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05.04.08 / Auf dem Weg zum Gottesstaat? / Die türkische Justiz will Ministerpräsident Erdogan und seine Partei mit einem Verbot stoppen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-08 vom 05. April 2008

Auf dem Weg zum Gottesstaat?
Die türkische Justiz will Ministerpräsident Erdogan und seine Partei mit einem Verbot stoppen
von Mariano Albrecht

Ist der Laizismus in der Türkei in Gefahr?“ „Keine Chance dem Polit-Chaos!“ So lesen sich die Schlagzeilen türkischer Zeitungen in diesen Tagen. In der Türkei ist ein erbitterter Kampf um die Macht entbrannt. Mit einem Partei- und politischen Betätigungsverbot wollen die säkularen Eliten Ministerpräsident Recep Tayip Erdogan und seine Partei der Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) stürzen. Doch die Islamisch-Konservativen holen zum Gegenschlag aus.

Die Kemalisten prophezeien den Untergang der von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk im Jahre 1923 eingeführten Staatsdoktrin der Trennung von Religion und Staat. Ministerpräsident Recep Tayip Erdogan treibe mit seiner islamischen Partei AKP die Islamisierung der Türkei voran. Ziel der AKP sei es, einen islamischen Gottesstaat zu errichten, heißt es aus den Reihen der säkularen Kemalisten. Ein vom türkischen Generalstaatsanwalt Abdurrahman Yalcinkaya beim Verfassungsgericht beantragtes Verbotsverfahren gegen die AKP war am Montag eingeleitet worden. Yalcinkaya fordert auch ein politisches Betätigungsverbot für Erdogan und rund weitere 71 führende AKP-Funktionäre, darunter auch Staatspräsident Abdullah Gül. Doch die Entmachtung von Erdogan und seiner AKP dürfte kein leichtes Unterfangen werden.

Die AKP hatte bei den jüngsten Wahlen 46 Prozent erreicht und stellt 330 von 550 Abgeordneten im Parlament. Ein Verbot der AKP wäre undemokratisch und würde die Türkei in eine tiefe Krise stürzen, meinen EU-Politiker in Brüssel und ergreifen Partei für den Islamisten Erdogan.

Die Garanten für die säkulare Republik sind seit deren Gründung das Militär, das Verfassungsgericht und der Staatspräsident, der in der Vergangenheit traditionell nicht der Regierungspartei angehörte. Seit dem vergangenen Jahr hat sich das geändert. Gegen die offenen Putschdrohungen der Streitkräfte konnte Erdogan seinen Parteifreund Gül in das Amt hieven, die erste Schlappe für die Kemalisten. Mit der Abschaffung des Kopftuchverbotes an Universitäten zog sich Erdogan erneut den Zorn der säkularen Opposition und des Militärs zu.

Doch Erdogan konnte geschickt taktieren, zeitgleich gab die Regierung den Weg für die Armee zum Einmarsch in den Nordirak frei. Im Kampf gegen die kurdische Terrororganisation PKK war der Kopftuchstreit zur Nebensache geworden. Der Machtkampf geht tiefer:

Staatpräsident Abdullah Gül hatte sich dieser Tage mit den Parteichefs der nationalistischen MHP der nationalistisch-religiösen BBP und der kemalistischen CHP zu Gesprächen getroffen. Aus Ankara war zu vernehmen, daß Gül die Stimmungslage für eine Verfassungsänderung abtasten wollte, offiziell wollte das aber niemand bestätigen.

Mit einer Verfassungsänderung könnte die AKP ein Verbotsverfahren erschweren oder gar aushebeln. Befinden sich die Islamisch-Konservativen bereits auf der Überholspur?

Der ehemalige Generalstaatsanwalt Vural Savas befürchtet dies. „Die AKP treibt die Reform des Verfassungsgerichtes voran, die derzeitigen elf Richter sind Verfechter des Laizismus, sie sind noch von Güls Vorgänger Ahmed Necdet Sezer eingesetzt. Wenn in Zukunft die Zahl der Richter auf 17 erhöht würde, könnte die AKP mit eigenen Leuten die Entscheidungsfähigkeit zu ihren Gunsten beeinflussen.“ Savas befürchtet auch ein Einknicken der Militärs: „Im Sommer wird mit der jährlichen Runde von Personalentscheidungen bei der Armee wahrscheinlich auch das Militär unterwandert werden. Danach ist die Republik im bisherigen Sinne zu Ende.“ Savas, der in der Vergangenheit bereits die AKP-Vorgängerparteien Fazilet und Refah verboten hatte, sieht die Schlacht bereits verloren. Erdogan hätte 25 Jahre lang versucht, zu beweisen, daß der Laizismus nicht mit dem Islam vereinbar sei.

Und tatsächlich scheint der AKP-Chef auf dem besten Wege zu sein, seine politischen Gegner aus dem Weg zu räumen.

Erdogan nutzt dabei geschickt die Stimmung im Volk. So wurden in der Vergangenheit mehrere Personen unter dem Verdacht, Mitglied der nationalistischen Geheimorganisation „Ergenekon“ zu sein, festgenommen. Unter ihnen namhafte Journalisten, Anwälte und Wirtschaftsleute. „Ergenekon“ wird mit politischen Morden unter anderem an dem armenischen Journalisten Hrant Dink und organisierter Wirtschaftskriminalität in Verbindung gebracht. Die Organisation zieht sich bis in hohe Polizei- und Militärkreise. Auch die ehemalige Ministerpräsidentin Tansu Ciller soll in die Machenschaften des sogenannten „Tiefen Staates“, einer Art Staat im Staate, verwickelt gewesen sein. In den Medien nimmt man die Verhaftung des Journalisten Ilhan Selcuk von der renommierten kemalistisch orientierten Zeitung „Cumhurriyet“ (Republik) als Einschüchterung der säkularen Meinungsmacher zur Kenntnis.

Auf die Frage, ob das Militär noch vor Veränderungen an der Führungsspitze einschreiten könnte, gibt sich Vural Savas gegenüber der „Welt“ resigniert: „Die wahren Intellektuellen unseres Landes waren immer diejenigen, die am meisten unter den Militäreingriffen litten. Das Militär hat nicht genug Rückhalt für einen Eingriff.“

Foto: In die Enge getrieben: Erdogan (l.) und Gül planen den Gegenschlag.


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