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17.05.08 / Ein Antifaschist wird entblättert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-08 vom 17. Mai 2008

»Moment mal!«
Ein Antifaschist wird entblättert
von Klaus Rainer Röhl

Februar 1945. Die Russen kommen. Widerstand ist eigentlich zwecklos. Wird aber an einzelnen Stellen immer wieder versucht. Erst knackten die 15jährigen Hitlerjungen mit ihrer leicht zu bedienenden Panzerfaust einen sowjetischen T 34 nach dem anderen. Sie taten das nicht für den Führer oder für das Dritte Reich, sondern für ihre Mütter und Schwestern, für die sie bei einem russischen Einmarsch mit Recht das Schlimmste befürchteten. Hinterher fluchten sie weiter auf Goebbels und Hitler und die ganzen Bonzen, und wer von ihnen am Leben blieb und im Westen landete, für den war es ein tolles Abenteuer gewesen, das er fünf Jahre später auf seinem Italienurlaub erzählte, auf dem Camping-Platz mit dem ersten eigenen VW. Und er hatte nie einen Grund gesehen, über den Verlust seines Führers zu trauern, was Alexander und Margarete Mitscherlich im Nachhinein doch tief enttäuschte. Wie sie in ihrem 1967 zu Beginn der Studentenrevolte erschienenen Buch „Die Unfähigkeit zu trauern“ behauptet haben. Um die drohende Trauer zu vermeiden, die der Untergang des geliebten Führers hätte auslösen müssen, stürzten sich die Deutschen in den Wiederaufbau und schufen das Wirtschaftswunder. So die Hauptthese dieses Buches, das in den 70ern eine Art Bibel für die Linken wurde. Ein Bestseller, der zahlreiche Auflagen erzielte.Hitler als eine Vaterfigur für die Deutschen. Ein Über-Vater. War er das wirklich? Für uns, die Jungen, die wir damals 16 und 17 Jahre alt waren, wohl kaum. Ich kannte jedenfalls keinen.

Mit welchen Leuten der junge Mitscherlich in der NS-Zeit und während seines Studiums in Heidelberg Umgang hatte und mit wem Margarete Mitscherlich, die in dieser Zeit in Dänemark studierte, weiß ich nicht. Vaterfigur – sowas gibt es ohnehin nur bei Freud – oder eben bei den Mitscherlichs. Vaterfigur? Leitbild? Vorbild? Wenn die Jugendlichen damals ein Vorbild hatten – die Halbwüchsigen von heute verehren Ballack oder Grönemeyer – dann waren es U-Boot-Kommandanten wie Prien oder erfolgreiche Jagdflieger wie Rudel und Galland. Die auch wieder öffentlich auftraten, als die Deutschen nach dem Krieg ihren ersten Urlaub im Ausland verbrachten. Beim Kultbuch der 68er handelt es sich also weniger um unsere Unfähigkeit zu trauern, sondern um die Unfähigkeit der Familie Mitscherlich, die Deutschen zu verstehen. Sie hatten noch nicht einmal ihren Freud, als dessen Nachfolger sie sich freudig darstellten, richtig angewandt: Trauer ist bei Freud ein spontanes Gefühl, mit dem ein Mensch auf den Verlust eines geliebten Menschen (eines „Objekts“) reagiert. Trauerarbeit, die täglich im Alltag geleistet wird, ist der Versuch zu vergessen. Bei der Familie Mitscherlich wird daraus, ohne Angaben von Gründen, der Appell, sich zu erinnern. An die Untaten und Verbrechen der Nationalsozialisten. Mitscherlich nahm später unwidersprochen hin, daß sein Vorwurf an die Deutschen, nicht um den Führer zu trauern, sehr bald als antifaschistischer Kampfbegriff mißbraucht wurde, und er sich selbst als einen „Antifaschisten der ersten Stunde“ (so ein Biograph) stilisieren konnte. Wie kam Mitscherlich dazu, für seine Arbeiten ausgerechnet Sigmund Freud als Zeugen aufzurufen, ja sogar das von den Mitscherlichs begründete Institut „Sigmund-Freud-Institut“ zu nennen? Aus diesem aber stammte ein junger Kritiker Mitscherlichs, Christian Schneider. Nach seiner Meinung sind die Rückgriffe auf Freud eigentlich Übergriffe, nämlich ein „unredlicher“ Versuch, die Autorität des vertriebenen jüdischen Professors für eigene Zwecke zu nutzen.Erst rund 40 Jahre nach Erscheinen der „Unfähigkeit zu trauern“ erschien die kleine Schrift eines anderen kritischen jungen Wissenschaftlers, Martin Dehli, eines typischen Vertreters der nach-68er Zeit, der den Großinquisitor des Antifaschismus etwas näher unter die Lupe nahm. Und da stellte sich heraus, daß Alexander Mitscherlich in der Weimarer Zeit und im Dritten Reich keineswegs so ein glühender Anhänger der Demokratie und Widerstandskämpfer gegen Hitler gewesen war, wie er sich bis dahin in Büchern und Vorträgen, besonders aber in seiner Autobiographie „Ein Leben für die Psychoanalyse“ geschildert hatte. „Antifaschist war er eindeutig nicht“, urteilt Dehli.

Im Gegenteil, seine von Mitscherlich als Beweis angeführte Mitarbeit an Ernst Niekischs Zeitschrift „Widerstand“ wird da allzu umstandslos als Widerstandshandlung ausgegeben. In Wahrheit richtete sich die Zeitschrift in erster Linie gegen die Weimarer Republik, und Ernst Niekisch war als „Nationalbolschewist“ womöglich noch verrückter und radikaler als Hitler, verkrachte sich aber mit dem System, und erst lange nach der Machtübergabe wurde die Zeitschrift verboten. Mitscherlich jedenfalls bewegte sich damals im Dunstkreis der sogenannten „Konservativen Revolution“ und war nicht nur befreundet mit Niekisch, sondern sehr eng verbunden mit dem nach dem Krieg erbittert angegriffenen Ernst Jünger, was ja nicht unbedingt gegen den späteren Kämpfer gegen den Faschismus spricht. Er bewunderte den Antidemokraten und war offenbar fasziniert von dem antibürgerlichen, forschen Auftreten dieses Gegners der Weimarer Republik. Jünger nahm an vorderster Front an den Grabenkämpfen des Ersten Weltkriegs teil, erhielt wegen außergewöhnlicher Tapferkeit die begehrte Auszeichnung „Pour le Mérite“ und verherrlichte das Kriegserlebnis in seiner Tagebuchskizze „In Stahlgewittern“ (1920). Der Dichter schrieb 1932 seinem jungen Freund und Bewunderer in sein gerade erschienenes Buch „Der Arbeiter – Herrschaft und Gestalt“ eine Widmung, mit der Mitscherlich anscheinend gut leben konnte: „Krieg ist besser als Knechtschaft.“ Deutliche Sprache. Erst nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches raffte sich der Jüngere zu einem Brief an Ernst Jünger auf: „Krieg ist die Ultima ratio der Knechtschaft.“ Das war natürlich der Bruch. Aber da war Mitscherlich auch schon auf dem Weg ins bundesrepublikanische Establishment. An die Spitze der Umerzieher.

Im April diesen Jahres fand in Jena ein Symposion junger Wissenschaftler und Publizisten statt, die das Verhältnis der 68er zu ihrem einstigen Vordenker Mitscherlich neu definieren und in ein kritisches Licht rücken sollte. Da blieb nicht viel von der Autorität des Mannes übrig, der einst eine ganze Nachkriegsgeneration unter Anklage gestellt und von den jungen Rebellen als Kronzeuge verehrt worden war. Der Biograph Martin Dehli ließ in einem Interview in der linken „Tageszeitung“ (taz) nicht sehr viel Gutes am Idol einer Protestgeneration: „Hat er in seiner Autobiographie ,Ein Leben für die Psychoanalyse‘ gelogen?“ „Nicht direkt gelogen“, meint der vorsichtige junge Mann, „aber er hat behauptet, daß er 1932 seine Dissertation in Geschichte nicht beenden konnte wegen des heraufziehenden Nazismus. Das stimmte so nicht. Außerdem hat er berichtet, daß er 1937 acht Monate wegen seiner Kontakte zu Niekisch in Haft war. Es waren aber nur drei.“ Weitere Drangsalierungen sind nicht bekannt.

Götterdämmerung. Anhaltendes Wackeln bei den Säulenheiligen der alten Bundesrepublik. Walter Jens: hartnäckig verheimlichte Mitgliedschaft in der NSDAP. Günter Grass: mit fast 80 endlich erinnerte Mitgliedschaft in der Waffen-SS und nun auch Mitscherlich als Parteigänger der Nationalbolschewisten um Niekisch.Fügen wir der Mitscherlich-Befragung auf dem Kongreß von Jena noch unsere Frage hinzu: Waren Alexander Mitscherlich und seine Frau Margarete, die Gewährsleute der 68er, die Autoren des bösen antideutschen Kultbuchs, selber eigentlich wenigstens nach 1945 gute Demokraten? Ich habe die beiden Mitscherlichs nie kennengelernt. Aber sie hatten eine Tochter Monika, und die gehörte zu den Mitarbeitern unseres guten alten „konkret“. Als wir den „Kampf gegen den Atomtod“ führten. Der Antifaschismus der Eltern verpflichtete. Monika Mitscherlich spielte zumindest bei einer anderen Spielart des deutschen Totalitarismus, der RAF, eine nicht unwichtige Rolle.Als Quartiergeberin für eine den Mord nicht ausschließende Gruppe. Sie verfügte über ein Tagungshaus im Taunus, und dort fand die mit Monika gut bekannte Ulrike Meinhof auf der Flucht Unterschlupf. Widerwillig zwar gab Frau Mitscherlich ihrer Tochter den Hausschlüssel. Die Gruppe hatte dort wochenlang einen so sicheren Ruheraum, wie ihn sonst nur der Stasi-Chef Mielke in der DDR bieten konnte. Auch Frau Mitscherlich hat meines Wissens nie öffentlich wegen des Endes der Terroristen, die immerhin mehrere Dutzend Menschen ermordet hatten, getrauert. Vielleicht war auch sie dazu unfähig.

Foto: Alexander Mitscherlich, Margarete Mitscherlich, Jürgen Habermas: Empfang des Suhrkamp Verlages 1976 (360-berlin)


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