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12.04.08 / Typisch türkisch – oder nicht? / Autorin suchte Landsleute, die sich in der Politik engagieren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-08 vom 12. April 2008

Typisch türkisch – oder nicht?
Autorin suchte Landsleute, die sich in der Politik engagieren
von Rebecca Bellano

Zugegeben, Mely Kiyak hat sich eine Aufgabe gestellt, die teilweise der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen ähnelt. Die Journalistin türkisch-kurdischer Abstammung hat es sich zur Aufgabe gemacht, Politiker mit türkischer Herkunft zu interviewen. Bei der SPD und den Grünen, ja auch bei der Linken wurde sie schnell fündig, doch bei der CDU und vor allem der FDP mußte sie sich von Bund- und Länderebene auf die Stadtpolitik herablassen, um türkischstämmige Politiker zu finden, die für diese beiden Parteien aktiv sind. „Zehn für Deutschland – Gespräche mit türkeistämmigen Abgeordneten“ ist eine durchaus interessante Mischung aus Meinungen, Klischees, politischen Zielsetzungen und Politikerbiographien geworden.

Das Spannende ist, daß weder Mely Kiyak noch die von ihr Interviewten so reagieren, wie man es erwartet. Typisch türkisch, so wie man sich das als deutscher Leser so vorstellt, ist keiner durchgehend, manchmal stößt Mely Kiyak auf erschreckend ehrliche Antworten, die vor allem die Gratwanderung der Politiker verdeutlichen.

„Ich muß Prioritäten setzen, und außerdem muß ich mir nicht zu viele Feinde auf einmal machen“, antwortet Mustafa Kara, CDU-Gemeinderatsmitglied in Neckarsulm, auf die Frage, warum er nicht einen Ausländerbeirat für seine Stadt initiiert.

Da er gleichzeitig versucht, seine muslimische Gemeinde mal aus der nur für sie zugänglichen Moschee raus und rein in ein öffentliches Gasthaus zu bekommen und türkische Mütter von den Vorzügen von Kindergärten zu überzeugen, obwohl andere Kinder dort Schweinefleisch essen, hat er schon einiges zu tun.

„Die Menschen hier reduzieren ihr ganzes Leben auf den Islam. Ich muß aufpassen, daß ich die Probleme und Vorbehalte der muslimischen Bürger nicht allzu sehr durch deren Brille betrachte, sonst kann Integration nicht gelingen“, meint der gebürtige Türke.

Er ist keineswegs der einzige, der zwischen den Stühlen sitzt. Selbst Mely Kiyak hat manchmal Probleme, sich als Türkin zu bekennen, wenn kaum Deutsch sprechende Türkinnen mit Kopftuch das Bild bestimmen.

Mit der Bundestagsabgeordneten Lale Akgün diskutiert sie über das Thema Ehrenmord. Erst will die SPD-Politikerin nicht wirklich Stellung beziehen, doch dann treibt Mely Kiyak sie zu einem Erklärungsversuch: „Die Mütter geben ihren Söhnen das Gefühl, du bist etwas besseres als deine Schwester, und dann überholt die dich links. Auch in Deutschland sind die Mädchen besser in der Schule … Der Mord ist dann der letzte verzweifelte Versuch, die eigene Macht wieder herzustellen.“

Die Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz (Grüne) hingegen macht keinen Hehl aus ihrer Einstellung zum Kopftuch. Für sie ist es ein negatives und zu verbietendes Symbol für die Unterdrückung der Frau. Diese klare Stellungnahme hat ihr schon Morddrohungen eingebracht.

„Das Perfide war, daß es in den Briefen nicht hieß: ,Wir bringen dich um‘, sondern: ,Wir bringen deine Familie um.‘ Mit der Familie war nicht nur die in Deutschland gemeint, sondern auch die in der Türkei lebenden Verwandten.“

Schon im Vorwort versucht die Autorin Kiyak herauszufinden, warum so wenig Deutsch-Türken politisch aktiv sind und warum so wenige von ihnen selbst in der dritten Generation ein Interesse daran haben, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Abgesehen davon, daß die Bundesrepublik Deutschland ihrer Meinung nach hohe Gebühren einfordert, gebe es für viele allenfalls praktische Beweggründe.

Einer davon zählt auch für Murat Kalmis, Stadtratsmitglied in Delmenhorst und wohl Deutschlands einziger türkischstämmiger FDP-Politiker. „Meine deutsche Staatsbürgerschaft habe ich gleich mit 18 Jahren beantragt … Das hatte mit der Wehrpflicht zu tun. Wenn man türkischer Staatsbürger ist, bekommt man den Einberufungsbescheid zum türkischen Grundwehrdienst.“

Murat Kalmis ist unbeschreiblich engagiert, und wenn er von seiner Arbeit im Stadtrat berichtet, dann hat man fast Mitleid mit seinen Kollegen.

„Ja, er ist eine Nervensäge, aber eine mit Herz … Murat Kalmis ist viel zu naiv, als daß er schummeln könnte … Murat Kalmis ist auch in anderer Hinsicht sehr bemerkenswert, er ist nämlich ein Migrantensohn und Hauptschulabsolvent aus einem bildungsfernen Haushalt“, erklärt Mely Kiyak den Hintergrund des jungen Politikers, der bei den türkischstämmigen Politikern eine absolute Ausnahme bildet, denn alle anderen kommen aus an Bildung interessierten Familien, was wiederum bei den meisten türkischstämmigen Migranten eine Ausnahme darstellt.

„Zehn für Deutschland – Gespräche mit türkeistämmigen Abgeordneten“ bietet durchaus Erklärungen an, warum so wenig Türken politisch engagiert sind, und verdeutlicht die Probleme, vor denen die wenigen, die sich politisch betätigen, stehen. Mehr von ihnen wären für Deutschland tatsächlich gut, denn sie stellen eine der wenigen Brücken zwischen drohender türkischer Parallelgesellschaft und Integration in die deutsche Wertegemeinschaft dar.

Mely Kiyak: „Zehn für Deutschland – Gespräche mit türkeistämmigen Abgeordneten“, edition Körber, Hamburg 2007, broschiert, 254 Seiten, 14 Euro


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