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03.05.08 / 14 unechte und ein echter Stalin / Rußland rätselt über Führer-Doubles

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-08 vom 03. Mai 2008

14 unechte und ein echter Stalin
Rußland rätselt über Führer-Doubles
von Wolf Oschlies

Am 5. März 2008 ging er von aller Welt unbemerkt vorbei – Stalins 55. Todestag. Auch in Rußland nahm niemand Notiz davon, aber viele befassen sich intensiv mit Details aus dem Leben des „Führers“: Hatte Stalin Doubles? Ist er schon viel früher gestorben und wurde jahrelang von Doppelgängern vertreten? Stand bei der Moskauer Siegesparade ein Stalin-Double auf der Tribüne am Roten Platz? Und ähnliche Fragen mehr, die alle von Erich Kästners Komödie „Die Schule der Diktatoren“ inspiriert erscheinen: In einem (namenlosen) Land herrscht ein Diktator, der eine „Schule“ von Doppelgängern unterhält, die er bei Bedarf vorschiebt. Exakt so soll Stalin verfahren haben?

Seit Jahrzehnten ist bekannt, daß Stalin viel Wert auf die filmische Darstellung seiner Person legte, Drehbücher redigierte und seine Doubles aussuchte. Meistbeschäftigt waren Georgi Saakjan und Michail Gelowani, die Stalin in 28 beziehungsweise 15 Filmen verkörperten. Saakjan sah ihm so ähnlich, daß er fast ohne Maskenbildner auskam – nur Pfeife rauchen mußte der Nichtraucher Saakjan noch lernen. Berühmte Stalin-Darsteller waren auch Aleksej Dikij, Artschil Gomiaschwili, Aleksej Petrenko und weitere, von neueren wie Igor Kwascha gar nicht zu reden: Vor einigen Jahren finanzierte der Bankier Mironov eine historische TV-Serie und verlangte als Gegenleistung nur, die Rolle Stalins spielen zu dürfen. Er durfte.

Gelowani & Co. waren Produkte für die Öffentlichkeit, ganz anders als Lubickij, Raschid, Dadajew und andere, die als „echte“ Doubles Stalins hergerichtet und trainiert waren. Stalin hatte Angst vor Attentaten, von denen es einige auf ihn gab, und versteckte sich gern hinter Doppelgängern, die für ihn im Auto saßen, Paraden abnahmen, Delegationen empfingen etc. Vier sollen es gewesen sein, vielleicht auch 14, aus Archiven tauchen immer neue auf. Stalin-Double Dadajew gab Anfang April 2008 ein Interview, sein erstes nach 55 Jahren Schweigen, auch vor Ehefrau und Kindern.

Der erste Doppelgänger war Ewsej Lubickij, ein jüdischer Buchhalter aus dem ukrainischen Winnitza, von dessen Existenz erstmals Überläufer im Krieg berichteten. Sechs Monate lang mühten sich plastische Chirurgen, Maskenbildner, Schneider darum, aus Lubickij eine Stalinkopie zu machen, und die Probe aufs Exempel war bestanden, als im Kreml eine Serviererin beim Anblick von zwei Stalins in Ohnmacht fiel. 15 Jahre lang agierte Lubickij in dieser Rolle, für die er ständig „nachgealtert“ werden mußte. 1949 oder 1952 wurde er inhaftiert, nach Stalins Tod wieder freigelassen Auf eigenen Wunsch schickte man ihn nach Stalinabad, heute Duschanbe, die Hauptstadt Tadschikistans, wo er 1981 verstarb.

Neben oder nach Lubickij wirkten Doubles wie Raschid, ein kaukasischer Bauer, Kristofor Golstab, der Stalin bei Staatsbegräbnissen vertrat, und andere, die General Wlasik, Stalins oberster Leibwächter, ausgesucht und ausgebildet hatte. Die interessanteste Figur unter ihnen war Feliks Dadajew, 1926 in Dagestan geboren, ein begnadeter Bühnenkünstler und hochdekorierter Kriegsveteran. 1943 holte ihn der Geheimdienst aus einem Gesangs- und Tanzensemble heraus, um seine verblüffende Ähnlichkeit mit Stalin zu nutzen – der einzige Fall, der sogar in der offiziellen Kriegsgeschichte „Soldaten des 20. Jahrhunderts“ vermerkt ist. Dadajew mußte etliche Kilo zunehmen, um Jahrzehnte „altern“, Stalins Pockennarben implantiert bekommen, bis Stalin persönlich sein Okay gab. Danach wurde er in zwei „Etappen“ eingesetzt, zuerst als Figur, die die Aufmerksamkeit etwaiger Spione und Attentäter auf sich ziehen sollte, dann als Stalin-Double bei Aufmärschen und Gesprächen mit Delegationen. Bis heute findet sich Dadajew in Büchern wieder, die ihn anstelle Stalins zeigen (was die Autoren nie ahnten).

Haben Stalin und seine Doubles irgendwann die Rollen getauscht? 1937 und 1947 soll Stalin todkrank gewesen sein, vermutlich infolge von Vergiftungen, jedoch sehr rasch wieder gesundet sein – oder gestorben und durch einen Doppelgänger ersetzt. Stalins Tochter Swetlana hat ihn zu seinem Geburtstag im Dezember 1947 besucht und ihn nicht wieder erkannt. Als Stalin im März 1953 starb, nahmen die Ärzte eine detaillierte Leichenschau vor, die sich wunderlich von Befunden unterschied, die seit 1925 vom lebenden Stalin bekannt waren: Zwei Zehen des linken Fußes waren zusammengewachsen, Stalin konnte den linken Arm kaum bewegen und ähnliche Deformationen mehr, die am toten Stalin nicht bemerkt wurden. Weil der Tote Stalins Double war? 

Foto: Stalin: Der Herrscher über die UdSSR hatte nicht nur bei Madame Tussaud ein Double.


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