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12.04.08 / Er dachte selber / Biographie eines DDR-Dissidenten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-08 vom 12. April 2008

Er dachte selber
Biographie eines DDR-Dissidenten

Dieser Ort war auf keiner Karte in der DDR verzeichnet: die Stasi-Haftanstalt in Berlin Hohenschönhausen. Inzwischen ist sie zum Symbol für den Schrecken der SED-Diktatur geworden. Wer dort eingeschlossen war, blieb für die Außenwelt wie vom Erdboden verschluckt.

Vor mehr als 30 Jahren war dort einer der wichtigsten Oppositionellen des SED-Staates, Jürgen Fuchs, eingesperrt. Sein Protest gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann war der Anlaß, ihn zu inhaftieren. Doch den Willen, er selbst zu sein, ließ sich der Schriftsteller und Menschenrechtler auch durch tägliche Verhöre nicht austreiben. In dieser  Situation hatte er die Kraft, die psychologisch ausgefeilten Zermürbungstechniken zu analysieren. Schon kurze Zeit nach seiner Zwangsabschiebung 1977 in den Westteil Berlins veröffentlichte er eine „Spiegel“-Serie und ein Buch, in dem er die subtilen Methoden der Unterdrückung im dokumentarischen Stil darstellte. Fuchs gehörte zu den ersten, die darauf aufmerksam machten, daß die Gewalt in der SED-Diktatur in ein neues Gewand geschlüpft war. Diese zielte bei der ideologisch motivierten Säuberung der Gesellschaft vor allem auf das unschädlich Machen des denkenden Ichs.

Knapp zehn Jahre nach seinem rätselhaften Tod im Jahr 1999 erinnert nun erstmals eine Biographie an diesen Mann: „Jürgen Fuchs – Ein literarischer Weg in die Opposition“. Ihr Verfasser, der Thüringer Autor Udo Scheer, gehörte einst selbst zu den Dissidenten-Kreisen in der DDR.

1950 im vogtländischen Reichenbach geboren und aufgewachsen, war Fuchs schon als Schüler wegen kritischer Meinungsäußerungen bei der Schulleitung aufgefallen. 1971 überraschend zum Studium der Sozialpsychologie zugelassen, wurde er 1975 kurz vor dem Examen aufgrund von oppositionellen Texten exmatrikuliert: „Wegen Schädigung des Ansehens der Universität in der Öffentlichkeit“.

Nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann im November 1976 protestierte er, danach folgte die Verhaftung. Aus der Haft nach neun Monaten entlassen und in den Westen ausgebürgert, wird er begleitet von den Worten: „Legen Sie sich später nicht mit uns an. Wir finden Sie überall. Auch im Westen. Autounfälle gibt es überall.“

In der Bundesrepublik veröffentlichte Fuchs später seine Bücher „Das Ende einer Feigheit“ und „Vernehmungsprotokolle“, in denen er Innenansichten der Macht im SED-Staat und ihrer Zwangssozialisation lieferte.

In West-Berlin stand er weiterhin unter der Beobachtung durch die Staatssicherheit, die versuchte, ihn mit Hilfe von ausgeklügeltem Psychoterror zu „zersetzen“.

In den 90er Jahren erkrankte er an Leukämie. Und in ihm keimte der Verdacht, daß die Krankheit durch versteckte Anwendung von Röntgenstrahlen während seiner Haftzeit verursacht wurde. Dafür werden im Buch Indizien genannt. 1999 starb Fuchs an Krebs.

Der Autor Scheer versteht es, die Leser auf der Reise durch dieses Leben mitzunehmen. In seiner Darstellung erreicht er eine existentielle Unmittelbarkeit der Lebensbeschreibung, die nebenbei die diffusen und auch konkreten Bedrohungen der Menschen im SED-Staat fühlbar werden läßt. Auch aus diesem Grund ist das Buch lesenswert.      H.-J. Föller

Udo Scheer: „Jürgen Fuchs – ein literarischer Weg in die Opposition“, 320 Seiten, Jaron Verlag, Berlin 2007, 14,90 Euro


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