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17.05.08 / »Vergeben ja, vergessen nie« / Die Autorin Hildegard Rauschenbach wurde mit dem Kulturpreis für Publizistik ausgezeichnet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-08 vom 17. Mai 2008

»Vergeben ja, vergessen nie«
Die Autorin Hildegard Rauschenbach wurde mit dem Kulturpreis für Publizistik ausgezeichnet

Die Flucht“ oder „Die Gustloff“ waren Fernsehfilme aus jüngster Zeit, die ein großes Publikum erreicht haben. Plötzlich spricht man über die Schicksale deutscher Zivilisten während des Zweiten Weltkrieges. Während in der Öffentlichkeit lange Zeit ein Mantel des Schweigens über dieses Thema gebreitet wurde, hat eine Frau schon viel früher das Wort ergriffen und von den Schicksalen deutscher Mädchen und Frauen berichtet, die im Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiterinnen in die Sowjetunion verschleppt wurden.

Hildegard Rauschenbach, geborene Mischke, erblickte am 15. März 1926 das Licht der Welt auf dem elterlichen Bauernhof in Dickschen, Kreis Pillkallen. Das fröhliche Kind, das immer zu Streichen und allerlei Schabernack aufgelegt war, wie sie heute mit einem Schmunzeln zu erzählen weiß, besuchte die Dorfschule – für mehr reichte das Geld der Eltern nicht. Als eine Tante das junge Mädchen 1942 dann nach Königsberg holte, wo sie sich zur Musiklehrerin ausbilden lassen wollte, war Hildegard begeistert – die große Stadt, die Musik, die sie für ihr Leben liebte ... Dieser Traum aber mußte bald begraben werden: Im Januar 1944 kehrte sie nach Hause zurück, um den Eltern auf dem Hof zur Seite zu stehen; der älteste Bruder war gefallen. Im Oktober des selben Jahres mußte die Familie vor der herannahenden Roten Armee flüchten. Über Wehlau gelangte sie in den Kreis Karthaus – dort schlug das Schicksal dann unerbittlich zu: Hildegard wurde verschleppt und mußte im fernen Sibirien dreieinhalb Jahre lang Zwangsarbeit leisten. Unvorstellbare Lebensumstände, Hunger, Kälte, Heimweh, harte Arbeit standen im Lager Schadrinsk auf der Tagesordnung ... Erst 45 Jahre später gelang es ihr, sich diese Erlebnisse von der Seele zu schreiben. In dem Buch „Lager 6437, Ich war verschleppt nach Sibirien“ schildert sie ihre entbehrungsreiche Zeit im Lager. Entstanden ist ein Buch ohne Anklage, das eindrucksvoll belegt, wie sehr es Hildegard Rauschenbach gelungen ist, trotz ihres schweren Schicksals ein lebensbejahender Mensch zu bleiben. Inzwischen liegt ihr Erinnerungsbuch in erweiterter Form auch in russischer Sprache vor. Zu Schadrinsk und den heute dort lebenden Menschen hat Hildegard Rauschenbach einen intensiven Kontakt aufgebaut. „Vergeben ja, vergessen nie“ ist ihr Leitsatz bis heute, den sie auch immer wieder in Vorträgen an Schulen oder in Gesprächen mit Studenten aus aller Welt mit Leben erfüllt hat. Als eine der ersten hat sie die Schicksale deutscher Frauen und Mädchen in sowjetischer Gefangenschaft publik gemacht. Dank ihrer Initiative wurde durch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge im Jahr 2000 auf dem Berliner Standortfriedhof in der Lilienthalstraße eine Nachbildung des Gedenksteins für die verschleppten deutschen Frauen und Mädchen aufgestellt, der zuvor in Schadrinsk am Gemeinschaftsgrab deutscher Mädchen und Frauen errichtet worden war. Im November 2001 wählte man Hildegard Rauschenbach im Rahmen der zentralen Gedenkstunde des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge im Berliner Reichstag als Sprecherin der Zeitzeugen aus. 2002 wurde ihr, nicht zuletzt wegen ihrer Verdienste um eine Völkerverständigung zwischen Russen und Deutschen auf der Grundlage der historischen Wahrheit, das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Über viele Jahre war Hildegard Rauschenbach, die seit 1950 mit ihrer Familie in Berlin lebt, auch in landsmannschaftlichen Gremien aktiv, so im Vorstand der Landesgruppe Berlin und in der Berliner Gruppe der Kreisgemeinschaft Schloßberg. Immer wieder hat sie auch zur Schreibmaschine gegriffen, um das dörfliche Leben in ihrer Heimat anschaulich zu schildern. Ihre Bücher „Zuhause in Pillkallen“, „Marjellchen wird Berlinerin“, „Koddrig und lustig“ und „Marjellchen plachandert wieder“ erfreuen eine große Lesergemeinde. Nicht zu vergessen ihre Beiträge in der Wochenzeitung Das Ostpreußenblatt. Ihre Lieder, die sie vertont hat – mittlerweile sind es über 50! – und die sie lange Jahre auch selbst live vorgetragen hat, finden nun auf Musikträgern ihre Zuhörer. Mit ihrem Einsatz für das heimatliche Plattdeutsch in der von ihr ins Leben gerufenen Berliner Gruppe Ostpreußisch Platt hat Hildegard Rauschenbach darüber hinaus Akzente gesetzt. In Würdigung ihrer außergewöhnlichen Leistungen und ihrer Verdienste um eine Völkerverständigung zwischen Russen und Deutschen auf der Grundlage der historischen Wahrheit hat die Landsmannschaft Ostpreußen Hildegard Rauschenbach den Kulturpreis für Publizistik verliehen. Silke Osman

