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22.03.08 / Freitod wegen Giftgasangriff / Roman über den Selbstmord der Ehefrau des Nobelpreisträgers Fritz Haber

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-08 vom 22. März 2008

Freitod wegen Giftgasangriff
Roman über den Selbstmord der Ehefrau des Nobelpreisträgers Fritz Haber

Ein Selbstmord in den ersten gesellschaftlichen Kreisen Berlins am 2. Mai 1915 gibt Rätsel auf. Nach einer häuslichen Feier erschießt sich Clara Haber, geb. Immerwahr, Gattin des Leiters des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physikalische Chemie und Elektrochemie in Berlin-Dahlem, Geheimrat Fritz Haber, nachts in der Dienstvilla ihres Gatten. Es besteht keinerlei öffentliches Interesse daran, über die Motive der Tat zu spekulieren, man unterstellt Depressionen. Ein möglicher Zusammenhang mit dem deutschen Giftgasangriff, der am 22. April 1915 unter Habers Leitung an der Westfront bei Ypern erfolgt war, wird nicht erwogen. Fritz Haber als Leiter der „Zentralstelle für Fragen der Chemie“ im Kriegsministerium hatte den völkerrechtswidrigen Angriff mit C-Waffen selbst angeregt: Haber, dem man bewundernd nachsagte, er habe „Brot aus der Luft geholt“. Seine Erfindung der Ammoniaksynthese (Haber-Bosch-Verfahren) hatte den Weg für die Herstellung von Kunstdüngern bereitet. Die Erfindung war zweischneidig. Bei Kriegsbeginn im September 1914 hatte Professor Haber sein Verfahren der Obersten Heeresleitung zur Verfügung gestellt.

Sehr einfühlsam hat sich Autorin Sabine Friedrich in dem Roman „Immerwahr“ das Blickfeld einer Abschied-Nehmenden zu eigen gemacht. Wenig nur ist bekannt. Clara Haber hält sich am Abend vor ihrem Freitod im Obergeschoß der Dienstvilla auf, während sich parterre eine Tischgesellschaft anläßlich der Ernennung ihres Mannes zum Hauptmann zusammengefunden hat. Ihre Gedanken schweifen in den Räumen der Vergangenheit. Bei diesem Streifzug verzichtet die Autorin auf eine fortlaufende Handlung und reiht statt dessen Bilder und Szenen in freier Assoziation aneinander.

Clara Immerwahr, geboren am 21. Juni 1870, stammte aus gehobenem bürgerlichem Milieu, wuchs behütet auf. Ihre säkular eingestellten Eltern jüdischer Abstammung waren Besitzer des Gutes Oswitz bei Breslau. Zwar herrschte in frauenrechtlicher Hinsicht im wilhelminischen Deutschland noch Steinzeit, doch nutzte die junge Frau ein neues Gesetz, das ihr ein Studium des Faches Chemie an der Universität Breslau ermöglichte. 1901 promoviert sie im Fach Physikalische Chemie mit summa cum laude und trägt als eine der ersten Frauen in Deutschland den Doktortitel. Sie tritt eine unbezahlte Stellung als Laboratoriumsassistentin an, doch nur um ihre Laufbahn als Wissenschaftlerin kurz darauf zu beenden. Fehlten ihr zuletzt doch Kraft und Mut, um aus dem Rollenbild der Frau auszubrechen? Clara Immerwahr wird Ehefrau des Chemieprofessors Fritz Haber. An der Seite des arbeitswütigen, ebenso egozentrischen wie genialen Forschers, der den gesellschaftlichen Aufstieg sucht, kann sie sich jedoch nicht entfalten.

Gegen die Giftgasexperimente im Institut ihres Mannes hatte sich Clara Haber wiederholt ablehnend geäußert. Trotz seiner zwiespältigen Rolle vor und während des Ersten Weltkriegs wurde Fritz Haber 1918 der Nobelpreis für Chemie für seinen Anteil am Haber-Bosch-Verfahren zugesprochen. Später hat man ihn als „Vater des Gaskriegs“ bezeichnet.

Der Autorin geht es jedoch weniger darum, die Frage zu beleuchten, ob Clara Haber mit ihrem Freitod wirklich ein Fanal gegen den Einsatz von Massenvernichtungswaffen setzen wollte. Vielmehr ist es ihr Anliegen, begreiflich zu machen, wie hoch der Preis des Verzichts sein konnte, den Frauen leisteten, um sich dem Druck der gesellschaftlichen Normen anzupassen.

„Weißt du, Fritz“, sagte Einstein einmal bei einem Besuch in der Haberschen Villa, „verglichen mit den Weibern ist doch jeder von uns ein König.“            D. Jestrzemski

Sabine Friedrich: „Immerwahr“, dtv, München 2007, 217 Seiten, 14 Euro


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