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19.04.08 / Den Geschmack bilden / Das Museum Künstlerkolonie Mathildenhöhe zeigt das »Wertheim-Speisezimmer« von Peter Behrens

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-08 vom 19. April 2008

Den Geschmack bilden
Das Museum Künstlerkolonie Mathildenhöhe zeigt das »Wertheim-Speisezimmer« von Peter Behrens
von Silke Osman

Die Kunst soll vor allem und zuerst das Leben verschönern, also uns selber den anderen erträglich, womöglich angenehm machen“, hat der Philosoph Friedrich Nietzsche in seiner Schrift „Menschliches, Allzumenschliches“ 1878 gefordert. „Mit dieser Aufgabe vor Augen mäßigt sie und hält uns im Zaume, schafft Formen des Umgangs, bindet die Unerzogenen an Gesetze des Anstands, der Reinlichkeit, der Höflichkeit, des Redens und Schweigens zur rechten Zeit.“ Die Idee, die Kunst in das tägliche Leben einfließen zu lassen, übernahmen schließlich die Vertreter der Reformbewegung an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert.

Gerade im Bereich des Wohnens fielen die Vorstellungen der Reformer auf fruchtbaren Boden. Sie wollten die Einrichtung „vom Ballast der historistischen Stil-Imitationen befreien und durch neue, zeitgemäße Formen und Ornamente ersetzen. Möbel, Wohntextilien, Eßgeschirr oder Trinkgläser sollten den Ansprüchen an die praktische Nutzbarkeit genügen, dabei aber auch dem Bedürfnis nach einheitlicher Raumgestaltung, nach Wohnlichkeit und geschmackvoller Dekoration Rechnung tragen“, schreibt Renate Ulmer im Katalog zur Ausstellung „Peter Behrens – Das Wertheim-Speisezimmer“, die derzeit im Museum Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt zu sehen ist. Die Leiterin des Museums geht in ihrem Text auf die Entstehung des Gesamtkunstwerks Speisezimmer ein und schildert die Rekonstruktion für die Ausstellung.

Das Zusammenspiel der einzelnen Kunstwerke – von der Möbelgarnitur und dem Speiseservice über das Tafelbesteck bis hin zum Kronleuchter, dem Teppich sowie dem Wandfries – vermittelt dem heutigen Betrachter einen perfekten Raumeindruck, aber auch einen Eindruck vom Lebensstil um die Wende zum 20. Jahrhundert.

Der Traum von einem vollkommen durchgestalteten Wohnraum wurde 1902 von Peter Behrens erfüllt. Erstmals zeigte das Berliner Warenhaus Wertheim in seiner Verkaufsausstellung elf Musterzimmer, von denen das Speisezimmer des Designers und Architekten Peter Behrens (1868–1940) besonderen Anklang fand. Selbst dem namhaften Kunstkritiker Karl Scheffler gefiel es „durch die großzügige Dis-position der farbigen Kontraste, durch die einfache Gediegenheit der Möbel und den festlichen Glanz der gedeckten Tafel“. Die Wandmalereien allerdings waren ihm „ein Zuviel“.

Die Begeisterung der Berliner ist nachzuvollziehen, wenn man bedenkt, wie überladen die Zimmereinrichtungen um die Jahrhundertwende waren. Mächtige Möbel, schwere Vorhänge aus Samt, alles in dunklen Farben gehalten bestimmten den Gesamteindruck. Mit der Präsentation künstlerisch eingerichteter Zimmer in einem Warenhaus wollte man den Geschmack der Menschen bilden und das schien anzukommen. Denn Alfred Lichtwark, der damalige Direktor der Hamburger Kunsthalle, berichtete nach seinem Besuch der Ausstellung 1902, daß das Speisezimmer schon fünfmal ausverkauft war.

Behrens, „einer der erfolgreichsten und wandlunsgfähigsten Universalkünstler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ (Ulmer), hat mit diesem Speisezimmer, wenn nicht sein Meisterwerk, so doch ein Raumkunstwerk geschaffen, das stilprägend war.

Die Ausstellung im Museum Künstlerkolonie Mathildenhöhe, Olbrichweg 13, 64287 Darmstadt, ist dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr geöffnet, Eintritt 3 / 2 Euro, bis 26. Oktober. Jeden ersten Sonntag im Monat Museumsführung inklusive Wertheim-Speisezimmer, 13 Uhr.

Foto: Geschmacksbildend: Peter Behrens schuf 1902 das sogenannte „Wertheim-Speisezimmer“, das jetzt rekonstruiert wurde und im Darmstädter Museum Künstlerkolonie Mathildenhöhe zu sehen ist.


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