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17.05.08 / Katyn und mehr / Russischer Historiker entwirrt »einzigartiges Konzentrat

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-08 vom 17. Mai 2008

Katyn und mehr
Russischer Historiker entwirrt »einzigartiges Konzentrat von Tabuthemen«

Der Autor Victor Zaslavsky, ein emigrierter russischer Geschichtsprofessor, schildert in dem Buch „Klassensäuberung – Das Massaker von Katyn“, wie der Molotow-Ribbentrop-Vertrag vom 23. August 1939 für Hitler und Stalin den Weg frei machte, Polen zu erobern und unter sich aufzuteilen. An die Sowjetunion fielen vertraglich 52 Prozent des polnischen Staatsgebietes mit einem Drittel der Bevölkerung. Darunter waren 250000 Soldaten, Offiziere und Reservisten der Armee. Zwei Jahre später waren im östlichen Polen mehr als 400000 Menschen „ins Gefängnis gesteckt, deportiert und erschossen“.

Folgendes war passiert: Am 17. September 1939 fiel die Rote Armee in Polen ein. Am 30. November 1939 begann sie den Winterkrieg gegen Finnland. In der Folge mußte Ostkarelien mit der Landenge von Wiborg abgetreten werden. 160000 Karelier wurden nach Finnland umgesiedelt, einen Rest deportierte Stalin. Im Juni 1940 zwang die UdSSR die baltischen Staaten Estland, Lettland, Litauen unter ihre Hoheit. Zeitgleich mußten im Süden Bessarabien und die nördliche Bukowina von Rumänien abgetreten werden. Massendeportationen wie in Ostpolen begannen in allen Gebieten. Die deutsche Wehrmacht bereitete durch ihren „Überfall“ am 22. Juni 1941 solcher Volksvernichtung ein Ende. Zaslawsky vermittelt uns verblüffende Einsichten, die nicht nur eine Neubewertung des Falles Katyn erfordern, sondern auch der Geschichtsschreibung, die zauderte, das „einzigartige Konzentrat von Tabuthemen“ zu entwirren. Die enge politische deutsch-sowjetische Zusammenarbeit bedeutete für Stalin mehr „als Zeit zu gewinnen und sich auf die Auseinandersetzung mit dem Nazismus vorzubereiten“. Denn hätte Hitler den Vorschlag der sowjetischen Führung vom November 1940 angenommen und die UdSSR in den Dreimächtepakt aufgenommen, dann hätte nicht nur Europa, sondern die ganze Welt aufgeteilt werden können. Auch „das Dogma der ,Unvergleichbarkeit‘ des NS- und Stalinregimes wäre nicht länger haltbar gewesen und die Fragwürdigkeit des ,antifaschistischen Paradigmas‘ der Geschichtsschreibung“ offenkundig geworden. Im Nürnberger Prozeß gegen die „Hauptkriegsverbrecher“ wurde Katyn als Verbrechen der Hitleristen gebrandmarkt. Ein „beispielloses Fälschungs- und Täuschungsmanöver“ war eingefädelt worden, um auch mit Hilfe westlicher Politiker und Historiker Katyn als deutsches Verbrechen zu verurteilen. In Moskau hatte man eine „offizielle Version“ geschaffen, untermauert mit gefälligen „Gutachten“ und „Zeugen“. Jedes Zweifeln an der offiziellen Darstellung wurde als Verharmlosung von Naziverbrechen beschuldigt und verfolgt. Das blieb so, bis sich Gorbatschow nach langem Taktieren 1990 und Jelzin 1992 für die Tat bei Polen entschuldigten. Eine Untersuchung durch die russische Militärstaatsanwaltschaft kam in Gang und trug 183 Ordner zusammen. Von diesen erklärte der Staatsanwalt 36 zum „Staatsgeheimnis“, weitere 80 als vertraulich und geheim. Damit waren nur 67 Akten für Historiker zugänglich. 2004 wurde das Verfahren eingestellt. Die Putin-Regierung kehrte damit zum Verschweigen und zur Glorifizierung des Sowjetregimes zurück.

Aber warum halten Moskau und auch London bis heute die Aufklärung der Stalinverbrechen zurück? Verbergen sich andere Aspekte in den Archiven, Gründe, die bis in die Vorkriegsgeschichte reichen? Das Buch wirft viele kluge Fragen auf und klärt vieles. Jedoch sind einige Behauptungen unstimmig. Etwa, Norwegen sei überfallen worden, obschon die Deutschen einer Besetzung durch die Engländer und Franzosen nur um einen Tag zuvorkamen. Darüber, ob es sich beim Angriff auf die Sowjetunion wirklich um einen Überfall gehandelt hat, gehen bekanntlich die Meinungen auseinander. Um das Geschehen von Katyn ranken sich eine Vielzahl von großen Verbrechen und politische Hintergründe. Diese, die Männer und die wirklichen Zusammenhänge scheinen bis heute verborgen. Hans-Otto EbnerVictor Zaslavsky: „Klassensäuberung – das Massaker von Katyn“, Verlag Wagenbach, Berlin 2007, 140 Seiten, 10,90 Euro


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