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19.04.08 / Stärke durch Eingliederung? / Sarkozy unterwirft Frankreich der Nato-Militärintegration, aus der sich de Gaulle verabschiedet hatte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-08 vom 19. April 2008

Stärke durch Eingliederung?
Sarkozy unterwirft Frankreich der Nato-Militärintegration, aus der sich de Gaulle verabschiedet hatte
von Jean-Paul Picaper

Der General de Gaulle muß sich in seinem Grabe umdrehen. Sein fünfter Nachfolger als Staatspräsident, Nicolas Sarkozy, hat beschlossen, in die Militärintegration der Nato zurück-zukehren. Das löst selbstverständlich bei der kleinen Schar der „Souveränisten“ in Paris heftige Proteste aus. Die Bundesrepublik Deutschland müßte dagegen froh sein, denn der Zwist zwischen Frankreich und der Nato schaffte seit 1966 immer wieder böses Blut in den deutsch-französischen Beziehungen.

1966 hatte der aufsässige französische General den Amerikanern mitgeteilt, daß er seine Armee aus der Nato-Integration zurückzieht, der Frankreich seit der Gründung des Atlantischen Bündnisses am 4. April 1949 angehörte, da sie ihm keine gleichberechtigte Entscheidungsvollmacht im Direktorium der Allianz gönnen wollten. Der wahre Grund jedoch war, daß de Gaulle seinem Land Weltmachtgeltung wieder verschaffen wollte. Dafür hatte er seine eigene „Atomschlagkraft“ aufgebaut, die sogenannte „force de frappe“, die sein Land vom US-Schutzschild vor der sowjetischen Bedrohung befreite.

Nach 42 Jahren einer „splendid isolation“ kehrt Staatspräsident Sarkozy also in das Militärbündnis zurück. Das darf er eigenmächtig entscheiden, da der Staatspräsident laut 1958er Verfassung militärischer Oberbefehlshaber ist und strategische Entscheidungen ohne Votum des Parlamentes treffen darf.

Die „Kränkung des Parlamentes“, auf die sich Frankreichs sozialistische Opposition berief, als Sarkozy in London neulich ankündigte, er werde sein militärisches Kontingent in Afghanistan aufstocken, war deshalb nur bloßes Gerede. Daß Sarkozy sich in London statt in Paris dazu äußerte, hatte allerdings Symbolwert. Es zeigte, daß Paris fortan in Sachen Militärpolitik England näher als Deutschland steht.

Ein Vierter im Bunde, wenn man die Mächte, und zwar die USA, England und Deutschland, zusammenzählt, die Paris auf diesem Felde berücksichtigen muß, ist Rußland. Bis Anfang April 2008 wurde noch Kritik an Sarkozys Bekenntnis zur Schaffung in Europa eines amerikanischen Schutzschildes gegen interkontinentale Atomraketen mit dem Argument geäußert, er mache sich von „Onkel Sam“ abhängig und trete dem russischen Bären auf die Füße, der strikt gegen die Aufstellung von amerikanischen Stützpunkten für dieses Verteidigungssystem in der Tschechei und in Polen sei.

Bei der jüngsten Begegnung von George W. Bush und Wladimir Putin in Sotschi hat sich aber der Russe mit einem gemeinsamen System dieser Art in einem Verbund USA-Rußland-Europa einverstanden erklärt, vorausgesetzt die Partner diesseits des Atlantiks bekämen gleiche Entscheidungsrechte wie die Amerikaner.

