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22.03.08 / Am Volk vorbei gemogelt / Britisches Unterhaus lehnt Volksabstimmung über EU-Vertrag von Lissabon ab

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-08 vom 22. März 2008

Am Volk vorbei gemogelt
Britisches Unterhaus lehnt Volksabstimmung über EU-Vertrag von Lissabon ab
von Martin Schmidt

Das britische Unterhaus sprach sich am 5. März dagegen aus, das Volk über den EU-Vertrag von Lissabon vom vergangenen Dezember entscheiden zu lassen. Die Labour-Regierung Gordon Browns hatte sich trotz ihres anderslautenden Wahlversprechens aus dem Jahr 2005 in jüngster Zeit gegen ein solches Referendum gestellt. Zusammen mit den EU-freundlichen Liberaldemokraten gab es – trotz etlicher Abweichler – eine Mehrheit von 311 zu 248 Stimmen gegen den von der konservativen Opposition formulierten Antrag. Die Tories wollen ihre Vorlage nun allerdings auch im Oberhaus einbringen, wo die Chancen besser stehen.

Sie betonen, daß die Ablehnung eines Referendums durch das Unterhaus dem Bevölkerungswillen in Großbritannien widerspricht. Gemäß einer großangelegten Meinungsumfrage des privaten Interessenverbandes „I want a referendum“ (Ich will eine Volksabstimmung) vom 2. März sprechen sich 88 Prozent für eine allgemeine Abstimmung über den Vertrag von Lissabon aus, 89 Prozent lehnen den neuaufgelegten „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ ab. Der Verein hatte mehr als 152000 Bürger in zehn Wahlkreisen befragt; dabei lag die Beteiligung mit durchschnittlich 36,2 Prozent aller Wahlberechtigten über den entsprechenden Quoten bei Kommunalwahlen.

Der nicht nur in der britischen Öffentlichkeit unbeliebte Reformvertrag war von den 27 Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten im Oktober letzten Jahres beschlossen und am 13. Dezember in der portugiesischen Hauptstadt unterzeichnet worden. Während das noch als „Verfassung“ deklarierte Vorgängerabkommen in immerhin zehn Ländern dem Volk zur Abstimmung gestellt werden sollte, entscheiden diesmal fast ausschließlich die Parlamente. Die EU-Administration hat somit ihre Konsequenzen aus der Pleite von 2006 gezogen, als die ablehnenden Referenden in Frankreich und den Niederlanden das Projekt – einstweilen – verhinderten. Argumentativ verwies man auf die besondere Struktur des Vertrages von Lissabon, der bestehende Gemeinschaftsabkommen in Kraft läßt und in diese die weitgehend unveränderte Substanz des EU-Verfassungsvertrages einbaut. Dies mache Volksabstimmungen unnötig, hieß es aus Brüssel. Die Nationalparlamente Ungarns, Maltas, Sloweniens, Rumäniens und Frankreichs haben das Vertragswerk bereits im Schnelldurchgang und zum Teil ohne breitere Mediendiskussion ratifiziert. In der Bundesrepublik Deutschland erfolgt die parlamentarische Billigung voraussichtlich im Mai.

Trotzdem können sich die Befürworter des EU-Vertrages keineswegs sicher sein, daß die Neuerungen rechtzeitig vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Sommer 2009 in Kraft treten können. Größter Wackelkandidat ist die Republik Irland. Obwohl diese wirtschaftlich besonders stark von Geldern aus der Brüsseler Gemeinschaftskasse profitierte und die Regierung geschlossen hinter dem Vertrag von Lissabon steht, hat die jüngste Meinungsumfrage ergeben, daß weniger als die Hälfte der Bürger diesem Text bei dem einzigen diesmal vorgesehenen Referendum Ende Mai ihre Zustimmung geben will.

Man erinnere sich: Bereits Ende 2003 drohte das Vorhaben zu scheitern. Im Mittelpunkt der Diskussion stand damals die besonders von Paris und Berlin gewünschte Einführung von Mehrheitsentscheidungen in Form der sogenannten „doppelten Mehrheit“, also der Möglichkeit bindender Entscheidungen des EU-Ministerrates bei einer Zustimmung von 55 Prozent der Mitgliedsstaaten und mindestens 65 Prozent der vertretenen Bevölkerungen (der geltende Vertrag von Nizza ermöglicht bereits ein Veto von Staatengruppen, die gemeinsam mindestens 28 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren). Auch der vorgesehene EU-Außenminister und der Verzicht auf einen ausdrücklichen Gottesbezug sorgten nicht nur im stark national ausgerichteten und noch immer tief katholischen Polen für Unmut. Die bundesdeutsche Politik hatte dagegen schon im Zuge der Vorarbeiten des EU-Konvents auf bestehende Einwände verzichtet und war beispielsweise vom ursprünglich geforderten Vetorecht in Zuwanderungsfragen abgerückt.

Bei dem Treffen von Lissabon im Dezember 2007 wurde schließlich ein 145seitiger Vertragstext zuzüglich einer Vielzahl ergänzender Erklärungen und Protokolle angenommen. Die EU soll mit dem neuen Vertrag eine Reihe weiterer wichtiger Entscheidungsbefugnisse erhalten, nicht zuletzt in so sensiblen Bereichen wie Kriminalität, Zuwanderung, Bildungs- und Gesundheitswesen. Auch der Europäische Gerichtshof würde in seiner ohnehin erdrückenden juristischen Machtfülle zusätzlich gestärkt. Im Unterschied zum abgelehnten Verfassungsvertrag verzichtet das neue Grundlagenabkommen auf die schriftliche Fixierung staatstypischer Symbole der Europäischen Union wie Flagge und Hymne. Auch das für viele Gegner provokante Wort „Verfassung“ wurde gestrichen. Der insbesondere von Großbritannien abgelehnte sogenannte „EU-Außenminister“ taucht in Gestalt eines „Hohen Repräsentanten für Außen- und Sicherheitspolitik“ auf und bekommt als solcher einen eigenen diplomatischen Dienst. Eine ähnliche Mogel-

packung ist darin zu sehen, daß die EU zwar weiterhin keine eigenen „Gesetze“ erlassen kann, wohl aber über das gesetzesähnliche Instrumentarium von „Richtlinien“ und „Verordnungen“. Der Text der ursprünglich geplanten Grundrechtecharta wird zwar nicht im Vertrag selbst enthalten sein, jedoch durch einen Verweis für rechtsverbindlich erklärt, wobei sich Großbritannien eine Ausnahmeregelung aushandeln konnte und sich Polen, Irland und Tschechien ähnliches vorbehalten haben.

Ob es aber überhaupt so weit kommt, steht angesichts des ungewissen Volksabstimmungsergebnisses in Irland in den Sternen.

Foto: Referendum: Vor allem die Briten hätten gerne über den EU-Vertrag abgestimmt.


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