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12.04.08 / Die Russen kommen / Gazprom-Interesse am Bahn-Tower zeigt die neue Anziehungskraft der Spreemetropole

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-08 vom 12. April 2008

Die Russen kommen
Gazprom-Interesse am Bahn-Tower zeigt die neue Anziehungskraft der Spreemetropole
von Markus Schleusener

Hertha BSC hat im März die Litfaßsäulen Berlins mit einem Motiv bekleben lassen, das genau zur richtigen Zeit kam: Auf dem Plakat ist Sofian Chahed zu sehen, der 25jährige Abwehrspieler der Herthaner. Er geht den Kurfürstendamm entlang und sagt: „Schalke? In Charlottenburg sind wir reiche Russen gewohnt.“

Gemeint ist Gazprom. Die Russen sind die neuen Eigentümer des Bundesligavereins aus Gelsenkirchen. Außerdem ist es eine Anspielung auf den hohen Russenanteil in dem West-Berliner Bezirk, die nicht nur in „Charlottengrad“, wie der Bezirk schon in den 20er Jahren scherzhaft genannt wurde, verstanden wird. Denn seit einigen Tagen geht das Gerücht um, daß Gazprom in Berlin groß expandieren will.

Der russische Energielieferant hat bereits eine Berliner Dependence in Mitte. Als wäre diese Adresse nahe Unter den Linden nicht schon repräsentativ genug, zieht es den Multi nun an eine der allerbesten Adressen: ins Sony-Center am Potsdamer Platz.

Dort wird 2009 der „Bahn-Tower“ frei. So stellt sich die Frage: Wird aus dem gläsernen Hauptquartier der Deutschen Bahn AG dann ein Gazprom-Baschnja, ein Gazprom-Turm?

Es ist nicht zu übersehen, daß das Unternehmen für seine derzeit 120 Berliner Angestellten mehr Fläche benötigt, „um zukünftig den wachsenden Geschäftsaktivitäten und dem damit verbundenen Personalwachstum Rechnung zu tragen“, wie ein Konzernsprecher erklärt. In den ersten drei Quartalen 2007 machte Gazprom Deutschland annähernd fünf Milliarden Euro Umsatz. Nun suche die Firma „mittelfristig“ nach neuen Büros in Berlin.

Gazprom ist ein mächtiger Spieler auf dem globalen Energiemarkt. Schon jetzt gehört er zu den 20 größten Konzernen der Welt. Das schrieb jedenfalls die US-Wirtschaftszeitschrift „Forbes“ in ihrer Ausgabe der vergangenen Woche.

Gazprom baut derzeit in Deutschland ein Erdgaskraftwerk bei Greifswald und das „größte unterirdische Erdgaslager Europas“. Dies geschieht natürlich im Zusammenhang mit der Ostsee-Pipeline, die vom russischen Wyborg nach Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern) verlaufen wird.

Ist da eine Unternehmenszentrale in Sichtweite des Kanzleramtes immer noch eine Nummer zu groß? Die Russen überschwemmen Westeuropa geradezu mit ihren Rohstoffmilliarden, und nicht nur Zyniker sagen: Es ist besser im Ausland angelegt als im Heimatland, wo Investitionen noch immer als unsicher gelten. „Da wird es doch nur geklaut“, soll ein russischer Multimillionär gesagt haben, als er in Berlin mehrere Wohnhäuser kaufte und gefragt wurde, warum er sein Kapital aus „Mütterchen Rußland“ abziehe.

In dem selben Bundesland wie Gazprom ist noch eine andere russische Investmentfirma tätig. FLC-West hat gerade die Werften von Wismar und Warnemünde übernommen. Die Öffentlichkeit hat das mit einem Achselzucken zur Kenntnis genommen. Die Aufträge kommen jetzt eben wieder aus Moskau. Wie früher.

Andere Firmen erleben durch den neuen Ost-West-Handel einen jähen Wiederaufschwung. Aeroflot, früher im Westen gerne als Aeroschrott verschmäht, wirbt inzwischen nicht nur im deutschen Fernsehen, sondern auch in den Wagen der Deutschen Bahn. Neue Fluggesellschaften wie KD-Avia richten immer mehr Direktverbindungen wie die zwischen Berlin und Königsberg ein.

Es geht aber nicht immer nur um Milliarden, wenn Russen in Deutschland Geschäfte tätigen. Es sind oft auch ganz kleine Ladenbesitzer, die den deutsch-russischen Handel beleben. Inzwischen hat fast jeder Bezirk sein eigenes Geschäft mit russischen Spezialitäten.

Mit der wirtschaftlichen Expansion geht die Bildung einer „kulturellen Parallelwelt“ einher. Tatsache ist, daß jeder Berliner heute wissentlich oder nicht praktisch täglich einem der 100000 bis 200000 Russen in Berlin (so genau kennt ihre Zahl niemand) begegnet.

Sie konsumieren ihre eigenen Medien. Es gibt zum Beispiel die Zeitschrift „Russkij Berlin“ und einen Radiosender mit dem gleichen Namen (halbtags zu hören auf 97,2). Aber noch keinen Fernsehsender.

Der ist wohl auch nicht nötig, weil sich heute jedermann russisches Original-Fernsehen per Satellit oder Kabel ins Haus holen kann. Die Telekom bietet neuerdings Internet-basiertes Fernsehen an.

Sehr beliebt neben Italienisch, Polnisch und Türkisch: das Paket Po-Russki für 9,99 Euro. „Das verkauft sich sehr gut“, versichert ein Telekom-Mitarbeiter. Es müssen ja nicht immer nur Gas und Öl sein, die den Besitzer wechseln.

Foto: Symbol wirtschaftlicher Macht am Potsdamer Platz: Der „Bahn-Tower“ (zweites Gebäude von links) könnte bald zum „Gazprom-Baschnja“ mutieren.


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