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12.04.08 / Europäischer Standard ist das Ziel / Die Bewohner des Königsberger Gebiets tun sich schwer mit der Nutzung des touristischen Potentials

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-08 vom 12. April 2008

Europäischer Standard ist das Ziel
Die Bewohner des Königsberger Gebiets tun sich schwer mit der Nutzung des touristischen Potentials
von Jurij Tschernyschew

Das vergangene Jahr war für das Tourismusgeschäft im Königsberger Gebiet, ungeachtet der Tatsache, daß die Gebietsregierung ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung dieser Branche hat und sogar eine ganze Abteilung beschäftigt, die sich ausschließlich mit dieser Frage befaßt, kein einfaches. Eine erste Hürde stellte der Änderungsantrag der Staatsduma zum „Gesetz über die Grundlagen einer touristischen Tätigkeit in der Russischen Föderation“ dar, mit dem Firmen, die im Ausland tätig sind und mit ausländischen Touristen zu tun haben, gezwungen wurden, bei ihrer Bank oder einer Versicherung eine Summe von fünf Millionen Rubel (rund 135000 Euro) zu hinterlegen. Für Firmen, die sich nur auf dem russischen Markt betätigen, beträgt die Summe ein Zehntel, also eine halbe Million Rubel.

Der nächste harte Schlag für die Tourismusbranche kam mit der Entscheidung der litauischen und polnischen Generalkonsulate, ab dem 1. Juli 2007 keine kostenlosen Visa mehr für Bewohner des Königsberger Gebiets auszustellen. Ähnliche Probleme erwarteten auch die Litauer und Polen. Ungeachtet dessen hielt der Zustrom von Touristen in die Nachbarstaaten der Exklave noch einige Monate an, da viele Reisende noch über gültige Jahresvisa verfügten. Als jedoch Ende des Jahres diese Mehrfachvisa der meisten Touristen ausliefen, gab es an den polnisch-russischen und den litauisch-russischen Grenzübergängen bedeutend weniger Grenzübertritte. Das Wegbleiben der Touristen bekamen vor allem die Grenzbeamten zu spüren, die normalerweise zum Neujahrsfest Mehrarbeit leisten müssen.

Für die Bewohner des Königsberger Gebiets ist Polen immer noch das Zielland Nummer eins. Rund 40 Prozent der Touristen, die ins Ausland reisen, fahren in die Republik Polen. Auf dem zweiten Platz steht die Türkei, gefolgt von Ägypten, Bulgarien, Kroatien, Griechenland und den Ländern Zentraleuropas.

Andererseits hat die Zahl der Besucher der Exklave zugenommen, sowohl aus Rußland als auch aus anderen Ländern. Im vergangenen Jahr stieg vor allem der Anteil der Touristen aus der Bundesrepublik Deutschland. Stellten sie im Jahr 2006 noch etwa 50 Prozent der Touristen ohne russischen Paß, so stieg ihr Anteil 2007 auf 73 Prozent. Dies hängt auch damit zusammen, daß wegen der Einführung kostenpflichtiger Visa weniger Litauer und Polen in das Gebiet eingereist sind. Darüber hinaus ist es für sie – wie auch für die Königsberger – schwieriger geworden, Mehrfachvisa zu erhalten.

Wie auch in den vergangenen Jahren zog vor allem die Küste 2007 viele Besucher an. Im Sommer waren alle Hotels in Küstennähe ausgebucht. Die Mehrzahl der Gäste in den Seeorten waren Moskauer und Russen anderer Regionen, die sich hauptsächlich in Rauschen niederließen. Aufgrund des schlechten Wetters haben jedoch viele ihre Buchungen storniert oder sie reisten vorzeitig ab. Denn die Hauptbeschäftigung der Erholungssuchenden ist das Sonnen und Baden am beziehungsweise im Meer, da es im Badeort selbst keine Möglichkeit zur Zerstreuung oder zum Aktivurlaub gibt. Die meisten russischen Touristen sind auch gar nicht darauf eingerichtet. Im Ergebnis beklagten viele Langeweile und reisten vorzeitig ab. Ein wenig konnte das jährlich stattfindende Festival „Baltische Jahreszeiten“ und der internationale Spielewettbewerb „Was? Wo? Wann?“ die Lage retten.

In der Nebensaison stehen die Hotels im Königsberger Gebiet ohnehin halb leer und deshalb Teilnehmern an Konferenzen oder Geschäftstreffen zur Verfügung. Organisierte Reisegruppen kommen dann fast gar nicht. Im Winter sind nur Sanatorien und Heilpensionate gefüllt, die Kriegsveteranen und Invaliden beherbergen, denen von ihren Krankenversicherungen Kuren verschrieben worden sind. Doch auch ihre Zahl sinkt Jahr für Jahr. Die meisten Leute, die im Winter an die See fahren, bezahlen ihre Reisen selbst.

Anfang dieses Jahres trafen sich Unternehmer der Königsberger Reisebranche auf einer Konferenz, um über die Ergebnisse der Reisesaison 2007 zu beraten. Sie hielten es für notwendig, besonders das Angebot an Gesundheitsdiensten zu verbessern, da hier Nachfrage bestehe und an der Ostseeküste günstige klimatische Bedingungen herrschten. Daher ist es gut möglich, daß in Kürze neue Erholungskomplexe an der Ostsee entstehen werden. Andererseits wurde bemängelt, daß es im Königsberger Gebiet einen ernsthaften Mangel in der Tourismusbranche aufgrund des niedrigen Standards des Services und der Dienstleistungen gibt und das bei höheren Preisen als bei den Nachbarn. Unter solchen Voraussetzungen sei es schwierig, mit Polen oder Litauen zu konkurrieren.

Die Experten hielten die gute Lage des Königsberger Gebiets für ein Plus. Die russischen Touristen hätten die Chance, eine vergleichsweise „europäische Stadt“ kennenzulernen, und die ausländischen Gäste könnten Königsberg als bequemen Weg ins „große Rußland“ wählen.

Die Teilnehmer der Reiseagenturen außerten den Wunsch, daß der Kontakt zu nichtrussischen Firmen und denen der anderen Regionen der Russischen Föderation verbessert würde, daß so oft wie möglich gemeinsame Projekte und Routen erarbeitet werden, um den Service auf europäischen Standard anzuheben und die Zahl von Mittelklassehotels zu vergrößern.

Foto: Deutsche beim Königsberger Dom: Aus der Bundesrepublik kamen vergangenes Jahr mit 73 Prozent die meisten nichtrussischen Besucher der russischen Exklave.


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