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22.03.08 / Sie wagten, sich zu emanzipieren / Besonders zu Zeiten Friedrichs des Großen gab es Frauen, die ihren eigenen Weg zu gehen versuchten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-08 vom 22. März 2008

Sie wagten, sich zu emanzipieren
Besonders zu Zeiten Friedrichs des Großen gab es Frauen, die ihren eigenen Weg zu gehen versuchten
von Jürgen Ziechmann

Die Rolle der Frau im 18. Jahrhundert war im allgemeinen Bewußtsein aller Stände festumschrieben. Die Pflichten von Frauen waren neben der Erziehung der Kinder definiert durch Kochen, Waschen, Nähen, Putzen. Wenn sie sich Dienstboten leisten konnten, teilten die Frauen im Haushalt die Diener und Dienstmädchen zu den anfallenden Arbeiten ein und beaufsichtigten deren Arbeitsleistung. Aber besonders im Preußen Friedrich des Großen gab es zahlreiche Ausnahmen von den auf hausfrauliche Tugenden festgelegten Pflichten. Die Chancen, die sich Frauen boten, sich von den gesellschaftlichen Erwartungen zu emanzipieren, waren zwar nicht sehr groß – aber es gab sie, was an einigen Beispielen demonstriert werden kann. Dabei waren die Möglichkeiten auch für Frauen aus der Mittel- und Unterschicht, einen individuellen Weg zu wählen, von ihrer eigenen Initiative und von ihrer individuellen Durchsetzungskraft abhängig.

Ein Beispiel aus der Unterschicht ist Anna Luise Karsch (die Karschin). Anna Luise Karsch, die am 1. Dezember 1722 als Anna Luise Durbach in sehr einfachen ländlichen Verhältnissen in dem Weiher „Auf dem Hammer“ bei Krossen geboren wurde, ist ein Beispiel für die Möglichkeiten, aber auch die Probleme für Frauen, die nach Selbstverwirklichung suchten. Nach dem Tode des Vaters wurde das kleine Mädchen zunächst mit sechs Jahren zu Verwandten gegeben, wo es rasch Lesen und Schreiben lernte und sich für gereimte Verse interessierte. Im Alter von etwa zehn Jahren lebte sie wieder bei der Mutter und wurde im Haushalt und beim Hüten der kleinen Herde eingesetzt. 1738 wurde sie mit einem Tuchmacher aus Schwiebus verheiratet. Der gewalttätige Ehemann ließ sich von der schwangeren Anna Luise scheiden, weil sie mehr Zeit beim Dichten als im Haushalt verbrachte. Die Geschiedene ging zu ihrer Mutter zurück, die sie 1749 überredete, den Schneider Daniel Karsch aus Fraustadt zu heiraten. Die Karschin hatte mit diesem drei Kinder. Sie verdiente mit Gelegenheitsgedichten zum Unterhalt der Familie dazu und gelangte zu einer gewissen Berühmtheit. Nach einem Umzug nach Glogau wurden ihre Hymnen auf König Friedrich überall während des Siebenjährigen Krieges als Flugschriften verbreitet, wodurch sie die Aufmerksamkeit eines Barons von Kottwitz auf sich zog, der dafür sorgte, daß der Ehemann Karsch zu den Soldaten kam, und der die Karschin selbst nach Berlin holte. Dort lebte sie von ihren Stehgreifgedichten und nahm Kontakt zu gebildeten Kreisen auf. Sie wurde von Lessing, Sulzer und Mendelssohn gefördert. Besonders Johann Wilhelm Gleim, der mit seinen Grenadierliedern bekannt geworden war, vermittelte ihr Gönner in Halberstadt und Magdeburg. Für Friedrichs Schwester Amalie, die Äbtissin von Quedlinburg, schrieb die Karschin verschiedene Texte, die Amalie vertonte.

Ab 1762 lebte sie wieder in Berlin – in großer Not. Der Kupferstecher Daniel Chodowiecki half ihr in dieser Zeit, indem er Miniaturbilder produzierte, zu denen die Karschin Gedichte verfaßte. 1763 hatte sie eine Audienz beim König, der ihr 50 Taler schenkte. Das höchste Einkommen erzielte Anna Luise Karsch durch den Verkauf einer von Gleim geförderten Gedichtsammlung im Jahr 1764. Später wurde ihr von Friedrich Wilhelm II. in Berlin ein Häuschen zugeeignet, in dem sie bis zu ihrem Tode am 12. Oktober 1791 wohnte.

Ein Beispiel aus der Mittelschicht ist Dorothea Christiane Erxleben. Dorothea Christiane Leporin – nach ihrer Verheiratung unter dem Namen Erxleben bekannt – war am 13. November 1715 in Quedlinburg als Tochter des Arztes Christian Leporin geboren worden. Ihr Vater unterrichtete sie in der Heilkunde, und sie ging ihm in der Praxis zur Hand. Um sich gegen den Vorwurf der Pfuscherei zu wehren, wollte sich Dorothea Leporin einer Prüfung vor der medizinischen Fakultät der Universität Halle unterziehen, was ihr verweigert wurde. Da wandten ihr Vater und sie sich an König Friedrich II., der 1741 die Universität anwies, Frau Erxleben (denn inzwischen hatte sie einen Witwer mit fünf Kindern geheiratet) zur Promotion zuzulassen. Dieses Privileg nahm Frau Erxleben aber zunächst nicht wahr, denn sie sorgte zunächst rollenkonform für ihren Mann, dessen fünf Kinder und dann auch für ihre vier eigenen. Als sie aber immer häufiger Schwierigkeiten bei der (noch unakademisch fundierten) zusätzlichen Ausübung des Arztberufs durch „Kollegen“ hatte, nahm sie das Privileg des Königs in Anspruch, reichte 1754 ihre Dissertation an der Universität Halle – wie es in der Promotionsordnung vorgeschrieben war – auf Lateinisch ein und promovierte am 6. Mai 1754. Sie kümmerte sich aber weiterhin um Mann und Familie, führte also ihr frauenrollenkonformes Leben weiter, hatte aber daneben auch noch Zeit, in Quedlinburg bis zu ihrem Tode am 13. Juni 1763 erfolgreich eine Praxis zu führen.

Als drittes und letztes Beispiel sei Gertrud Schmeling genannt, „die Mara“. Künstlerinnen hatten es leichter als die Frauen in den bürgerlichen Kreisen, sich aus der Rolle der Hausfrau zu befreien, seien sie nun Sängerinnen / Schauspielerinnen, Tänzerinnen oder Malerinnen. Sie waren die auch gesellschaftlich akzeptierten Ausnahmen vom Rollenklischee, so daß ihnen nicht so gravierende Hindernisse in den Weg gelegt wurden. Gertrud Schmeling wurde am 23. Februar 1749 in Kassel geboren. Sie war das achte Kind eines Rats- und Stadtmusikus. Sie entwickelte eine Begabung für das Violinspiel und wurde von Gönnern gefördert, denn der Vater hatte nach dem frühen Tod seiner Frau keine Mittel zur besonderen Förderung seiner Kinder. Immerhin konnte der Vater mit Gertrud 1759 nach England reisen, da seine zweite Frau die übrigen Kinder in Kassel versorgte. In London wurde Gertrud – weiterhin von Mäzenatentum begüterter Menschenfreunde lebend – angeblich innerhalb von vier Wochen von einem dort lebenden Italiener zur Sängerin italienischer Opern ausgebildet. 1766 erhielt Gertrud Schmeling, die ab 1765 durch verschiedene Konzertreisen in Deutschland auf ihre Begabung aufmerksam gemacht hatte, eine feste Anstellung in Leipzig – immerhin mit dem für eine 17jährige hohen Jahresgehalt von 600 Thalern. Da sie trotz der Ovationen des Publikums selbst noch nicht mit ihrem Gesang zufrieden war, wollte sie sich in Italien weiterbilden lassen. Auf der Reise kam sie im Frühjahr 1771 in Potsdam vorbei, wo sie König Fried­rich, der nach eigener Aussage „lieber ein Pferd wiehern als eine deutsche Sängerin singen“ hören wollte, so gut gefiel, daß er sie mit einem Jahresgehalt von 3000 Thalern für seine Oper engagierte. Trotz des Widerstandes aller ihrer Freunde und sogar des Königs heiratete Gertrud 1772 den Violincellisten des Prinzen Heinrich, Johann Mara, der einen liederlichen Lebenswandel führte. Nach einigen Querelen um Reisen ins Ausland gelang es der energischen Frau 1780 nach Prag zu fliehen. Daraufhin wurde sie vom König aus dem Kontrakt entlassen. Nach Auftritten in Paris, London und mehreren italienischen Städten, bei denen sie mit Beifall überschüttet wurde, fand sie endlich die Kraft, sich von ihrem Ehemann zu trennen, dem sie ein Jahresgehalt aussetzte. Seit 1804 hielt sie sich in Rußland auf. Als ihre Stimme nachließ, siedelte sie nach Reval über, trat dort noch gelegentlich auf und erteilte Gesangsunterricht. Zu ihrem 83. Geburtstag schrieb ihr Goethe einen kurzen Vers. Am 8. Januar 1833 verstarb sie in Reval.

Foto: Die Möglichkeit, einen individuellen Weg zu wählen, war kein Privileg der Oberschicht: Anna Luise Karsch (links) gehörte der Unterschicht und Dorothea Christiane Erxleben (rechts) der Mittelschicht an.


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