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10.05.08 / Kosmetik für das Strafgesetz / Die türkische Regierung beschließt die Änderung des sogenannten Türkentumparagraphen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-08 vom 10. Mai 2008

Kosmetik für das Strafgesetz
Die türkische Regierung beschließt die Änderung des sogenannten Türkentumparagraphen
von Mariano Albrecht

Auf Druck der EU hat die türkische Regierung den von der EU und Menschenrechtlern kritisierten Paragraphen 301, den sogenannten Türkentumparagraphen, des Strafgesetzbuches abgeschwächt. Hat sich die Türkei mit der Änderung dem EU-Beitritt genähert? Wird in Zukunft die Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei durch die neue Formulierung gestärkt? Wohl kaum. Die Änderung beruht auf dem Austausch eines einzigen Begriffes.

Fast wie die mittelalterlichen Inquisitoren gingen in der Vergangenheit Nationalisten, türkische Staatsanwälte und Richter gegen alle vor, bei denen man auch nur ansatzweise Kritik oder gar das in Frage stellen der offiziellen türkischen Geschichtsschreibung, staatlicher Einrichtungen oder der bewaffneten Organe in deren Äußerungen oder Veröffentlichungen witterte. Der berüchtigte Paragraph 301 im türkischen Strafgesetz machte es möglich, der schwammige Begriff „Türkentum“ konnte für kritische Formulierungen fast grenzenlos ausgelegt werden. Nun hat sich die Türkei vom Begriff „Türkentum“ verabschiedet.

Bisher hieß es: „Die öffentliche Verunglimpfung des Türkentums, der Republik oder der Großen türkischen Nationalversammlung wird mit Haft zwischen drei und sechs Monaten bestraft.“ Für eine Verunglimpfung von Regierung, Militär, Justiz oder anderer Sicherheitskräfte konnten Gerichte zwischen sechs Monaten und zwei Jahren Haft verhängen. Für im Ausland begangene Verunglimpfungen drohte eine um ein Drittel erhöhte Strafe. Nach zähen Diskussionen hat sich die Regierung nun dem EU-Wunsch unterworfen und den Begriff „Türkentum“ gestrichen. An seine Stelle tritt nun der Begriff „Türkische Nation“. Türkische Kritiker sprechen bereits von einem Placebo für die EU. Ist es für zum Beispiel türkische Journalisten in Zukunft möglich, offen über den Genozid an den Armeniern zu debattieren? Dürfen Schriftsteller und Historiker demnächst über die Brutalität türkischer Truppen in historischen wie in neuzeitlichen Schlachten und Operationen schreiben? Das Problem sind nicht der Wortlaut und die verwendeten Begriffe in dem Gesetz.

Ähnlich formulierte Paragraphen gibt es auch in anderen Staaten. In Österreich steht „das gehässige Beschimpfen“ der Republik, der Fahne oder der Bundeshymne ebenso unter Strafe wie in der Schweiz und in Liechtenstein. Das Fürstentum Liechtenstein hatte den Pargraphen 248 vor 16 Jahren angewendet und den Journalisten Michael Heinzel für in einem Kommentar gemachte Äußerungen mit 1000 Franken Strafe belegt. Heinzel hatte das Fürstentum als „Eiterbeule im Herzen Europas“ bezeichnet und im Zusammenhang mit einem Pensionskassenskandal von einem „verkommenen und verbrecherischen Staatsgebilde“ im Lande gesprochen.

Paragraph 90b des bundesdeutschen Strafgesetzes sieht eine Verurteilung von drei Monaten bis fünf Jahren für die Verunglimpfung von Verfassungsorganen vor. Auch das Verunglimpfen des Staates und seiner Symbole wie der Flagge, zum Beispiel durch Abreißen oder Beschmieren, kann mit bis zu drei Jahren geahndet werden. Deutschfeindliche Beschimpfungen sind bisher allerdings weitgehend straffrei. Lediglich das Beschimpfen von „Teilen der Bevölkerung“ steht unter Strafe. Anwendung findet der Paragraph 130 (Volksverhetzung), der das Aufrufen zum „Haß gegen Teile der Bevölkerung“ oder das Aufstacheln oder Aufrufen zur Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie (Teile der Bevölkerung) auffordert, meist nur, wenn nichtdeutsche Teile der Bevölkerung durch deutsche beleidigt werden. Für das Beschimpfen von deutschen Bürgern oder des deutschen Staates, wie in der Vergangenheit häufig geschehen, durch jugendliche Randalierer in der Öffentlichkeit als „Scheiß Deutsche“ haben bundesdeutsche Richter ein taubes Ohr.

Nach dem Willen des baden-württembergischen Bundesratsministers Wolfgang Reinhart (CDU) soll künftig stattdessen das Aufstacheln „zum Haß gegen die Bevölkerung oder von Teilen der Bevölkerung“ unter Strafe stehen. Das Aufstacheln zum Haß gegen „Teile der Bevölkerung“ soll dagegen wegfallen. Geschehen ist bisher nichts. Das Problem liegt in der Auslegung und Anwendung von Gesetzen.

Ob in der Türkei die Beleidigung des Türkentums oder der Türkischen Nation unter Strafe steht, scheint nicht von Belang. Vielmehr besteht in der türkischen Gesellschaft und insbesondere in der Justiz Bedarf an kritischer Auseinandersetzung im Umgang mit demokratischen Freiheiten wie Meinungsäußerung und Kritik.

Die Tatsache, daß türkische Staatsanwälte in Zukunft für das Einleiten von Verfahren nach Paragraph 301 die Zustimmung des Justizministers benötigen, läßt zwar viele Künstler und kritische Journalisten hoffen, macht das Gesetz aber indirekt zum Strafmittel der Politik. Mit der Änderung des Paragraphen 301 hat der türkische Staat der EU in der Tat ein Placebo verabreicht und sich selbst ein Armutszeugnis ausgestellt.

Foto: Placebo für die EU: Der Begriff „Türkentum“ wurde unter Erdogan in „Türkische Nation“ geändert.


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