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12.04.08 / Blut und Spiele für Olympia / Fackellauf und Ereignisse auf dem »Dach der Welt« entwickeln sich zu einem PR-Desaster für China

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-08 vom 12. April 2008

Blut und Spiele für Olympia
Fackellauf und Ereignisse auf dem »Dach der Welt« entwickeln sich zu einem PR-Desaster für China
von Albrecht Rothacher

Die chinesische Führung hatte die Unruhen woanders erwartet: In Xinjiang (Ost-Turkestan) im Lande der Uiguren – nicht in Tibet, das nach der Niederschlagung des letzten Aufstandes von 1989 als befriedet galt. So wurde in Xinjiang im Vorjahr ein angebliches Terroristenlager ausgehoben und die meisten Insassen erschossen. Im März wurde eine obskure Flugzeugentführung einer 19jährigen Uigurin vereitelt und 70 der üblichen Verdächtigen verhaftet. Und damit die Pekinger Dissidenten nicht auf falsche Gedanken kommen, ließ die Partei deren zwei rechtzeitig zum Fackelstart in Schauprozessen zu abschreckender Lagerhaft verurteilen. So erhielt der Menschenrechtsaktivist Hu Jia dreieinhalb Jahre wegen Subversion. Er hatte den Handel mit Aids-verseuchten Blutkonserven aufgedeckt und publik gemacht. Der Bauernaktivist Yang Chun-lin bekam fünf Jahre wegen „Anstiftung zum Umsturz“. Yang hatte Entschädigungen für enteignetes Ackerland gefordert.

Damit sollte eigentlich Ruhe im Land herrschen für das Riesenspektakel im August, mit dem sich die kommunistische Führung unter Hu Jintao vor der Welt als arrivierte Weltmacht abfeiern lassen wollte. Die regionalen Rivalen Tokio und Seoul hatten 1964 und 1988 der Welt ihren neuen Status als Hauptstädte entwickelter Industriestaaten bei Olympischen Spielen vorgeführt. Jetzt soll Peking alles bisher Dagewesene mit perfekter Organisation, sozialer Harmonie und gigantischen Bauten über abgerissenen Altstadtvierteln in den Schatten stellen. Die Dissidenten und Uiguren abgeschreckt und eingesperrt, nichts sollte mehr das kitschige Spektakel des „Eine Welt, ein Traum“ stören. Ja selbst der hartnäckige Smog in Peking soll durch Produktions- und Fahrverbote während der Spiele aufs Erträgliche vermindert werden.

Und nun wächst sich jenes teure Spektakel zu einer Image-Ka­tastrophe für das kommunistische Regime aus. Bei dem weltweiten Staffellauf interessieren von London bis San Francisco nur die Protestformen – wie oft gelingt es, das Feuer auszupusten? –, nicht die schwitzenden Läufer dieses Schaulaufens.

Zunächst war wegen der schnell verhängten Nachrichtensperre und Ausweisung aller Ausländer unklar gewesen, was in Tibet eigentlich passierte. So zeigten Westmedien ungesichertes Fernsehmaterial, und waren auf Hörensagen angewiesen. Doch bald stellte sich heraus, daß die vorschnelle Vorverurteilung durch die Weltöffentlichkeit zu Recht erfolgt war und daß das Pekinger Regime durch seine übliche Brutalität die Proteste erst Recht zum Ausbruch und zur Verbreitung über den gesamten tibetisch besiedelten Raum verholfen hatte.

Angefangen hatte alles mit einer kleinen Feier im Oktober. Nachdem der Dalai Lama in Berlin und Wien von den beiden Kanzlern empfangen worden war, war er nach Washington weitergereist, wo er von der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, einen Preis erhalten hatte. Als dies in Tibet bekannt wurde, trafen sich einige heilige Männer zu einer Feier. Drei der Organisatoren wurden prompt denunziert und in Haft genommen. Am

10. März, dem Jahrestag des Aufstandes von 1959, als Hunderttausende von der chinesischen Armee massakriert worden waren, zogen deshalb knapp 500 Mönche durch die Altstadt von Lhasa und forderten die Freilassung ihrer noch immer inhaftierten Lamas. Bei einem massiven Polizeieinsatz wurden 50 zusammengeschlagen und verhaftet. In den Folgetagen radikalisierten sich die Proteste. Statt nur Freilassungen zu fordern, wurden nun die verbotenen tibetischen Flaggen geschwenkt und Freiheit für Tibet gefordert. Die Polizeieinsätze nahmen an Härte zu. Aus Provinzstädten Tibets wurden erste Tote gemeldet. Einzelne Tempel wurden abgeriegelt. Am 14. März war dann der Höhepunkt der Proteste in Lhasa. In der tibetanischen Altstadt wurden chinesische Geschäfte geplündert und angezündet. Auch die Filiale der Bank of China, ein Regierungshotel, eine chinesische Schule und die Moschee der ebenso unbeliebten muslimischen Chinesen, der als Händler tätigen Hui, wurden eingeäschert. War am Morgen die Polizei so gut wie unsichtbar, so begann sie am Nachmittag ziellos in die Menge zu schießen. Am Folgetag kam es dann zu Panzereinsätzen, Massenverhaftungen und weiteren Brandstiftungen. Ab dem 18. März wurde es dann in Lhasa und in Tibet selbst nach der Abriegelung der meisten Klöster, ihrer systematischen Durchsuchung und Verhaftung aller Verdächtigen, zehn Tage lang ruhig. Die Proteste verbreiteten sich jedoch in die tibetanisch besiedelten Gebiete der Nachbarprovinzen Sichuan, Qinhai, Gansu und Yunnan, die 1965 von Tibet abgetrennt worden waren. Auch hier wurden ursprünglich friedliche Demonstrationen von Mönchen und Studenten nach dem Schußwaffeneinsatz der Polizei radikalisiert und öffentliche Gebäude und chinesische Geschäfte angegriffen.

Nach Massenverhaftungen, Toten in den meisten Städten, Ausgangssperren, Haussuchungen, und den Blockaden der größten Klöster kehrte ab dem 21. März auch in Groß-Tibet eine vorläufige Friedhofsruhe ein. Mutmaßlich 130 Tote und mindestens 1200 Verhaftungen sind die bisherige traurige Bilanz.

Die chinesische Führung hatte von Anfang an behauptet, die Unruhen seien von der kriminellen Dalai-Lama-Clique angezettelt worden. Beweise legte sie dafür bisher keine vor, wenn man von  den „Geständnissen“ in ersten Schauprozessen einmal absieht. Auf den Dalai Lama selbst, der stets zur Gewaltlosigkeit („Gewalt ist Selbstmord“) aufgerufen hatte, wurden die Mistkübel alt-maoistischer Hetzrhetorik ausgegossen. Der Friedensnobelpreisträger sei, so Zhang Qingli, der chinesische KP-Chef Tibets, ein „Wolf in einer Mönchskutte, ein Teufel mit Menschengesicht und dem Herz einer Bestie“. Gegenüber den Separatisten gäbe es nur einen Kampf auf Leben und Tod. Sie müßten in einem „Volkskrieg“ völlig ausgerottet werden. „Volkskrieg“ ist ein wohldefinierter maoistischer Begriff. Er bedeutet die totale Mobilisierung der Bevölkerung gegen einen äußeren oder inneren Feind, einschließlich der Denunziation und Auslieferung Verdächtiger und ihrer Unterwerfung in Propagandakampagnen und Umerziehungslagern.

Innerhalb China selbst wurde ausschließlich Gewalt, die am 14. März von den Tibetern ausging, gezeigt. Es habe dabei 20 Tote gegeben – natürlich nur Chinesen. Auf die Ursachen der Krawalle wird nicht eingegangen. Es sei ausschließlich die Schuld der Dalai-Clique, die aus dem Ausland Unfrieden stifte und sich mit den Uiguren verbündet habe, um die Olympischen Spiele durch Terror zu stören. Um ihre Agitprop-Version auch im Ausland zu verbreiten, wurden Ende März ausgewählte Journalisten auf eine geführte Tibet-Tour eingeladen. Im Jokhang-Tempel allerdings unterbrachen 30 junge Mönche den Vortrag eines linientreuen Mitbruders. Sie riefen unter Tränen, man möge jenen Lügen nicht glauben. Sie liebten den Dalai Lama. Tibet solle endlich frei werden. Sie wurden dann von der Miliz abgedrängt.

 

»Volkskrieg« im Zeichen der Ringe

Die Reaktion der Weltöffentlichkeit war überwältigend, wurde jedoch von der chinesischen Führung im Glauben an die eigene Propaganda und aufgrund ihrer Erfahrung mit liebedienerischen Auslandspolitikern bei deren Pekingpilgerschaften völlig falsch eingeschätzt. Man hatte geglaubt, man könne das Problem ohne lästige Zeugen bereinigen und mit Propaganda und Olympischem Jubel vergessen machen. Stattdessen gab es gezählte 2000 Protestveranstaltungen weltweit und eine Boykottdiskussion, welche die Sportfunktionäre der Olympischen Komitees nicht mehr unterdrücken können. War bislang die Boykottforderung einiger Hollywood-Größen wie Steven Spielberg, Mia Farrow und Brad Pitt wegen der Sudanpolitik der Chinesen und ihrer indirekten Förderung des Genozids in Darfur nicht recht vom Fleck gekommen, so kann jetzt mit der Repression in Tibet nunmehr der direkte kulturelle Genozid der chinesischen Kolonialmacht am tibetischen Volk, seiner Sprache und Kultur thematisiert werden. Allenthalben sah sich die politische Klasse gezwungen, der chinesischen Führung den Dialog mit dem Dalai Lama, den sie gerade zur Unperson erklärt hatte, ans Herz zu legen. Die EU fand zwar, wenig überraschend, bisher noch keine einheitliche Linie. Doch gab etliche Prominenz, wie Polens Premier Tusk und Tschechiens Präsident Klaus, bekannt, die Eröffnungsveranstaltung boykottieren zu wollen. Kanzlerin Merkel verkündete, sie habe ohnehin nicht hinfahren wollen.

Noch hält das Inzernationale Olympische Komitee daran fest, seine Wahl Pekings sei die richtige gewesen, auch wenn China alle Zusagen politischer und medialer Offenheit bislang gebrochen hat. Doch mag durchaus bald die Stunde der Wahrheit für die von China gründlich diskreditierte Olympische Idee schlagen, die nach ihrer hemmungslosen Kommerzialisierung jetzt durch die verkitschende Verei­nahmung westlicher Symbolik durch die kommunistische Propaganda vollends lächerlich wird. Die zwölf Großsponsoren, darunter die Gesundheitshersteller Coca-Cola und McDonalds, die insgesamt 870 Millionen US-Dollar zahlten, dürften dieser Investition nicht froh werden. Das gilt auch für Volkswagen, das den unseligen Fackellauf mit bezahlte. Sie können von Glück reden, wenn sie nicht selbst die Zielscheiben von Boykottaufrufen werden. Doch auch das Pekinger Regime wird seiner Spiele nicht glücklich werden. Präsident Hu Jintao, der selbst anno 1989 als Parteichef in Lhasa hunderte Tibeter erschießen ließ, übergab am 31. März mit steinerner Miene die Fackel dem ersten Läufer in China, nachdem ihre Entzündung in Olympia schon von protestierenden Reportern gestört worden war. Sein stolzer Tag war gründlich verdorben. Bis die Fackel China nach ihrer Weltreise am 5. Mai wieder erreicht, dürfte das Wort von den Olympischen Spielen des Völkermords in aller Munde sein.

Foto: Mit einer starken Präsenz von Polizei und Militär will China „friedliche“ Spiele garantieren: Die Olympischen Spiele 2008 werden nicht zuletzt aufgrund der gewalttätigen Ereignisse in Tibet im Weltgedächtnis bleiben.


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