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12.04.08 / Die Abkürzung / Kleine Abenteuer kann man auch abseits der Pfade erleben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-08 vom 12. April 2008

Die Abkürzung
Kleine Abenteuer kann man auch abseits der Pfade erleben
von Renate Dopatka

Heute Ruhetag!“ Ganz entgeistert starren die beiden Schwestern auf das an der Eingangstür der Almwirtschaft befestigte Schild. „Ja, so was aber auch!“ Elfi schluckt vor Enttäuschung und vor Hunger. „Ausgerechnet heute müssen die geschlossen haben! Und wir stehen ganz ohne Proviant da ...!“

Ermattet vom Aufstieg blick­en die zwei älteren Damen einander ratlos an. Natürlich liegt der Fehler bei ihnen. Ohne sich bei ihrer Pensionswirtin nach den Öffnungszeiten der verschiedenen Berggasthöfe zu erkundigen, waren sie einfach losmarschiert – im festen Glauben, unterwegs schon irgendwo einkehren zu können.

Und nun hatten sie die Bescherung! Der Magen knurrte und weit und breit waren weder Schweinernes mit Kraut und Knödeln noch eine frische Maß in Sicht! Nur Felsbrocken und sanftgrüne Matten.

„Schön ist es hier aber schon“, meint Elfi versonnen. „Diese herrliche Aussicht und dazu noch das gute Wetter! Schau dir nur die weißen Wölkchen an – sie scheinen so nah, daß man glaubt, man könnte sie greifen.“

„Satt werden wir von ihnen aber auch nicht“, erwidert Karla gereizt. Was sie ärgert, ist weniger die verriegelte Tür als das eigene sorglos-törichte Verhalten. Sie liebt es, planvoll vorzugehen. Ein Reinfall wie dieser wäre ihr selbst vermutlich nie passiert. Ja, es wurmt Karla schon heftig, daß sie sich von der jüngeren Schwester quasi vom Frühstückstisch weg zu dieser Bergwanderung hat überreden lassen:

„Es ist ein so wundervoller Tag. Wir wollen einfach aufs Geratewohl losgehen. Ohne erst lange im Reiseführer nachzusehen. Irgendwie ist es doch langweilig, wenn man schon im voraus weiß, was einen unterwegs erwartet.“

Nun, die zugesperrte Almhütte hatte Elfi dabei wohl nicht auf der Rechnung gehabt! Und sie, Karla, muß die Sache mit ausbaden, nur weil sie im Umgang mit ihrer ebenso spontan wie leichtsinnig agierenden Schwester einmal nicht die Bremse angezogen hat!

Erbittert stößt Karla ihren Wanderstock in den Kies, daß es nur so spritzt:

„Nun komm schon, oder glaubst du, die Tür geht auf, wenn du sie nur lange genug anstarrst?!“

„Unsinn!“ Elfi guckt gekränkt und gleichermaßen unlustig wenden sich beide Frauen talwärts.

Der Abstieg verläuft äußerst schweigsam – und er geht in die Knie!

„Du liebe Güte“, stöhnt Elfi. „Lange machen meine Beine das aber nicht mehr mit! Wenn wir nur schon unten wären!“

Auch wenn dichter Nadelwald den Blick hinunter ins Tal versperrt, wissen die Schwestern, daß sie noch eine gute halbe Stunde Fußmarsch vor sich haben, ehe die ersten Weiler auftauchen.

Verzweifelt hält Elfi Ausschau nach einer Abkürzung und wird auch fündig: „Sieh nur, da zweigt ein kleiner Pfad ab – wo der wohl hinführt?“

Mißtrauisch begutachtet Karla den schief in die Erde gerammten Wegweiser mit der Aufschrift „Reiterweg“.

„Wanderer wie wir haben da nichts verloren“, brummt sie mißmutig vor sich hin. „Bestimmt ist der Pfad furchtbar holprig – trittsicher sind da nur die Pferde ...!“ „Der Weg scheint direkt ins Tal zu führen“, beharrt Elfi. „Wir würden eine Menge Zeit sparen.“

Ob nun der Hunger oder die schmerzenden Knie schuld daran sind – auf jeden Fall läßt sich Karla zum zweiten Mal an diesem Tag von ihrer Schwester breitschlagen:

„Also gut, probieren wir‘s halt. Wenn‘s zu steil wird, können wir ja immer noch umkehren ...“

Vorsichtig tasten sie sich den zwischen schlanken Fichtenstämmen verlaufenden Pfad hinunter, der als solcher kaum zu erkennen ist. Steine und Wurzeln machen das Vorwärtskommen schwierig und da, wo sickernde Bächlein den Weg queren, wird die Sache auch noch rutschig.

Groß ist die Gefahr, sich hier die Haxen zu brechen. Trotzdem mag keine der Frauen mehr an Umkehr denken. Denn durch den lichter werdenden Wald schimmert bereits das helle Rot sonnenbeglänzter Hausdächer zu ihnen herauf.

Die letzten Meter über abschüssigen Wiesengrund nehmen sie quasi im Galopp. Ängstlich, mit wild pochenden Herzen, gleichzeitig aber auch von einer Art Hochgefühl beseelt, stolpern die Damen prustend zu Tal. Daß die Benutzung eines Reiterweges tatsächlich einen wilden „Ritt“ zur Folge hat, das haben sie ja nun wirklich nicht erwartet. Am liebsten würden sie ihren überspannten Nerven durch lautes Schreien oder Juchzen Erleichterung verschaffen, aber wie heißt es doch so schön: Beherrschung ist alles!

Ganz verbergen läßt sich das Erlebte jedoch nicht. Denn als sie endlich im einzigen Gasthaus des kleinen Weilers sitzen und ihre Bestellung aufgeben, meint der Wirt, noch nie zwei so ausgelassene reife Frauensleut‘ bedient zu haben. „War‘s recht schee, des Wandern?“ erkundigt er sich lächelnd.

„Wandern ist gut!“ gluckst Elfi vor sich hin.

Ein so albernes Betragen geht Karla normalerweise sehr gegen den Strich. Aber auch sie fühlt sich beschwingt wie lange nicht. Natürlich war‘s eine große Dummheit, ein solches Risiko einzugehen. Doch richtig böse ist sie der Schwester, der sie dieses Abenteuer ja letztlich zu verdanken hat, eigentlich nicht. Zu groß ist die Dankbarkeit, ohne Schrammen und Blessuren davongekommen zu sein. Nichtsdestotrotz verpaßt sie Elfi vorsichtshalber gleich einen Dämpfer, als diese spitzbübisch zu ihr herübersieht: „Eines mußt du ja zugeben: ohne Reiseführer lebt sich‘s ungleich aufregender!“

„Bild‘ dir nur nicht ein, daß ich so was noch mal mitmach‘“, erwidert Karla mit gespieltem Grimm. „Morgen geht‘s auf Schlössertour – aber streng nach Plan ...!“


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