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22.03.08 / »... die reißt er aus der Qual« / Christliche Gedanken zu Karfreitag und zum Osterfest

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-08 vom 22. März 2008

»... die reißt er aus der Qual«
Christliche Gedanken zu Karfreitag und zum Osterfest
von Klaus Plorin

Viele von uns, je älter desto eher und öfter, schwebten schon einmal oder mehrmals in großer Lebensgefahr. Kriegshandlungen, Krankheiten oder Unfälle können die Ursachen gewesen sein. Unser Leben hing nur noch an einem „seidenen Faden“. Wir hatten, realistisch gesehen, keine Überlebenschance mehr. Die Angst, im nächsten Augenblick getötet zu werden und sterben zu müssen, war grausam. Und dann wurden wir doch noch im letzten Augenblick gerettet, überlebten die tödliche Bedrohung. Wie oft erzählte meine Mutter, wie sie am Kriegsende in Ostpreußen zur Erschießung als angebliche Spionin schon an eine Wand gestellt worden war, dann aber plötzlich ein russischer Offizier einschritt, die Erschießung verhinderte und die fast verzweifelte Frau ins Leben und zu uns Kindern zurück entließ. Eine von vielen glücklichen Wendungen, die wir am Kriegsende erleben durften, und von denen wir uns für die nächsten gefährlichen Situationen ermutigen ließen. Wunderbare Errettungen, die wir nicht für uns behalten konnten.

Ähnlich ging es wohl einem sehr berühmten Mann, der danach in einem Brief schrieb: „Ihr Lieben, ich will euch nicht verschweigen, daß ich in Asien in einer ausweglosen Lage war. Was ich ertragen mußte, war so schlimm, daß es über meine Kräfte ging. Ich hatte keine Hoffnung mehr, mit dem Leben davon zu kommen. Ich fühlte mich wie einer, der schon zum Tod verurteilt ist.“ (2. Korinther 1, 8 -9 a)

Was der Apostel Paulus in der Erinnerung an eine Todesgefahr, aus der er gerade noch gerettet wurde, vielleicht mit zitternder Hand an eine seiner Gemeinden schrieb, können die meisten von uns stark nachempfinden. Denn das klingt wie ein Ausschnitt aus so manchem Brief, den wir nach dem Krieg schrieben oder empfingen.

Als wir Bombennächte, Trommelfeuer, die Flucht, Gewalttaten, militärische oder zivile Gefangenschaft, Zwangsarbeit, Hunger, Kälte und Seuchen oft nur knapp überlebt hatten. Davon mußten wir berichten, um uns all das Schreckliche von der Seele zu laden, auch wenn uns manche Leute gar nicht hören wollten.

Vielleicht berichteten wir über unsere glückliche Rettung aus Todesnot, auch aus Dankbarkeit gegenüber Gott für dessen Hilfe. Und so schreiben auch heute noch Überlebende des Krieges ihre Erinnerungen an jene Zeit auf. Und wenn diese gedruckt werden, finden wir in ihnen manche traurigen oder tröstlichen Parallelen zu unserem eigenen damaligen Erleben.

Daß wir überleben konnten, hatte viele greifbare Gründe. Jeder von uns Geretteten könnte von glücklichen Zufällen, klugem oder trickreichem Verhalten, von vorher nicht für möglich gehaltenen körperlichen, geistigen und seelischen Kraftreserven, oder auch vom Beistand anderer Leute, einige, wie ich, sogar von Hilfen durch Russen und Polen erzählen. Obwohl also alles irgendwie erklärbar erscheint, wagt doch mancher von uns, selbst in unserer so nüchternen Zeit, hinter all dem greifbaren Geschehen Fügungen Gottes zu sehen, von wunderbarem Eingreifen Gottes zu sprechen.

Der Apostel Paulus tat das jedenfalls ausdrücklich, wenn er weiter schrieb: „Aber das geschah, damit ich nicht auf mich selbst vertraue, sondern mich allein auf Gott verlasse, der die Toten auferweckt. Und tatsächlich hat er mich vor dem sicheren Tod bewahrt und wird es auch in Zukunft tun“ (Verse 9b + 10). Offenbar begründet für Paulus die Auferweckung Jesu von den Toten „als Erstling der Entschlafenen“ (1. Kor. 15,20) nicht nur Hoffnung auf die Auferweckung der schon Verstorbenen, sondern auch auf Rettung noch Lebender aus Todesgefahr, wie er selbst es schon mehrmals erleben durfte. Der Glaube an die Auferweckung des Einen durch Gott strahlt aus auf unser ganzes irdisches Leben und weckt in uns das Vertrauen auf Gott als Bewahrer unseres Lebens, besonders vor vorzeitigem Sterben.

Paul Gerhardt dichtete fünf Jahre nach dem so mörderischen Dreißigjährigen Krieg: „Er hat viel tausend Weisen, zu retten aus dem Tod, ernährt und gibet Speisen zur Zeit der Hungersnot, macht schöne rote Wangen oft bei geringem Mahl, und die da sind gefangen, die reißt er aus der Qual.“ (EG 102, 5). Wenn Paul Gerhardt so von Gott spricht, hat er dabei Mord und Totschlag, Hunger und Seuchen der letzten Jahrzehnte vergessen oder ausgeblendet? Indem er von Rettung aus dem Tod schreibt, geht er ja über seine Vorlage, den 146. Psalm hinaus. Ich gebe zu: So sehr ich dieses Lied „Du, meine Seele, singe ...“ in Text und Melodie sonst mag und gerne singe, habe ich diese 5. Strophe immer nur mit sehr gemischten Gefühlen oder manchmal gar nicht mitsingen können. Zwar habe auch ich in Ostpreußens Hungerjahren nach dem Krieg oft überraschend und wunderbar rettende Speisen gefunden oder bekommen, durfte mehrfach Todesgefahren und schließlich auch der Zivilgefangenschaft entkommen, aber zu deutlich sehe ich die Leichen damals verhungerter Menschen aller Altersschichten in meiner Erinnerung vor mir. Und die Frage brennt mir auf der Seele: Warum mußten sie sterben, warum rettete Gott nicht auch sie? Das unermeßliche Leiden und vorzeitige Sterben so vieler Unschuldiger damals und auch heute noch, bei Abtreibungen, in den Kriegen, durch andere Gewalttaten, Hunger und Katastrophen schreit doch laut nach dem Eingreifen Gottes jetzt, heute und nicht erst viel später, nach ihrem Tod.

Aber schreit dies ungerechte Sterben nicht sogar zuerst in unsere eigenen Ohren und in die der Mächtigen in Politik und Wirtschaft? Dürfen wir denn Gott anlasten, was von Menschen verursacht und verschuldet wird, wofür oft genug auch wir selbst zu unserem Teil mit verantwortlich sind? Gott verzichtet auf seine, für uns unerträgliche Allmacht – das erkennen wir am Kreuz Jesu. Er stellt sich aber dem Bösen und dem vorzeitigen und ungerechten, unnötigen Sterben auf geistige Weise entgegen. Indem er uns zu tieferer Besinnung auf den Sinn des Lebens, zu liebevoller Verantwortung für unsere Mitmenschen und zum notwendigen Handeln aufruft und bewegt. Indem er uns hilft, aus finsteren Tälern und selbst gegrabenen Gräbern heraus zu finden und anderen heraus zu helfen, hin auf neue, hoffnungsvolle Lebenswege. Vielen von uns ist das auch schon mindestens einmal gelungen. Der Krieg und andere Gewaltereignisse hatten uns geliebte Menschen, unsern Besitz und die vertraute Heimat geraubt. Doch mit Gottes Hilfe, durch seine Kräfte des Vertrauens, der Hoffnung und der Liebe haben wir den großen Wert anderer liebenswerter Menschen, neu erworbener Dinge und neuer Heimat entdecken können, wurden zu einem neuen Leben erweckt und ermutigt.

Es tat sehr weh, unsere Existenzgrundlage zu verlieren, großes Unrecht erleiden zu müssen. Das hätte zu Verbitterung, Haß und Gewalt verführen können. Aber mit Gottes Hilfe kamen wir zu besseren Einsichten und Einstellungen. So gelang es uns nicht nur, auf rächende Vergeltung zu verzichten (zum Beispiel in der „Charta der Heimatvertriebenen“), sondern sogar, zu Vergebung und Versöhnung bereit zu sein und zu tatkräftiger Hilfe für verarmte polnische und russische Bewohner in den historischen deutschen Ostgebieten.

Indem wir als Menschen, die schon den sicheren Tod vor Augen hatten, dann aber aus den tödlichen Gefahren für Leib und Leben und aus den Gräbern von Haß, Angst, Depression und Apathie der Seele durch Gottes Kraft zu neuem Leben erweckt wurden, durften wir einen kleinen Vorgeschmack unserer endgültigen Auferweckung aus ewigem Tod erleben. Dafür sollten wir Gott danken und unser Leben entsprechend gestalten.


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