Foto: Historische Wahrheit als Aufgabe: Wilhelm v. Gottberg würdigte Hildegard Rauschenbachs Engagement. (Sven Lambert)

 

»Dieses wunderbare geliebte Land gab uns die Kraft«

Sichtlich bewegt ergriff Hildegard Rauschenbach das Wort, um der Landsmannschaft Ostpreußen und speziell deren Sprecher, Wilhelm v. Gottberg, zu danken: „In den zurückliegenden Jahren hielt ich des öfteren auch Vorträge in Schulen und christlichen jungen Gemeinden, wo danach junge Menschen, mich bewundernd anschauend, sagten: ,Sie sind eine starke Frau!‘ Wenn ich es denn war, was hat mir, ja, was hat uns die Kraft gegeben, liebe Landsleute? – War es unser weites, stilles Land mit seinem schwarzen fruchtbaren Acker, in dem unsere Wurzeln gründeten und dessen Früchte wir aßen?Waren es die Roßgärten mit den blanken Poggenteichen, die lichten Blaubeerwälder, die unsere Augen blickten, der herbe Duft der Ähren, die der Wind uns zutrug? Oder waren es die Tiere des Hofes, die uns vertrauten, denen unsere Zuwendung galt und die wir jederzeit streicheln konnten? Wir brauchten keinen Teddybären zum Einschlafen, eine Katze kam immer zum Kuscheln.

Alles mußten wir verlassen. Das Land konnte uns nicht begleiten. Aber – und dessen bin ich heute sicher – dieses wunderbare geliebte Land hat uns seine in ihm wohnende Kraft mitgegeben! Wie wohl hätten wir sonst alles Leid und die Last, die uns aufgezwungen wurde, verkraften können? Und wir haben es dem Land mit unserer Treue gedankt; sonst wären wir heute nicht hier! Und es gäbe auch keine LO!

Ich habe für mich noch nie das Wort ,Stolz‘ in Anspruch genommen. Heute benutze ich es: Ich bin stolz darauf und bekenne, eine Tochter dieses Landes zu sein und dankbar für die Gabe, Erinnerungen wachhalten und vermitteln zu können. ,Erinnerung ist nicht die Pflege der Asche, sondern das Wahren der Glut, aus der der Funke springt!‘ Lassen wir den Funken zünden und geben unsere Erinnerung weiter an die, die nach uns kommen und wissen wollen, wie man im Land ihrer Väter und Mütter gelebt hat.“In der ihr eigenen Art schloß Hildegard Rauschenbach ihre kurze Ansprache mit einem Gedicht, das sie schon vor 20 Jahren zu Papier gebracht hatte, das aber, so die Preisträgerin, „in unsere heutige Zeit, die von Menschenverachtung, Geld- und Machtgier geprägt ist, paßt“:

Bliev een Mensch

Doa stride sich de Professore
Ob moal de Mensch als Oap gebore,
Ob he v’leicht e Fesch moal weer
Oder ob een andret Deer.
Eck meen, dat es doch nicht so wechtich
Ob dat eene oder andere rechtich.
Best du als Menscheen Mensch gebläwe
Dat es dat Wichtigste em Läwe.


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