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10.05.08 / Keine Zeit für ein Trauma / Ein Vertriebener erinnert sich, was er und seine Landsleute im Überlebenskampf vorantrieb

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-08 vom 10. Mai 2008

Keine Zeit für ein Trauma
Ein Vertriebener erinnert sich, was er und seine Landsleute im Überlebenskampf vorantrieb
von Günther Skorzinski

Was verstehen wir unter dem Begriff „Trauma“? Das Bertelsmann Volkslexikon sagt folgendes: „(Griechisch ,Wunde‘), im medizinischen und allgemeinen Sprachgebrauch, jede ungewollte und unerwartete Gewalteinwirkung auf den Körper; auch psychisch Schock, Erschütterung des seelischen Gleichgewichts, oft Ursache seelischer Erkrankungen.“

Als Kinder der 30er Jahre sind wir in der Heimat in preußisch geordneten Verhältnissen geboren und haben dort auch einen Teil unserer schönen Kindheit erleben dürfen. Den Begriff „Trauma“ kannten wir damals nicht, wahrscheinlich gab es diesen Begriff damals in unserem Sprachgebrauch auch noch gar nicht. Wir waren einfach „glückliche Kinder“.

Es wurde plötzlich anders, ganz anders. Es war Krieg mit all seinen schockierenden Ereignissen, dazu: Vater im Krieg gefallen, ebenfalls zwei Brüder meiner Mutter. Jeden Tag gab es neue Schreckensmeldungen, durch die die männliche Bevölkerung ausgelöscht oder bestenfalls verwundet wurde. Wir waren Kinder und wir hatten Angst, Angst um unser Leben. Es gibt Menschen, sogar hoch gebildete, die sagen: Das waren damals ja noch Kinder, die davon nichts verstehen. Mag so sein, aber ich denke: Kinder verstehen es schon sehr genau und denken auch sehr ernst darüber nach, wenn plötzlich der Vater im Krieg gefallen ist und dann auch zur Flucht aus der Heimat gerüstet wird. Dann auch noch im Winter, bei Eiseskälte und viel Schnee, die Flucht und Vertreibung mit Pferdegespannen oder zu Fuß, mit Kinderwagen, Handkarren oder, wie auch immer, in einem riesigen Durcheinander. Alles gerät plötzlich in Bewegung, die Flüchtenden in Richtung Westen und das Militär in alle Richtungen. Straßen verstopft, Unfälle, mit Militärfahrzeugen und auch mit Flüchtlingen. Dazu feindliche Tiefflieger, (die keine Rosinen oder Carepakete abwarfen). Mütter mit kleinen Kindern, dazu Hunger und Kälte und die bange Frage, wo bleiben wir über Nacht? Waren wir da schon traumatisiert? Nein, da mußten wir durch, wie auch immer. Unverhältnismäßig schlimmer ist es den Menschen ergangen, die die Flucht vor den Russen oder Polen nicht mehr geschafft haben und dann dort geblieben sind und der Macht der feindlichen Horden ausgesetzt waren. Waren die traumatisiert? Auch nicht, auch die haben um ihr Überleben mit allen Mitteln kämpfen müssen und hatten zum Nachdenken über „Trauma“ keine Zeit. Auch viele Menschen in unserem Land, besonders in den Großstädten, im Ruhrgebiet, in Hamburg, Berlin oder gar Dresden, die den Bombenterror der Westalliierten überlebt haben, waren diese Menschen traumatisiert? Nein, auch nicht, auch die hatten dafür keine Zeit. Alle, auch unsere Soldaten kämpften ums Überleben, auch erst recht in der Gefangenschaft. Viele, besonders sehr junge Menschen, sind heute der Meinung: Das waren „Abenteuer“. Ganz sicher waren das keine Abenteuer, es war die Hölle.

Dann: Der 8. Mai 1945, der Krieg war zu Ende, war er wirklich zu Ende? Etwa 17 Millionen Menschen aus den deutschen Ostgebieten waren auf der Flucht in den Westen. Sehr noble Politiker behaupten heute: Die Menschen wurden „umgesiedelt“. Wir wurden nicht „umgesiedelt“, wir wurden unserer Heimat beraubt, bestohlen und wie Vieh vertrieben. Wir Flüchtlingskinder hatten keinen Vater, der ein Carepaket von der Zeche oder von einem Unternehmen irgendwelche Zuwendungen bekam oder der in seinem Kleingarten sein überlebenswichtiges Gemüse anbauen konnte. Auch in der Schule oder später im Beruf mußten wir Flüchtlingskinder immer deutlich besser sein als ein hiesiges Kind, um gleich bewertet zu werden. Wir mußten arbeiten, ganz einfach arbeiten, damit wir überleben konnten. Ein großer Bauer, als Vertriebener aus dem Osten, der Betteln gehen mußte, um zu Überleben. War der traumatisiert? Nein, auch nicht, auch der hatte keine Zeit darüber nachzudenken, auch der wollte überleben.

Das ganze deutsche Volk hat dann in der Nachkriegszeit unsagbar hart gearbeitet, um zunächst zu überleben und später dann das sogenannte Wirtschaftswunder zu vollbringen, wofür uns heute ein großer Teil der Weltbevölkerung beneidet. Nun bin ich mit meinem Thema an dem Punkt, den ich besonders betonen möchte. Die Schuld an fast all diesen Problemen liegt fast in jedem Fall nur an der Machtbesessenheit unfähiger Politiker. Wahrscheinlich bemühen sich unsere Politiker, Probleme zu lösen, die wir ohne Politiker in diesem Ausmaß gar nicht hätten. Mittlerweile sind wir nun auch schon ein wenig in die Jahre gekommen, aber wir sind nicht traumatisiert, wir sind zwar durch die Vertreibung mit all den Problemen und Hunger und Entbehrungen teilweise krank oder sehr krank dabei geworden, aber wir sind auch heute noch nicht traumatisiert, weil wir alles überlebt haben. Unsere Politiker, insbesondere die jüngere Generation, die möglicherweise nicht einmal wissen wie man „Krieg“ schreibt, geschweige denn weiß, was Krieg überhaupt ist, erdreistet sich, öffentlich zu behaupten, wir Alten verbrauchten jetzt deren Wohlstand. Wer hat denn nun dafür gearbeitet, damit diese jungen Herrschaften auf unsere Kosten studieren konnten und uns nun auch noch durch almosenähnliche Rentenerhöhungen beleidigen dürfen? Wahrscheinlich sind diese erwähnten Herrschaften traumatisiert, weil denen der von uns erarbeitete Wohlstand zu Kopfe gestiegen ist und sie keine Ahnung haben, was Vertreibung, Arbeit und Not bedeuten. Selbstverständlich hat der Begriff „Trauma“ seine Berechtigung, aber ich glaube, er wird viel zu oft durch ein zu humanes Auslegen mißbraucht und das birgt große Gefahren für uns alle. Zugegeben: Auch wir sind durch diese Probleme ernsthaft geschädigt worden, sind dabei auch krank geworden, aber wir haben überlebt. Gott sei Dank.

Foto: Einfache, aber glückliche Kindheit: Fischerfrau mit ihren sieben Kindern auf der Kurischen Nehrung


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