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03.05.08 / Spiegel polnischer Verhältnisse / Korruption und Planungschaos bestimmen die Vorbereitungen auf die Fußball-EM 2012

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-08 vom 03. Mai 2008

Spiegel polnischer Verhältnisse
Korruption und Planungschaos bestimmen die Vorbereitungen auf die Fußball-EM 2012
von Wolf Oschlies

Nichts kann Polen so in Rage bringen, wie wenn das Ausland ihnen Unfähigkeit zu Planung, Ordnung, Ehrlichkeit nachsagt und es national verletzend formuliert: „polnische Wirtschaft“ (deutsch), „polsk riksdag“ (schwedisch: polnischer Reichstag), „lengyel piac“ (ungarisch: Polenmarkt) etc. Aber was derzeit mit ihrem geliebten Fußball los ist, das weckt bei Polen Selbstzweifel, die bitterer als jedes auswärtige Vorurteil sind.

Dabei hatte am 18. April 2007 alles so wunderschön angefangen: Bereits im ersten Wahlgang bestimmte die Europäische Fußball-Union (Uefa) Polen und die Ukraine zu Gastgebern der Europameisterschaft 2012. Mitbewerber Italien – zwar amtierender Weltmeister, aber von Spiel-, Fan- und Führungsskandalen geplagt – wurde klar abgeschmettert.

Nun sieht Italien schadenfroh, daß im polnischen Fußball die schlimmsten Zustände herrschen. Der altehrwürdige Polnische Fußballverband (PZPN) – 1919 gegründet, derzeit 7500 Vereine mit 330000 Spielern – steckt in einer existenzbedrohenden Krise. Akut wurde diese während der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland: Das polnische Team spielte grottenschlecht, der PZPN hatte bei der Kartenverteilung katastrophal versagt – die „kibice“ (Fußballfans) wollten Köpfe rollen sehen. Dabei wurde bekannt, daß im polnischen Fußball seit Sommer 2005 eine kriminelle Mafia wirkt, die Spieler und Schiedsrichter „kauft“, Spiele manipuliert, jeder Wettbewerb in den drei polnischen Ligen verfälscht wird. Hauptschuldiger ist ein gewisser Ryszard F., genannt „Friseur“, der schon vor 1990 unter Anleitung der kommunistischen Geheimpolizei agierte und danach zur „grauen Eminenz des polnischen Fußballs“ avancierte. Seit Ende 2007 in Breslau vor Gericht, wobei immer schlimmere Details offenkundig werden. Anfang April 2008 überstellte die Breslauer Staatsanwaltschaft dem PZPN Dokumente, die weitere 17 Klubs der Korruption überführten, womit derzeit 29 Vereine belastet und über 100 Spieler, Funktionäre und Schiedsrichter in Haft sind. Zwei Vereine aus Gdingen und Leczna mußten strafweise absteigen, weitere aus Lodz, Warschau und Lublin werden folgen – der gesamte 32köpfige PZPN-Vorstand, in Polen ohnehin als „Relikt des kommunistischen Systems“ verdächtigt, will am 14. September, drei Monate vor dem Ablauf seines Mandats, zurücktreten. Polens Nationaltrainer, der Holländer Leo Beenhakker, warf Anfang April bereits das Handtuch. Und das ist womöglich nur die Spitze eines Eisbergs. Skandale sind im Profifußball keine Seltenheit, aber noch keiner war so langwährend wie der polnische, bemerkte düster Polens Fußball-Idol Zbigniew Boniek.

In Polen kam Angst auf, man werde wegen des Skandals die EM 2012 wieder verlieren. Diese Angst ist berechtigt, jedoch aus Gründen, die die seriöse Wochenzeitung „Polityka“ unlängst drastisch benannte: „Nach einem Jahr Vorbereitung auf die EM 2012 wurde nichts getan. Über künftige Stadienplätze pfeift nur der Wind, gewiß werden keine 100 Meter Bahngleise neu gebaut werden, der Autobahnbau schleppt sich seit 20 Jahren so dahin.“ Nur das macht der Uefa Sorge, die seit Anfang 2008 schon zu vier Prüfungsbesuchen in Polen auftauchte, nachdem Uefa-Präsident Michel Platini bereits im Januar mit Entzug der Gastgeberrolle und Neuausschreibung der EM gedroht hatte. Diese Drohung war nicht ernst zu nehmen, da die Uefa die erste Ausschreibung mit fünfmonatiger Verspätung vollzogen hatte, also eine Mitschuld an den Verzögerungen trug. 

Acht Austragungsorte verlangte die Uefa, zwölf wurden ihr benannt. Für Polen waren das Danzig, Posen, Warschau und Breslau sowie Krakau und Chorzow (Königshütte) „als Reserve“. Die Ukraine meldete Lemberg, Kiew, Donezk und Dnepropetrowsk sowie Charkow und Odessa. Ob acht oder zwölf – übernommen hat man sich in jedem Fall. Dringender Modernisierung bedürfen in Polen das „Schlesien-Stadion“ in Königshütte, das „Weichsel-Stadion“ in Krakau und das „Lech-Stadion“ in Posen. Das wird Gesamtkosten von rund 860 Millionen Zloty verursachen (rund 250 Millionen Euro). Teurer werden die Neubauten des „Nationalstadions“ in Warschau, der „Baltic Arena“ in Danzig und eines noch namenslosen Stadions in Breslau, die mit knapp 700 Millionen Euro veranschlagt sind. 

Selbst das sind noch Kleinigkeiten angesichts der Milliardenkosten, die Verkehrsneubauten erfordern. Allein Warschau muß bis 2012 3,3 Milliarden Euro für den Straßen-, Buslinien- und Metrobau und eine Milliarde für die Erweiterung der Flughäfen Modlin und Okecie aufwenden. Dabei sind die noch besser in Schuß als die Flughäfen von Breslau, Krakau, Danzig und Posen, die eine weitere Milliarde Euro zur Modernisierung benötigen. Laut Infrastrukturminister Cezary Grabarczyk muß der Bau von 600 Kilometern Autobahn und 350 Kilometern Schnellstraßen spätestens 2009 beginnen, wenn er bis zur EM fertig sein soll. Das erschien dem „Przeglad sportowy“, der größten Sportzeitung Polens, als „prima-aprilisowy zart“, als Aprilscherz.   

Zwei Dinge wurmen die Polen besonders. Zum einen, daß die Ukrainer besser vorankommen, obwohl sie größere Probleme haben: Im Zentrum Kiews muß auf Verlangen der Uefa ein neues Kaufhaus abgerissen werden, im chronisch wasserarmen Lemberg kann man im Grunde kein Stadion, keine Hotels bauen, Straßen und Bahnhöfe sind marode, kein einziger ukrainischer Flughafen genügt Uefa-Ansprüchen. Und ähnliche Sorgen mehr, die man mit einem Aufwand von 25 Milliarden Dollar und mit der Hilfe von Spezialfirmen aus Taiwan in den Griff kriegen wird. Zum zweiten spüren die Polen, daß sie auch mit größter Mühe niemals eine so entspannte, sichere und freundliche Meisterschaft hinkriegen werden, wie es die Deutschen mit ihrer WM im Juni 2006 vormachten. Das werden Polen nicht einmal schaffen, wenn ihnen eine „wariant grecki“ gelänge, eine „griechische Variante“. Gemeint sind die Olympischen Spiele in Athen 2004, zu denen das Gros der Bauten „auf den letzten Drücker“ fertig wurde.

Foto: Fußball-Fans freuen sich: Als Polen erfuhr, Austragsungsort für die EM zu sein, war die Freude groß.


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