26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
17.05.08 / Aus der Vogelperspektive oder in der Unterwelt / Auf dem Krimi-Festival »Criminale« in Wien lasen deutschsprachige Krimi-Autoren aus ihren Werken

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-08 vom 17. Mai 2008

Aus der Vogelperspektive oder in der Unterwelt
Auf dem Krimi-Festival »Criminale« in Wien lasen deutschsprachige Krimi-Autoren aus ihren Werken
von Helen Bauers

Die österreichische Hauptstadt Wien präsentierte sich großstädtisch, aber gemütlich wie immer – hinter den Kulissen jedoch regierte das Verbrechen. Zumindest das literarische. Und das auch nur für wenige Tage. Über 220 Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus Deutschland, Österreich und der Schweiz waren angereist, um fast eine Woche lang die diesjährige „Criminale“ zu feiern – das größte deutschsprachige Krimi-Festival Europas, veranstaltet von der Autorenvereinigung „Das Syndikat“ – für schreibende Kolleginnen und Kollegen, aber auch für Leserinnen und Leser und andere Interessierte. Wer sich fragt, warum dem „Krimi“ ein derart ausführliches Festival gewidmet ist, denn dieses Genre sei ja doch keine richtige Literatur, wird zum Höhepunkt jeder „Criminale“ eines Besseren belehrt. Auf der Abschlußgala, dem „Tango Criminale“ werden jährlich zwei bedeutende Auszeichnungen auf dem Gebiet der Kriminalliteratur verliehen: der Friedrich-Glauser-Preis, renommiertester deutschsprachiger Krimipreis, in vier Kategorien und der Hans-Jörg-Martin-Preis für die beste Kinder- und Jugend-Kriminalliteratur. An den folgenden Tagen gab es rund 80 Lesungen an 70 verschiedenen Orten Wiens – traditionell in Lokalen und Theatern, Literaturhäusern und Buchhandlungen, aber auch – mit Vogelperspektive auf die Stadt – in den Gondeln des Riesenrads, im Gasometer A und – in bester Tradition des „Dritten Mann“ – in der Kanalisation der Stadt. Etliche Autorinnen und Autoren lasen vor ausverkauften Häusern – für die Lesungen in den Sielgewölben der Kanalisation zum Beispiel waren schon lange vor dem Festival keine Karten mehr zu bekommen.

Wer aber nun war jener Friedrich Glauser, der dieser wichtigsten Trophäe für deutschsprachige Kriminalautorinnen und -autoren den Namen gab? Geboren 1896, war der erste deutschsprachige Autor, der den Kriminalroman hof- und salonfähig machte, Zeit seines Lebens ein Außenseiter, der erst nach seinem Tod einen gewissen Ruhm erlangte: Allein seine Lebensgeschichte, geprägt von Verhaltensstörungen in der Jugend, anhaltender Selbstmordgefährdung, ständiger hoher Verschuldung und späterer Entmündigung, liest sich wie ein Krimi. Morphiumsucht, Beschaffungskriminalität, wiederholte Suizidversuche und damit zusammenhängende langfristige Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken runden das Bild ab. Von 1931 bis 1934 schreibt er – neben einer Tätigkeit als freier Journalist – seinen ersten Kriminalroman. Aber dieses Genre gilt damals im deutschen Sprachraum keinesfalls als Literatur. Erst 1936 gelingt Glauser mit der Veröffentlichung eines zweiten Kriminalromans ein bescheidener Durchbruch (Glauser selbst bezeichnete seine Krimis selbst gern als Schundromane, obwohl sie Stimmungen besser zeichnen und soziale Details gekonnter darstellen als die seiner Zeitgenossen). Danach veröffentlicht er mehrere Kriminalromane, von denen einer ihm sogar einen Literaturpreis einbringt und eine Auftragsflut für weitere Romane, Erzählungen und journalistische Artikel auslöst. Die plötzliche Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit überfordert Glauser jedoch.

Im Dezember 1938 erleidet er einen Zusammenbruch und stirbt. Erst seit den Neuauflagen der 1990er Jahre ist es übrigens wieder möglich, Glausers Romane in der Ursprungsfassung zu lesen – aufgrund seiner Entmündigung hatten sich die Verleger das Recht zu jeglicher Veränderung seiner Texte herausgenommen. In der Gegenwart nun dürfen jährlich je fünf Nominierte in vier Kategorien auf der „Criminale“ zittern, bis der endgültige Gewinner der begehrten Friedrich-Glauser-Preise verkündet wird. In der Kategorie „Beste Kurzgeschichte“ ging die begehrte Auszeichnung in diesem Jahr an Bernhard Jaumann für seinen Titel „Schnee an der Blutkuppe“, erschienen in der Anthologie „Zum Sterben schön“. Als Autor des „Besten Debüt-Romans“ gewann den Preis Rainer Gross mit seinem Roman „Grafeneck“. Als „Bester Roman“ ging der Titel „Die Stadt der Verlierer“ von Lilian Faschinger aus den nominierten als Sieger hervor. Der vierte „Glauser“ für die Kategorie „Lebenswerk“ beziehungsweise „Besondere Verdienste um die Kriminalliteratur“ ging an die Autorin Sabine Deitmer, die unter anderem bereits den Deutschen Krimipreis gewonnen hat. Der Hansjörg-Martin-Preis ging an Boris Koch für seinen Jugendkrimi „Feuer im Blut“. Im nächsten Jahr findet die „Criminale“ übrigens in Singen statt – ob das allerdings etwas mit dem Ganoven-Ausdruck für ein Geständnis zu tun hat?

Foto: Glückliche Gewinner beim gruseligen Spiel: Die Preisträger der diesjährigen „Criminale“ (Bauers)


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren