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26.04.08 / Spielball der Parteien / Eigentlich sollte das Amt des Bundespräsidenten von Unabhängigkeit bestimmt sein

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-08 vom 26. April 2008

Spielball der Parteien
Eigentlich sollte das Amt des Bundespräsidenten von Unabhängigkeit bestimmt sein
von Hans Heckel

Horst Köhler hält sich offen, ob er sich für eine zweite Amtszeit als Bundespräsident zur Verfügung stellt. Eine große Mehrheit der Deutschen steht hinter ihm. Doch steht nun abermals die Frage im Raum: Was macht einen guten Bundespräsidenten eigentlich aus?

Er soll parteipolitisch neutral sein, und er übt nach Beendigung seiner Dienstzeit einem ungeschriebenen Gesetz zufolge daher auch keine politischen Ämter mehr aus. In der Praxis jedoch war die Wahl zum Bundespräsidenten oftmals Vorspiel oder Begleitmusik parteipolitischer Kämpfe und Weichenstellungen.

In der Rückschau war Gustav Heinemanns Wahl durch die Bundesversammlung die erste Etappe zur bis dahin bedeutendsten Zäsur in der Koalitionsgeschichte der jungen Bundesrepublik. In Bonn regierte noch die Große Koalition unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) und seinem Außenminister und Vizekanzler Willy Brandt (SPD), als Sozialdemokrat Heinemann in einer dramatischen Abstimmung erst im dritten Wahlgang mit dem Votum von SPD und FDP am 5. März 1969 zum neuen Staatsoberhaupt gekürt wurde.

Es sollte nicht das letzte Mal sein, daß Parteitaktik Regie führte bei der Wahl des Staatsoberhaupts. Dabei kam es weniger auf die Person des künftigen Präsidenten selbst an.

Nachdem die Wahl von Heinemanns Nachfolger Walter Scheel 1974 wegen der stabilen sozialliberalen Mehrheit in der Bundesversammlung als Selbstläufer galt, erscheint bereits die Kür von Karl Carstens 1979 wie ein erstes Wetterleuchten für die abermalige Bonner Wende von 1982. Nachdem Scheel nicht mehr kandidieren wollte, enthielten sich 66 FDP-Wahlmänner der Stimme. Zwar hätte CDU-Sieger Carstens auch ohne diese Stimmen gegen SPD-Kandidatin Annemarie Renger gewonnen, doch erstmals hatten die Liberalen ihren sozialdemokratischen Partnern die Gefolgschaft versagt.

Gelegentlich war die Präsidentenkür indes von erstaunlicher überparteilicher Harmonie geprägt: Der 1984 erstmals mit der deutlichen bürgerlichen Mehrheit gewählte Richard von Weizsäcker hatte sich in seiner ersten Amtszeit soviel Rückhalt bei SPD und Grünen erworben, daß er 1989 bei seiner Wiederwahl der bislang einzige Präsidentschaftskandidat war, gegen den kein Gegenkandidat ins Rennen geschickt wurde.

1994 sollte es da schon wieder deutlich spannender werden. Der von der Union vorgeschlagene Roman Herzog benötigte drei Wahlgänge bis zum Sieg durch absolute Mehrheit; alle Parteien in der Bundesversammlung profilierten sich damals durch eigene Kandidaten. Der Nominierung von Herzog war ein heftiger Streit um Helmut Kohls ersten Vorschlag, den sächsischen Justizminister Steffen Heitmann, vorausgegangen. Heitmann hatte Kritik am Leitbild der „multikulturellen Gesellschaft“ geübt und gesagt, daß es in Themenbereichen wie Ausländer oder Vergangenheit Deutschlands eine „intellektuelle Debattenlage“ gebe, die nicht „unbedingt dem Empfinden der Mehrheit der Bürger entspricht“. Es gebe Bereiche, die würden „tabuisiert“. Darauf war ein Mediensturm gegen ihn losgebrochen, der ihn letztlich bewog, von der Kandidatur Abstand zu nehmen.

1999 setzte sich der fünf Jahre zuvor unterlegene Rau durch. Kritiker behaupteten, Rau sei nur als Präsidentschaftskandidat aufgestellt worden, weil ihn seine Sozialdemokraten geräuschlos vom Posten des NRW-Ministerpräsidenten wegloben wollten, den er seit 1978 innehatte. Bohrende Fragen nach parteitaktischem Mißbrauch des höchsten Staatsamts wurden laut.

