gibt es nicht mehr, wenn es nur strategisch anständig gedacht wird. Nur keine Berührungsängste, die wären strategisch vollkommen falsch. Und wenn manchen Zeitgenossen der Seitensprung noch moralisch bedenklich erscheinen sollte, so kann das doch keinesfalls für einen strategischen Seitensprung gelten.

Also bitte sehr, warum soll nicht, rein strategisch gesehen, die Beust-CDU prüfen, ob die GAL nicht doch ganz nett sein kann (man muß ja nicht immer auf grundlegende Gegensätze verweisen), warum sollen die Grünen nicht mal probieren, ob nicht Schwarz auch ganz modisch kleiden kann. Schließlich ist, siehe Andrea Nahles oben, eine strategische Entscheidung noch keine Richtungsdebatte.

So gesehen, ist es wenig verständlich, warum man sich in der SPD jetzt so schwer tut, sich mit den Linken einzulassen. Ist doch nur strategisch. Und was heißt hier Wortbruch! Wenn überhaupt, ist es allenfalls ein klitze-kleines Wortbrüchlein, fast gar nicht zu sehen. Schließlich liebäugelt man nur mit der Möglichkeit, die Linken auf das karge Feldbett des Landes Hessen zu lassen, niemals aber in die üppigen Daunen Berliner Betten. Ein bißchen schwanger, das macht doch nichts …

Auffallenderweise sind es die vom SPD-Fraktionsvorsitzenden Struck als „Politrentner“ abgekanzelten Strategen von gestern, die ihre Partei daran zu erinnern versuchen, daß Strategie nicht alles ist und nicht alles erlaubt. Noch-SPD-Mitglied Wolfgang Clement erinnerte an die letzte Berliner Rede des Bundespräsidenten Johannes Rau, der gesagt hatte, es möge ein jeder „sagen, was man tut, aber auch tun, was man sagt“.

Diese selbstverständliche Lebensregel, so Clement, sei durch den SPD-Vorstandsbeschluß zur Disposition gestellt, denn es sei „durch keine noch so kunstvolle Interpretation aus der Welt zu schaffen, daß es wortbrüchig wäre“, eine Tolerierung der Linken anzunehmen.

Recht hat er. Aber mit dem Ruhestand nimmt auch die Notwendigkeit strategischen Denkens erheblich ab. Glücklicherweise.

(Hans Heckel hat sich eine Auszeit genommen und ist nächste Woche wieder da.)


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren