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05.04.08 / Droht Schülern eine freudlose Jugend? / Abitur nach zwölf Jahren: Eltern und Lehrer klagen über überfüllte Lehrpläne und gestreßten Nachwuchs

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-08 vom 05. April 2008

Droht Schülern eine freudlose Jugend?
Abitur nach zwölf Jahren: Eltern und Lehrer klagen über überfüllte Lehrpläne und gestreßten Nachwuchs
von George Turner

Die Kultusministerkonferenz hat sich dahin verständigt, daß den Ländern im Rahmen von 265 Wochenstunden im gymnasialen Bildungsgang von der Jahrgangsstufe 5 bis zum Abitur und der darin eingeschlossenen Möglichkeit von fünf Stunden Wahlunterricht größere Flexibilität bei der Umsetzung besonderer pädagogischer Ansätze (zum Beispiel Projektarbeit, Vertiefungseinheiten) eingeräumt wird. Dabei sind 260 Wochenstunden fachlich zuzuordnen.

Das beruhigt die Gemüter von Eltern und Lehrern keineswegs. Unter ihnen ist das Geschrei groß: Die Verkürzung der Schulzeit im Gymnasium von neun auf acht Jahre sei nicht zu bewältigen. Die Kinder litten unter Streß, es würde eine freudlose Jugend aufwachsen, die keinen Bezug zur Kunst entwickeln könne und der auch keine Zeit für Sport bliebe, von Freundschaften ganz zu schweigen: eine bemitleidenswerte, ja armselige Generation.

Die sogenannte alte Bundesrepublik gehörte zu den wenigen Ländern, die Jugendliche 13 Jahre in die Schule gehen ließen, bis sie die Hochschulberechtigung erwarben. Sind die jungen Menschen überall in der Welt verkorkst und waren es nur die bundesrepublikanischen dank des 13. Schuljahres nicht? Warum gibt es in den neuen Ländern, die beim Abitur nach zwölf Schuljahren geblieben sind, deutlich weniger oder gar keine Klagen? Sind es in den alten Ländern Übergangsprobleme?

Im übrigen: Es hat auch früher schon einmal das Abitur nach zwölf Jahren gegeben. Bis 1953 war das die Regel. Die Absolventen der entsprechenden Jahrgänge waren gewiß nicht schlechter auf Beruf oder Studium vorbereitet als spätere Generationen. Ganz wesentlich waren sie es, die zu dem beigetragen oder es gestaltet haben, was man das Wirtschaftswunder nennt. Einzuräumen ist allerdings, daß die Stoffülle zugenommen hat, daß Ablenkungen aller Art hinzugekommen sind, daß der Sonnabend als Unterrichtstag weggefallen ist.

Gründe für die zeitliche Straffung bei der nunmehr durchgeführten Reform (man kann auch sagen: bei der Rückkehr zum Abitur nach zwölf Jahren) waren der Vergleich mit dem Ausland und ein gewisser Leerlauf in der Oberstufe, besonders in der 11. Klasse und nach Abschluß der schriftlichen Abiturarbeiten.  Deshalb wäre organisatorisch hier anzusetzen gewesen. Wenn das versäumt worden ist und stattdessen Mittel- und Unterstufe überfrachtet wurden, ist das ein Fehler, der zu korrigieren ist. Sofern die Defizite der Vergangenheit einfach übernommen worden sind, darf man sich nicht wundern, wenn die Zeit jetzt zu knapp erscheint. Wenn nämlich nach der Erledigung der schriftlichen Arbeiten Anfang des Jahres bis zu den mündlichen Prüfungen kein neuer Stoff durchgenommen wird oder derselbe nicht mehr prüfungsrelevant ist, darf man  nicht überrascht sein, daß Schüler diese Zeit sehr locker angehen lassen. Die Schülermentalität ist nun einmal eine feste Größe, gleichgültig ob zwölf oder 13 Jahre auf dem Programm stehen.

Es gibt sicher eine Reihe berechtigter Kritikpunkte, die sich auf Versäumnisse bei der Umstellung auf G8, wie die Kurzform der Reform lautet, beziehen. In der Tat ist es nicht nur beschwerlich, sondern belastend, wenn Kinder acht Stunden in der Schule verbringen, ohne daß eine ausreichende Mittagspause mit einer Mahlzeit vorgesehen ist. Das muß  entweder durch eine bessere Organisation gelöst werden und / oder es bedarf des Einsatzes finanzieller Mittel. Schließlich „spart“ man ja durch Wegfall der 13. Klasse. Falsch allerdings wäre es, das Fächerangebot zu reduzieren, etwa durch Verringerung des naturwissenschaftlichen Unterrichts. Im Gegenteil. Von Zeit zu Zeit wird, je nach Aktualität, sogar gefordert, daß das eine oder andere Fach neu in den Kanon aufzunehmen sei, so zum Beispiel Wirtschaft, um die Jugendlichen besser auf das Berufsleben vorzubereiten. Das wird wohl ein frommer Wunsch bleiben. Ob nicht hier und da eine Straffung möglich ist und einzelne Stoffelemente verzichtbar sind, ist eine andere Frage. Und warum ist der Sonnabend von vornherein tabu? Auch der Umfang der Ferien sollte wenigstens überdacht werden. Ab und an gibt es einen freien (Brücken-)Tag. Die Freizeitmentalität mancher Interessenvertreter der berufstätigen Bevölkerung hat vor den Schultüren nicht haltgemacht. Es wäre Sache der staatlichen Schulverwaltungen gewesen, vor der Umsetzung der Verkürzung Überlegungen zu einer besseren Organisation anzustellen. In der Tat ist es mißlich, daß man die Schulen dabei auf sich gestellt gelassen hat. Immerhin gibt es Institutionen mit einer phantasievollen Leitung, die anstehende Probleme zur Zufriedenheit aller bewältigt haben.

Es widerspricht zwar der political correctness, muß aber doch gefragt werden: Kann es auch sein, daß Schüler deshalb überfordert sind, weil sie den für sie ungeeigneten Schultyp gewählt beziehungsweise die Eltern eine falsche Entscheidung getroffen haben? Von allen politischen Parteien ist zwar die Losung ausgegeben worden, daß mehr Jugendliche zum Abitur geführt werden sollen. Derzeitig sind es immerhin rund 37 Prozent der in Betracht kommenden Altersgruppe. Auf der anderen Seite wird aber darüber geklagt, daß die Schule Absolventen entläßt, die nicht die für ein Studium erforderlichen Voraussetzungen mitbringen.

Als reine Panikreaktion und puren politischen Opportunismus müßte man es allerdings ansehen, wenn die Reform rückgängig gemacht würde. Das kürzere Abitur muß organisatorisch bewältigt werden, so daß Klagen von Eltern und Schülern sich erledigen, soweit sie berechtigt sind.

Das gilt nicht für alle Einwände. Wenn früher Schlendrian und vertrödelte Zeit gerügt wurden und unter anderem Anlaß für die Reform waren, darf man sich heute nicht über einen engeren Stundenplan aufregen. Das Gymnasium ist keine Wellness-Oase. Und schließlich gibt es noch eine Antwort, die selbstverständlich nicht ganz ernst gemeint ist: Wenn jemand unbedingt 13 Jahre in die Schule gehen möchte, kann dem ja entsprochen werden. Schon einmaliges Sitzenbleiben bedeutet, daß man auch beim Abitur mit verkürzter Regelschulzeit auf 13 Jahre kommt.


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