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19.04.08 / Die Rückkehr / Unstimmigkeiten mit dem Storch

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-08 vom 19. April 2008

Die Rückkehr
Unstimmigkeiten mit dem Storch
von Hannrlore Patzelt-Hennig

Der Zeitpunkt, zu dem der Storch aus dem Süden zurückkehrte, wurde von uns Kindern damals, in der Heimat. immer mit Ungeduld herbeigesehnt. Wir wußten, daß am 25. März Storchentag war, ein feststehender Termin für Adebars Heimkehr.

Unser Storch schien aber keine kalendarischen Verpflichtungen anzuerkennen. Er kam meistens zu spät. Auch in jenem Jahr war es so. Ein Tag nach dem anderen verging, ohne daß er sich eingefunden hätte. Dann aber hörten wir an einem Nachmittag unvermutet sein freudiges Geklapper. Daraufhin stürmten alle hinaus. Die Rückkehr des Storches erfreute Alt und Jung gleichermaßen. Mit strahlenden Gesichtern schauten wir zu seinem Nest hinauf, als gelte es, ein heimgekehrtes Familienmitglied zu begrüßen. Kurz darauf entschloß ich mich, meinen Spielgefährten Bubi zu holen. Er sollte teilhaben an diesem Ereignis.

Bubi hatte an diesem Nachmittag Besuch, ein Junge seines Alters war bei ihm. Er kam gleich mit. Voll Besitzerstolz zeigte ich den beiden unseren Adebar. Und sie fanden und bestätigten mir, daß es ein sehr schöner Storch sei. Das machte mich glücklich. Irgendwann kamen wir dann aber auf die Aufgaben dieser Vögel zu sprechen. Und in der Hinsicht hatte ich zu klagen, denn obwohl dieser Storch jedes Jahr das Nest auf dem Dach unseres Hauses einnahm, hatte er mich noch nicht einmal mit einem Geschwisterchen beschenkt. Immer noch wartete ich vergebens.

„Hast all mal mit Singen versucht?“ fragte Mäxchen, Bubis Gast, mich auf meinen unerfüllten Wunsch hin.

„Was soll ich denn singen?“ forschte ich verwundert. Daraufhin lehrte er mich ein paar Verse, von denen er behauptete, daß sie bestimmt helfen würden. „Ich möcht auch noch ein Brüderchen!“ erklärte Bubi plötzlich ebenfalls äußerst interessiert. „Du hast doch eins!“ empörte ich mich. „Trotzdem! Eins möchte ich noch! beharrte er.

„Is doch egal! Er kann ja auch noch eins kriegen. Die Adebars haben genug Kinder zum Verteilen!“ beschwichtigte uns Mäxchen. Daraufhin einigten wir uns gönnerhaft.

Der Wunder versprechende Reim ging uns rasch ein. Nun stellten wir uns auf die Zehenspitzen und riefen aus Leibeskräften zum Storch hinauf: „Storch, Storch gooder, bring mie doch e Broder! Storch, Storch, bester, bring mie doch e Schwester!“

Viele Male hintereinander ertönte dieser Bittgesang. Dann erschlaffte unser Eifer. Und jetzt wurde mir bewußt, daß Mäxchen gar nicht mitgesungen hatte.

„Warum singst du nicht?“ fragte ich verwundert, „willst du keine Geschwister mehr haben?“ Darauf lächelte Mäxchen etwas überlegen und meinte: „Ich brauch nich mehr zu singen. Ich krieg auch so eins! Wir sind beim Adebar Stammkunden! Wir beziehen alle Jahr!“

Nach diesen Ausführungen schaute ich noch einmal zum Dach hinauf. Jetzt allerdings keineswegs freudig. „Unser Storch ist zwar schön, aber er ist faul“ sagte ich verächtlich. Und tagelang würdigte ich ihn keines Blickes.


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