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19.04.08 / Zwischen Kalaschnikow und Burka / In »Endstation Kabul« berichtet ein Bundeswehrsoldat über den Afghanistan-Einsatz

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-08 vom 19. April 2008

Zwischen Kalaschnikow und Burka
In »Endstation Kabul« berichtet ein Bundeswehrsoldat über den Afghanistan-Einsatz

„Top secret“, so die Worte des auf dem Buchcover abgedruckten Stempels. Wenn ein Buch gleich als „Geheimsache“ daherkommt, dann weckt es natürlich hohe Erwartungen. Dementsprechend groß war also auch die Neugier auf die Enthüllungen, die man in „Endstation Kabul – Ein deutscher Soldat in Afghanistan“ vorzufinden hoffte. Als sich jedoch herausstellte, daß der Autor keine Skandale aufdeckte, erlosch das mediale Interesse recht schnell wieder. In Internetforen hingegen wird immer noch heiß diskutiert, ob das, was der Autor Achim Wohlgethan über seine sechs Monate als Bundeswehrsoldat in Afghanistan schildert, realistisch oder Wichtigtuerei ist. Es ist schwierig, als Mensch ohne militärischen Hintergrund die fachspezifische Kritik an dem Erlebnisbericht des Soldaten zu bewerten, teilweise werden Fehler in den Fachausdrücken und Benennungen von Einheiten moniert, die ein Außenstehender nicht nachvollziehen kann. Gleichzeitig gibt es aber auch vor allem einfache Soldaten, die im Internet die Erlebnisse des Achim Wohlgethan bestätigen. Da er bei seinem ersten Einsatz 2002 relativ häufig außerhalb des Camps war, kann er Eindrücke schildern, die die meisten Soldaten, die, wie er zu Recht kritisiert, kaum das Camp verlassen, gar nicht erlangen können. Einige der von ihm beschriebenen Zustände haben sich seit 2002 auch bestimmt gebessert ... allerdings zu welchem Preis? So beschreibt er, wie die Bundeswehrsoldaten mit einem mit Glöckchen verzierten Touristenbus vom Flughafen Kabul in ihr Camp gefahren wurden. Ohne jede Panzerung ging es durch die von feindlich gesinnten Taliban bevölkerten Straßen. Erst als 2003 ein Selbstmordattentäter sich mit dem Bus in die Luft sprengte und Soldaten tötete und verletzte, reagierte die Bundeswehr.

Überhaupt klagt Achim Wohlgethan häufig über fehlende Sicherheitsstandards. So bewegten sich auch zahlreiche Einheimische frei in den Bundeswehrcamps, da es nur wenige Kontrollen gab. Auch die Evakuierungspläne der Bundeswehr spotten jeglichem Sicherheitsempfinden.

Die ersten Wochen seines Afghanistanaufenthaltes arbeitete Achim Wohlgethan eng mit Alex zusammen. Dieser zeigte ihm auch Kabul. „Zu dieser Zeit dominierten im Stadtbild noch die Eselskarren und die Frauen in blauen Burkas. Aber ich sah auch eine Menge düsterer Gestalten, alle-samt bewaffnet. Wie in Deutschland beinahe jeder sein Handy dabeihat, war es hier die Kalaschnikow.“

Immer wieder regt sich der Autor über schlechte Ausstattung oder widersinnige Befehle auf. So droht ihm ein unter Drogeneinfluß stehender afghanischer Polizist – häufig lief die Drogenbekämpfung durch die Polizei nach dem Motto „Vernichtung durch Konsum“ – mit seiner Waffe und er droht zurück. Doch ein Oberst kritisiert sein Verhalten, da er mit dem Mann hätte reden sollen. „Ich hatte schon öfter die Erfahrung gemacht, daß gerade in der hohen und höchsten Führungsebene ein ausgeprägtes Gutmenschendenken zu finden war.“

Unglaublich findet der Autor auch die hierarchische Aufstellung der Soldaten im Afghanistan-Einsatz. So hätten 2007 „1711 Soldaten im Mannschaftsdienstgrad sage und schreibe 5742 Offiziere und Unteroffiziere“ gegenübergestanden. „Auf fast dreieinhalb Häuptlinge kommt also ein Indianer! Ein Wirtschaftsunternehmen mit so einem Zahlenverhältnis zwischen Top- und Mittelmanagement gegenüber Sachbearbeitern hätte schon längst Bankrott gemacht.“

Aber nicht nur die daraus resultierenden teils widersprüchlichen Mehrfachbefehle trieben den Autor manchmal zur Raserei, auch die zahlreichen Formulare, die er selbst für den Bezug simpler Batterien ausfüllen mußte oder der Drang seiner Vorgesetzte, stets Soldaten mit geputzten Schuhen um sich zu sehen, erschien ihm angesichts des Elends um sich herum grotesk.

Auf seinen Fahrten durch das Land sieht er immer wieder Not und Armut.

Aus der Gesellschaft ausgestoßene Frauen oder ein in Deutschland geborener, Deutsch sprechender Flüchtlingsjunge, der aber aufgrund des Ablaufs seiner Aufenthaltsgenehmigung zurück in das krisengeschüttelte Afghanistan geschickt wurde, rütteln am Gerechtigkeitssinn des deutschen Soldaten.

Ja, Wohlgethan legt nicht jedes Wort auf die Goldwaage, ja, er ist manchmal bauchgesteuert und daher nicht immer professionell, aber genau das gibt seinen erweiterten Tagebuchaufzeichnungen auch den gewissen Reiz. Daß der Autor mit Herz und Seele bei der Arbeit war, obwohl er nicht immer wußte, was seine Aufgabe war, liest man aus jeder Zeile. Auch seine Depressionen, unter denen er nach seiner Heimkehr nach Deutschland litt, nimmt man ihm als authentisch ab. Seine Kameraden wurden für ihn, der sich kurz vor seinem Auslandseinsatz hatte scheiden lassen, zur zweiten Familie. Mit ihnen sang er zu „Lili Marleen“ und versuchte den von ihm als fleißig und schicksalsergeben beschriebenen Afghanen zu helfen.

Der Tatsachenbericht des Fallschirmjägers Achim Wohlgethan gibt den durch geschönte Pressemeldungen verblendeten Deutschen zumindest einen Eindruck davon, wie der Alltag der deutschen Soldaten in Afghanistan aussieht und was die Bundeswehr dort macht, beziehungsweise machen sollte.        Rebecca Bellano

Achim Wohlgethan: „Endstation Kabul – Ein deutscher Soldat in Afghanistan“, Econ, Berlin 2008, kartoniert, 18,90 Euro


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