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12.04.08 / Unseren täglich Talk gib uns heute

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-08 vom 12. April 2008

»Moment mal!«
Unseren täglich Talk gib uns heute
von Klaus Rainer Röhl

Schminkraum. Die Darsteller beäugen sich mißtrauisch. Also den hab’ ich mir ganz anders vorgestellt. Bräunungsstudio! Na, im Film sieht die aber besser aus. Ob das überhaupt echtes Haar ist? Aufgetakelt, in dem Alter! So, jetzt geht es erst mal in die „Maske“. Nein, ich will nicht geschminkt werden, ich schminke mich selbst, ich brauche eine halbe Stunde. Gar nicht. Sie müssen geschminkt werden, wegen der Kamera. Und wer ist das eigentlich? Ein Stuntman, ein Prominentenfrisör, ein FDP-Politiker, eine vor Aufregung bibbernde Altschauspielerin („Ich nervös? Ich bin überhaupt nicht nervös. Wissen Sie, wie oft ich vor der Kamera gestanden habe?“), ein jugoslawischer Fußballtrainer (gerade gekündigt), ein männlicher Stripteasetänzer, ein Drei-Sterne-Koch. Und immer ich, als Bösewicht vom Dienst, als Kommunist (nicht so schlimm, Wehner war ja auch), als Meinhof-Ehemann (auch nicht schlimm, man muß ja nur verstehen, warum sie Terroristin wurde), als Entdecker von Rühmkorf, dem besten deutschen Lyriker, und Wallraff, dem Rächer der Enterbten, als Zeitschriftenchef mit den schönen Titelbildern („Sitzen die bei Ihnen eigentlich nackt auf dem Schreibtisch?“), als Autor eines Buches über Alice Schwarzer („Haben Sie keine Angst, daß die Feministinnen mal kommen und Ihnen …?“), als Gründer einer Zeitschrift für die Neuen Alten = „Oldie“ (gute Idee, aber wo ist die Zeitschrift geblieben?), später als Konservativer (schlimm), als Autor der „Welt am Sonntag“ (auch schlimm) und als Nolte-Schüler und Kolumnist bei der PAZ (ganz schlimm).

Oft wurde ich als Treibsatz bei der allerersten Talk-Show eingesetzt, bei der die Moderatoren vor Aufregung bibberten, auch wenn sie vorher so viele Filme gemacht hatten wie Dietmar Schönherr oder so viele „Panorama“-Sendungen wie Gert von Paczensky (= Patsch). Was hab’ ich für Fußballtrainer, Fußballtorwarte, Modefrisöre, Modeschneider und Modeköche und ehemalige Ufa-Schauspielerinnen kennengelernt, zu dicke Männer und zu dünne Frauen, Theodorakis-Arafats-Gaddhafis Freundin („Bild“-Schlagzeile später: „Röhl heiratet Gaddhafis Braut! Trauung in der Michaeliskirche“), Geistheiler und Geisterseher ertragen müssen, Schlagersängerinnen, Volker Elis Pilgrim, als Talkgast und Talkmaster, Filmsternchen, Models und immer wieder PolitikerInnen aller Schattierungen („Ich finde Sie widerlich, Herr Röhl“, Hildegard Hamm-Brücher, „Du bist ein Chauvi“, Heide Simonis).

Da gab es Leute, die im Studio mit einem ziemlich eindrucksvollen Gerät herumpendelten, um zu beweisen, daß es keinen Zufall gibt, oder Leute, die exotische Tiere mitbrachten, asymmetrisch mit den Ohren wackelten oder, und das war die Mehrheit, einfach die Welt verändern wollten, leider aber nie ausreden durften. Sie kommen nachher noch mal dran! … Ja, leider ist unsere Sendezeit wieder einmal um, aber im Internet können Sie noch ....

Warum sind Talk-Shows – zur Zeit über 50 (!) – so populär? Weil sie eine einfache Botschaft rüberbringen: Die „anderen“, die Filmschauspieler, Politiker, Fußballtrainer, Geistheiler, Psychologen, Chaosforscher, Theologen, Terroristen sind genauso eitel, tapsig, ungebildet, weltfremd und affig wie wir.

Der Verlauf einer Talk-Show kann in kurzen Worten wiedergegeben werden: „Nun stelle ich Ihnen noch einen ganz besonderen Gast vor“, liest die Moderatorin von einem kleinen Spickzettel ab. „Es ist Professor …“ „Nein, ich bin nicht Professor, ich bin nur …“ „Ja, und jedenfalls hat er gerade ein neues Buch herausgebracht.“ „Ja, und nun kommen wir zur Diskussion über dieses brennende Thema, das gegenwärtig alle unsere Zuschauer bewegt, glaube ich.“ „Also, wenn ich auch mal was dazu sagen darf …“ „Sie haben kein Recht, hier mitzureden …“ „Das müssen ausgerechnet Sie mir sagen …“ „Wenn Sie mich mal ausreden ließen, Frau Abgeordnete, hätte ich Ihnen das längst erklärt …“ „Das fehlte noch, daß Sie hier ausreden, Sie haben doch die ganze Zeit geredet …“ „Ja, ich danke Ihnen, ich sehe, daß wir noch viele Wortmeldungen aus dem Publikum haben, viele Anrufe …“ „Was der Vorredner hier gesagt hat, war eine solche Unverschämtheit (Beifall), daß man sich fragt … wie lange der hier noch weiterreden darf (noch größerer Beifall) …“ „Muß ich mir das hier gefallen lassen?“ „Sie kommen später noch mal dran.“

Ja, ich glaube, das war eine sehr lebhafte Diskussion, und wir haben alle viel gelernt an diesem Abend über die Situation in unserem Land. Ich finde, wir sollten das Thema beim nächsten Mal noch vertiefen, tut mir leid, jetzt ist leider Sendeschluß, aber Sie können das ja noch hinterher im Internet weiterführen, wir danken Ihnen allen, vor allem unserem Publikum.“

Murmeln, Kamera aus. Das Leben geht weiter. Alles Müller ... oder was? Plötzlich ist die Stimmung wie ausgewechselt, die Gesichter entspannen sich, alle sind jetzt viel natürlicher, und der Wiener Talkmeister nimmt die blondlockige Feministin, von der man eben noch glaubte, sie werde alle Männer persönlich kastrieren, in den Arm und sagt: „So, jetzt gibt’s erst mal a Busserl.“

Hinterher gehen alle in ein nahegelegenes Restaurant, der Sender lädt ein. Die armen Schlucker, die alten Schauspieler ohne Rolle und ohne Rente, die Schriftsteller ohne Bücher und Leser, die Behinderten, Knastis, Drogensüchtigen oder anderen Opfer der Gesellschaft freuen sich über das (für eine Fernsehstunde) lächerliche Honorar von 500 Euro und die in ihren Augen üppige Mahlzeit, die sie würdevoll zu sich nehmen. Die Besserverdienenden oder ganz Reichen, die aus irgendeinem Grunde in die Talk-Show mußten (zum Beispiel alle Politiker), oder die Meisterköche und die Prominentenfrisöre, die ganz andere Speiserestaurants gewohnt sind, machen gute Miene zum Mittelklasserestaurant und finden ihre Diskussionspartner von eben „bemerkenswert“. Jetzt könnte die Talk-Show beginnen. Keiner, der den eben noch heftig angeschrienen Gegner jetzt, nach dem Steak, noch zerfleischen würde. Alle sind sehr angetan von der Sendung, und die Moderatoren versichern allen pausenlos (und sich selbst), wie viele Anrufe es schon während der Sendung gegeben habe. Die Zahlen stimmen selten, und die über 100 Anrufe, die ich damals bekommen haben soll, als ich Christina Söderbaum gegen den Vorwurf verteidigte, sie habe für die Nazis gearbeitet, waren in Wahrheit 20. Ende. Man bleibt noch einen Augenblick beisammen und trinkt ein Glas mehr als üblich. Die Politiker gehen zuerst. Sie haben morgen Sitzung. Für sie ist immer morgen. Aber alle fanden sich und dadurch auch die Sendung hochinteressant, und „wichtig“, und die Moderatoren beginnen im Geist schon mit der Zusammenstellung der nächsten Talk-Show.

Die Vorbilder – unerreicht: Oprah Winfrey und David Letterman in den USA. In einem erbarmungslosen Kampf nach ganz oben gekommen, haben die tatsächlich die Gelassenheit, die unsere Moderatoren nur imitieren, und so kriegen sie auch jederzeit wirkliche Prominente. Mit denen sie umgehen wie mit dem letzten Penner in der Bronx, die sie anschreien, auslachen oder direkt beleidigen, und zu denen dennoch jeder kommt.

David Letterman kann mitten in der Sendung Bush anrufen, er kriegt ihn an die Strippe.

Das ist eine ganz andere Liga, und unsere Talk-Shows sind bestenfalls eine Parodie davon, kommen auch eigentlich aus einer ganz anderen Tradition, aus der Tradition der Jahrmarktsbude, die auch den größten Horror nicht scheute. „Ob’s regnet oder gewittert – der Kuhmensch wird gefüttert.“ Die Frau mit zwei Köpfen. Alles ganz dezent, alles ganz natürlich und korrekt und aseptisch wie der Sex-Appeal von Sabine Christiansen oder Anne Will. Wie die Gastgeberin, so die Gäste. Jeden zweiten Abend die gleichen Politiker mit den gleichen Spruchblasen. Immer einen von der SPD und einen von der CDU, eine Grüne und eine von der Stasi-SED, Verzeihung: Die Linke. Überproportional Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht. Würg! Immer seltener Baring oder ein anderer Konservativer. Immer wieder Lafontaine, der Rächer der Enterbten. Gähn!

Tröstlich: Die Einschaltquoten von Anne Wills Talkshow fallen. Geht es Anne Will so wie Sabine Christiansen? Hätten wir Grund das zu betrauern? Erwartet uns dann das Ende der Republik? Nein. Nur das Ende der Langeweile.

Klaus Rainer Röhl war Gast in 16 Talkshows. Mehr im Internet unter www.Klausrainerroehl.de

Foto: Gähnende Langeweile: Auch bei Anne Will attackieren sich die Gäste mit den alten Schlagwörtern.


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