Sarkozys Entscheidung, sein jetziges Truppenkontingent von 3200 Mann in Afghanistan um 800 Soldaten zu erhöhen, wobei die Entsendung zusätzlicher Spezialkräfte eine Rolle spielt, berücksichtigt den Umstand, daß dieses kleine Land Afghanistan zwischen zwei potentiell gefährlichen Staaten liegt, und zwar Pakistan, das schon die Atombombe besitzt und politisch sehr labil ist, und dem Iran, der politisch leider recht stabil ist, und bald die Atombombe haben wird. Dadurch gewinnt die Präsenz westlicher Truppen in Afghanistan mit der Möglichkeit der Positionierung von Frühwarnsystemen unter deren Aufsicht eine neue Dimension. Was Putin „nolens volens“ eingesehen hat, muß auch Sarkozy zugeben. Nur im Verbund mit Amerika ist unsere Sicherheit zu verteidigen, zumal die Chinesen mit den Fällen Tibet, Sudan und anderen gerade zeigen, daß sie auf einem anderen Planeten als wir leben.

Vor diesem Hintergrund wurde Sarkozys neueste Absage auf dem Gipfel der Nato in Bukarest Anfang April 2008 an einen raschen Beitritt der Ukraine und Georgiens in die Reihen des atlantischen Bündnisses verständlich. Obwohl der amerikanische Präsident offiziell die Anträge dieser beiden Staaten Osteuropas unterstützt, war es Teil seines Deals mit Putin, daß Kiew und Tiflis noch eine Weile vor der Tür warten müssen, wenn Putin dafür Zugeständnisse in Sachen Schutzschild macht. Man kann dem Kreml nicht zu viel auf einmal aufbürden. Denn es geht dabei um unser aller Überleben. Um die zusätzlichen Ausgaben im Rahmen der veränderten Strategie zu finanzieren, wird ein neues militärisches Weißbuch im Mai, anderthalb Monate vor Frankreichs Vorsitz im EU-Ministerrat, in Paris veröffentlicht. Es wird einige grausame Einschnitte in die Landesverteidigung kundtun. Über zehn Regimenter, mehrere Garnisonen werden aufgelöst. Ein Drittel der Bomben, der Missile-Boden-Luft-Raketen und der Flugzeuge der strategischen Luftwaffe werden gestrichen. Dafür läuft 2010 das vierte, modernere Atom-U-Boot SNLE-NG „Le Terrrible“ zum Preis von 1,52 Milliarden Euro vom Stapel. Es ist mit der neuen Atomrakete M51 ausgerüstet, die größer und wirksamer als die frühere ist und doch weniger wiegt. Dennoch mußten komplizierte Probleme der Bootsstabilisierung beim Abfeuern dieser dicken Zigarre gelöst werden.

Trotz seiner Rückkehr in die Nato bleibt Sarkozy der gaullistischen Abschreckungsdoktrin treu. Die mit „Le Terrible“ verstärkte unabhängige, nukleare „force de frappe“ kostet Frankreich zwei Prozent seines Jahresetats. Aber „sie ist die Lebensversicherung der Nation“, betonte vor wenigen Tagen der Staatspräsident. Daher kam die Kritik seines Intimfeindes, des ehemaligen Premierministers von Chirac, Dominique de Villepin, etwas überzogen vor, der ihm auf dem Sender Canal+ vorwarf, die Selbständigkeit Frankreichs und seinen strategischen Entscheidungsspielraum aufzugeben. „Die Nato ist eine Organisation unter amerikanischer Dominanz“, hob der frühere Premier hervor, wobei er nicht vollkommen Unrecht hat, abgesehen davon, daß die Amerikaner heutzutage an ihre Grenzen stoßen und wissen, daß sie nicht alles selbst bewältigen können.

Frankreich entsendet nach den USA die meisten Soldaten in die Nato-Operationen (mehr als 4000 Mann) und trägt mit 14,78 Prozent zu den Zivilausgaben des Bündnisses und mit 13,85 Prozent seiner Militärausgaben bei. Ein Viertel der Schnelleingreiftruppe der Nato ist französisch. Allerdings blieben die französischen Streitkräfte unter nationalem Befehl, was sich jetzt zum großen Teil ändern müßte.

Foto: Selbstbewußtes Auftreten: Frankreichs Sarkozy hat machtpolitische und geostrategische Argumente


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