Im Volk wurde der Argwohn gegenüber dem Umgang mit dem Amt des Staatschefs hernach jedoch weiter vertieft, als die Vorsitzenden von CDU, CSU und FDP, Angela Merkel, Edmund Stoiber und Guido Westerwelle in trauter Dreierrunde den gemeinsamen Kandidaten für Raus Nachfolge ab 2004 regelrecht auskungelten. Der FDP-Chef hatte sich gegen den CDU-Favoriten Wolfgang Schäuble in Position gebracht und wollte mit der Durchsetzung eines bürgerlichen Kompromißkandidaten die Macht der Liberalen demonstrieren. Die Union wiederum trachtete nach einem „strategischen Signal“ für die nächste Bundestagswahl, bei der Rot-Grün abgewählt werden sollte. Die Person des Kandidaten schien bei den Überlegungen ebenso zweitrangig wie das höchste Amt selbst. Kein Wunder also, daß 2004 eine alte Frage neue Nahrung erhielt: Ob der Bundespräsident nicht besser vom Volk direkt gewählt werden sollte als durch eine Bundesversammlung, in der allein die Parteien das Sagen haben.

Köhler hat durch sein selbständiges Auftreten den Wunsch nach einem Staatsoberhaupt ohne Vergangenheit in den Karrieremühlen der Parteien noch verstärkt. Daß mit Köhler einer der unbequemsten Präsidenten dennoch mit hoher Wahrscheinlichkeit eine zweite Amtszeit bekommt, dürfte andere Gründe haben, als daß die Parteien wirklich glücklich wären mit ihm.

Union und FDP stützen ihn, weil er schließlich trotz allem ihr Kandidat war. Ein Gegenkandidat aus den Reihen der SPD hätte wiederum nur Chancen, wenn es der SPD-Führung gelänge, die Stimmen der Linkspartei in ihr Boot zu holen. Dies wäre (die Präsidentenkür ist am 23. Mai 2009) ein ris-kantes Manöver im Vorfeld der Bundestagswahl im darauffolgenden Herbst. Beobachter würden umgehend Parallelen ziehen zur Wahl Heinemanns am Ende der vorhergegangenen Großen Koalition 1969. So hätte Becks SPD die Karten in Richtung Rot-Rot zur Unzeit auf den Tisch gelegt – eine Steilvorlage für Union und FDP im Wahlkampf.

Abermals wird die Kür des Bundespräsidenten also auch im kommenden Jahr von parteitaktischen Absichten überlagert.

Foto: Gute Aussichten auf eine zweite Amtszeit: Horst Köhler

 

Zeitzeugen

Heinrich Lübke – Der Bundespräsident von 1959 bis 1969 Lübke (1894–1972) litt vor allem in seiner zweiten Amtszeit an einer Zerebralsklerose. Dies wird als Ursache für seine legendären Versprecher angesehen. In der Weimarer Zeit Bauernfunktionär wurde er 1934/35 von den Nationalsozialisten 20 Monate eingesperrt. Kurz vor Ende seiner zweiten Amtszeit trat der CDU-Politiker wegen einer von der Stasi ini­tiierten Kampagne, die ihn als „KZ-Baumeister“ verunglimpfte, zurück.

 

Gustav Heinemann – Die Wahl des SPD-Politikers Heinemann (1899–1976) zum Bundespräsidenten im Mai 1969 mit den Stimmen der FDP gilt als Vorspiel zur SPD/FDP-Koalition ab Herbst desselben Jahres. Heinemann entstammte dem linksprotesantischen Milieu. Er war 1950 (damals noch CDU) aus Protest gegen die Wiederbewaffnungspläne vom Amt des Bundesinnenministers in Konrad Adenauers erstem Kabinett zurückgetreten.

 

Walter Scheel – Auf den Intellektuellen Heinemann folgte mit dem vorherigen Außenminister Scheel ein volkstümlicher Staatschef (1974–1979). Als Erich Mendes Nachfolger im FDP-Vorsitz (ab 1968) hatte er die SPD/FDP-Koalition maßgeblich mit vorbereitet. Weniger durch politische Akzente als durch seine heitere Bürgernähe blieb der 1919 Geborene den Deutschen im Gedächtnis.

 

Richard von Weizsäcker – Der 1920 geborene CDU-Politiker  rückte während seiner Präsidentschaft (1984–1994) die Vergangenheitsbewältigung in den Mittelpunkt seiner öffentlichen Auftritte. Seine Rede zum 8. Mai 1985 bezeichnete er die Vertreibung der Deutschen als „erzwungene Wanderschaft“, was teils heftige Debatten auslöste.

 

Roman Herzog – Der 1934 geborene Verfassungsrichter a. D. folgte Weizsäcker und blieb nur eine Periode. CDU-Politiker Herzog führte 1996 den nationalen Holocaust-Gedenktag ein. Im April 1997 forderte er im Berliner Hotel Adlon in einer vielbeachteten Rede grundlegende Reformen in  Deutschland („Ruck-Rede“). Seitdem ist die alljährliche „Berliner Rede“ des Präsidenten Tradition.


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