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26.04.08 / Schwerin in Claramanie / Fürstlich präsentiert: exotische Tiere, Fabelwesen und Ungeheuer

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-08 vom 26. April 2008

Schwerin in Claramanie
Fürstlich präsentiert: exotische Tiere, Fabelwesen und Ungeheuer
von Helga Schnehagen

In diesem Jahr halten in Schwerin gleich zwei Nashörner namens Clara spektakulären Einzug: das eine, 1750 prächtig und lebensgroß in Öl auf Leinwand gemalt vom französischen Hofmaler Oudry, das andere eine lebendige afrikanische Nashorndame für den Nashornbullen Limpopo im Schweriner Zoo.

Schwerin ist also im Nashornfieber – in Claramanie. Ein Begriff, der im 18. Jahrhundert für das euphorische Interesse an der exotischen Clara geprägt wurde, die der holländische Kapitän van der Meer 1741 als junges Rhino-zeros von Kalkutta nach Rotterdam gebracht hatte. Fünf Jahre später begann er mit dem ausgewachsenen Import eine zwölf Jahre dauernde Reise durch Europa. Man könnte fast meinen, er war dazu gezwungen. Denn er nutzte die Neugier der Menschen auf dieses nie zuvor gesehene Tier, um Claras beachtlichen Appetit zu finanzieren: Sie fraß zweieinhalb Tonnen Futter im Monat mit einer kostspieligen Vorliebe für Orangen, Tabak und Bier, bis sie im Jahr 1758 in London verstarb.

So tourte die drei Tonnen schwere Dame aus Indien in einem großen, eigens für sie gebauten Wagen, von acht Pferden gezogen durch viele Städte Deutschlands, Italiens, Frankreichs und Rußlands.  Sie wurde zum Lieblingskuriosum vieler Staatsoberhäupter, nicht nur Friedrichs des Großen und Ludwigs XV. von Frankreich, und zum bevorzugten Sujet vieler Künstler, die Clara zeichneten, malten, in Gold gossen und auf Porzellanen darstellten.

In Versailles bekam Jean Baptiste Oudry (1686–1755) den Auftrag, Clara lebensgroß in Öl zu verewigen. Der französische Hofmaler und ab 1743 Professor der Königlichen Akademie war neben Desportes der berühmteste Tiermaler seiner Zeit. Das Nashorn wurde Teil seiner einmaligen Menagerie-Serie von 13 exotischen Tierbildnissen, die ursprünglich für den Königlichen Botanischen Garten, dem heutigen Jardin des Plantes in Paris, bestimmt war.

1749 wurde „Clara“ im Pariser Salon gezeigt und 1750 von Christian Ludwig II., seit 1747 regierender Herzog von Meck-lenburg-Schwerin, erworben. Bis 1755 folgte ihr Oudrys gesamte „Gemalte Menagerie“ an den Schweriner See. Das prachtvolle Gemälde von Clara jedoch verschwand im Magazin. Aufgrund seiner enormen Größe von rund 15 Quadratmetern fand man keine passende Wand. Lediglich eine verkleinerte Kopie, angefertigt vom Schweriner Hofmaler Dietrich Findorff, wurde ausgestellt.

Der Herzog war ein Fan des Malers Oudry. Bereits 1732 hatte er ihm den ersten Auftrag erteilt. In den nächsten 23 Jahren kaufte der Schweriner Hof zahlreiche seiner Werke, so daß das Staatliche Museum Schwerin heute mit 34 Gemälden und 43 Handzeichnungen über die größte zusammenhängende Oudry-Sammlung überhaupt verfügt.

Dank einer einzigartigen Kooperation des Staatlichen Museums Schwerin mit dem J. Paul Getty Museum Los Angeles kehrte „Clara“ 2001 aus der Versenkung zurück, um sich jenseits des Atlantiks wieder in ein sehenswertes Schauobjekt zu verwandeln. Fünf Jahre dauerte die aufwendige Restaurierung, deren gesamte Kosten das J. Paul Getty Museum übernahm, und der sich neben dem Rhinozeros (1749, Leinwand, 310 x 456 Zentimeter) auch die Großformate Löwe (1752, Leinwand, 307 x 258 Zentimeter) und Liegender Tiger (1740, Leinwand 191 x 259 Zentimeter) unterzogen. Zurück in Schwerin, ergänzen Stücke der sogenannten Claramanie, Kunstwerke also, die während Claras Reise durch Europa gefertigt worden waren, sowie 18 von Oudrys Handzeichnungen aus der Schweriner Sammlung die Ausstellung der gemalten Menagerie im Staatlichen Museum. Eine Verbundkarte ermöglicht den gemeinsamen Besuch der Oudry-Ausstellung mit den Ausstellungen seltener Tiere in den umliegenden Schlössern.

Als „vortrefflichen Thiermaler“ schätzte bereits Oudry seinen Kollegen Johann Elias Ridinger (1698–1767). Auf Schloß Ludwigslust geben die 40 ausgewählten Werke aus dem Bestand des Schweriner Kupferstichkabinetts einen facettenreichen Einblick in die Kunst des großen Radierers. Dabei ist die einheimische Tierwelt in charakteristischen Lebensmomenten und ihrer typischen landschaftlichen Umgebung zu sehen. 

In Lebensgröße gemalte Tiere begeisterten die Herzöge von Mecklenburg bereits im 16. Jahrhundert. Ein Inventar des Schweriner Schlosses von 1576 nennt zehn in die Wandtäfelung eines Saals eingelassene Tierbilder. Heute existieren noch sechs Gemälde dieses Zyklus, der 1572 von dem Antwerpener Maler Maerten de Vos (1532–1603) geschaffen worden war. Vier davon sind im Besitz des Staatlichen Museums Schwerin und werden auf Schloß Güstrow gezeigt, ergänzt durch Jagdszenen, gestochen von de Vos, die als Vorlagen für die Stuckdecke des Schlosses gedacht waren.

In frühen zoologischen Buchdrucken des 14. Jahrhunderts ersetzte die Phantasie das Wissen. Das Ergebnis waren Fabelwesen und abstruse Vorstellungen von fremdländischen Tieren. Zum Repertoire der Ausstellung auf dem Schweriner Schloß gehören das sagenhafte Einhorn, ein Fisch mit Pferdekopf, genannt Nautilus, sowie Mischwesen und Drachen.

Staatliches Museum Schwerin: „Oudrys gemalte Menagerie“ bis 27. Juli; Schloß Schwerin: „Biester, Monster, Ungeheuer“ bis 29. Juni; Schloß Güstrow: „Einhorn, Elefant und Löwe“ bis 27. Juli; Schloß Ludwigslust: „Schaulust und Studium bei Elias Ridinger“ bis 22. Juni; gleiche Öffnungszeiten in allen vier Häusern: Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr

Foto: Jean-Baptiste Oudry: Rhinozeros (Öl, 1749)


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