25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
19.04.08 / Jugendamt mißachtete Hinweise / Hätte Lea-Sophie nicht verhungern müssen? – Schweriner Bürgermeister steht vor seiner Abwahl

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-08 vom 19. April 2008

Jugendamt mißachtete Hinweise
Hätte Lea-Sophie nicht verhungern müssen? – Schweriner Bürgermeister steht vor seiner Abwahl
von Markus Schleusener

Am 27. April werden die Schweriner an die Urnen gerufen. Doch sie entscheiden nicht über eine Sachfrage. In der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern geht es gleich ums Ganze. Soll Norbert Claussen (CDU) im Amt bleiben? Die Bürger haben es in der Hand, ihren Oberbürgermeister wieder abzuwählen, dem eine Mitverantwortung am Tod der kleinen Lea-Sophie zur Last gelegt wird.

Was genau ist passiert? Im November 2007 verstarb ein fünfjähriges Mädchen im Schweriner Krankenhaus. Es war auf 7,4 Kilo abgemagert. Zum Vergleich: Eine Fünfjährige sollte 15 bis 20 Kilo wiegen. Laut „Bild“-Zeitung soll eine Ärztin danach den Zustand so beschrieben haben: „Der kleine Körper war gezeichnet von Hungerödemen und offenen Wunden. Die Haare des Kindes waren büschelweise ausgefallen. Und noch ein furchtbarer Verdacht: Das Mädchen hat offenbar tagelang in seinen Fäkalien gelegen.“

Gegen die Eltern, die das Kind derartig vernachlässigt haben, wurde Anklage wegen Mordes erhoben. Sie waren es, die das bedauernswerte Geschöpf verhungern ließen.

Was sich in der Familie abgespielt hat, klingt unfaßbar: Während das Kind weder ausreichend Flüssigkeit noch genügend Nahrung erhielt, waren die Hunde der Eltern gesund. Einer sei sogar übergewichtig, schrieb die „Bild“-Zeitung.

Die Eltern von Lea-Sophie hielten noch andere Tiere in ihrer Plattenbauwohnung: Molche und Katzen. Gegen den 26jährigen Vater und die 24jährige Mutter wurde Mordanklage erhoben. Am vergangenen Dienstag begann der Prozeß.

Aber auch die Behörden trifft eine Mitschuld. Denn das Jugendamt war vom Großvater des Kindes über die erbärmlichen Zustände informiert, in denen sein Enkelkind aufwachsen mußte. Ferner gab es anonyme Hinweise.

Außerdem: Die Jugendamtsleiterin klagte bereits ein Jahr vor dem Fall im Sozialausschuß des Stadtparlaments über Arbeitsüberlastung und fehlende Mittel: „Ich kann nicht garantieren, daß wir nicht auch in Schwerin ein totes Kind haben werden.“ Geschehen ist jedoch nichts.

Die Untätigkeit der Verwaltung wiegt noch schwerer als in so spektakulären Fällen wie Jessica aus Hamburg (2005, verhungert) oder Kevin aus Bremen (2006, tot im Eisschrank). Das Schweriner Jugendamt war wirklich vorgewarnt.

Doch Norbert Claussen reagierte auf den Todesfall mit demonstrativer Gelassenheit. Er sagte auf einer Pressekonferenz „Pech gehabt“ und hielt an seinem Sozialdezernenten Hermann Junghans (ebenfalls CDU) fest. Junghans hat inzwischen ein anderes Ressort erhalten, ist aber immer noch in der Schweriner Stadtverwaltung tätig.

Als der Abschlußbericht des Untersuchungsausschusses vorgelegt wurde, aus dem hervorgeht, daß das Unglück vermeidbar gewesen wäre, da gab es eine Zweidrittelmehrheit gegen Claussen. Die 14 Abgeordneten von CDU und FDP konnten den Abwahlantrag nicht verhindern. Linke (11 Sitze), SPD (9), Unabhängige (6) und Grüne (4) stimmten für das Volksbegehren. So wird vielleicht zum ersten Mal in der deutschen Geschichte ein Bürgermeister einer großen Stadt von der Bürgerschaft aus dem Amt gedrängt.

Der Fall Lea-Sophie wirft wieder einmal die Frage auf, wie Behörden in Deutschland arbeiten und wozu sie überhaupt gut sind. Immer wieder sterben Kinder in den Haushalten von Asozialen. Sie verhungern, verdursten, erfrieren. Manche werden auch getötet und im Schrebergarten verscharrt oder im Keller einbetoniert.

Einerseits mischt sich der Staat in immer mehr Lebensbereiche ein, die ihn überhaupt nichts angehen.

Andererseits versagt er aber komplett, wenn es um die Schutzbedürfnisse der Schwächsten geht. Die Kinder aus Problemfamilien – und nur sie – brauchen die Hilfe der Jugendämter. Darauf sollten sich die Behörden konzentrieren statt hunderttausende Eltern unter Generalverdacht zu stellen, wie dies beim Bekanntwerden so spektakulärer Fälle immer wieder gefordert wird.

Foto: Kurzes Leben: Die kleine Lea-Sophie könnte noch leben.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren