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10.05.08 / Ein Früh-Schreck / Einfach zuviel für das junge Gemüt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-08 vom 10. Mai 2008

Ein Früh-Schreck
Einfach zuviel für das junge Gemüt
von Gabriele Lins

Ich war noch klein, etwa vier Jahre alt, als ich endlich einmal mit in die Sonntagsmesse durfte. Schließlich spielte mein Vater, der Organist unserer schönen Kirche, die Orgel; den Herrn Pastor kannte ich schon, er hatte mir schon ein paar Mal einen Honigbonbon geschenkt, wenn meine Mutter und ich ihn auf dem großen Kirchplatz trafen.

„Aber du mußt schön artig und still sein“, schärfte mir die Mutter ein, zog mir meine Sonntagssachen an und los ging‘s. Viele Menschen saßen schon in den Bänken, trotzdem fanden wir noch einen Platz in der Mitte der Kirche, nahe der prächtigen Kanzel, die von goldenen Engelchen umschwebt und gestützt wurde.

Ich befleißigte mich einer großen Bravheit, faltete die Hände wie die Leute neben mir und blickte fromm zum Altar hin, über dem der liebe Jesus mit geneigtem Kopf am Kreuz hing.

„Er ist schon sehr tot, nicht wahr, Mama?“ flüsterte ich fragend zur Mutter hinauf. Die legte den Zeigefinger auf ihren Mund und nickte.

Die Heilige Messe begann, die Orgel erbrauste, ich sang kräftig mit, denn das Lied handelte wohl von den sieben Geißlein; ich hörte mehrmals das Wort „Geiß“. Später erklärte meine Mutter mir, daß der Geist Gottes gemeint war. Dann wollte ich mich nach meinem Vater, der die Orgel traktierte, umdrehen, wurde aber von Mutter zurechtgewiesen.

Also saugte sich mein neugieriger Blick an den Meßdienern fest, die ständig herumliefen und dem Pastor dieses und jenes brachten und jedes Mal einen tiefen Knicks machten, was ich ein wenig ulkig fand.

Dann durften wir uns setzen. „Jetzt kommt die Predigt“, flüsterte mir Mutter zu, „schön still sein!“ Ich nickte mißmutig. Stiller ging es ja nun gar nicht mehr.

Nicht der Herr Pastor, sondern ein fremder Pater in brauner Kutte erstieg polternd die Kanzel und sprach vor seiner Predigt ein kurzes Gebet. Dann legte er los, und es war für ein so kleines Kind wie mich der reinste Alptraum.

Der Pater predigte gewaltig. Seine Worte wurden von kreisenden Bewegungen untermalt. Seine Stimme schwoll zum Orkan, schraubte sich bis in die höchsten Höhen der riesigen Kirche, ließ die Fenster erzittern und sank dann zu einem suggestiven Flüstern herab, das mir nicht weniger schrecklich vorkam.

Mit wachsender Angst sah ich dem eindrucksvollen Theater des Paters zu. Nicht daß ich den Sinn seiner Predigt verstanden hätte, dafür war ich noch zu jung, aber die große Beweglichkeit des Hünen, seine weit ausholenden Arme, seine grotesken Hüpfereien bewirkten, daß sich der weiße Strick, der seine Kutte zusammenhielt, lockerte und mit einem vernehmlichen „Plopp“ zu Boden fiel.

Das war zuviel! Voller Entsetzen stolperte ich aus der Bank, und im Laufen zum rettenden Ausgang rief ich laut: „Mama, jetzt hat er sich losgerissen!“


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