19.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
24.05.08 / Protest mit Folgen / Vor 40 Jahren wurde die Leipziger Paulinerkirche gesprengt – Haft für Physik-Student

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-08 vom 24. Mai 2008

Protest mit Folgen
Vor 40 Jahren wurde die Leipziger Paulinerkirche gesprengt – Haft für Physik-Student
von Jörg B. Bilke

Am 30. Mai 1968, als auf Westdeutschlands Straßen und Plätzen die APO-Studenten gegen das Unrecht in aller Welt demonstrierten und niemand hierzulande wissen wollte, was jenseits der innerdeutschen Grenze geschah, vor 40 Jahren also, wurde auf dem Leipziger Karl-Marx-Platz, der seit 1990 wieder Augustusplatz heißt, gegen den Willen der Bevölkerung die Universitätskirche gesprengt!

Der Befehl dazu kam direkt aus Ost-Berlin, von dem 75jährigen SED-Generalsekretär und militanten Atheisten Walter Ulbricht (1893–1973), für den anscheinend unerträglich war, daß auf einem Platz, der seit 1953 den Namen des „sozialistischen Klassikers“ Karl Marx (1818–1883) trug, eine christliche Kirche stehen sollte. Aber es ging nicht um die Kirche allein, auch die alte, 1409 gegründete Universität hinter der Kirche, auch sie 1953 nach Karl Marx benannt, das sogenannte Augusteum, wurde weggesprengt und mit ihr der berühmte Hörsaal 40, in dem die Professoren Ernst Bloch (1885–1977) und Hanns Mayer (1907–2001) lasen.

Der Protest gegen die Sprengung verlief unterschwellig und verhalten, schließlich waren bei Zuwiderhandlungen Gefängnisstrafen angedroht worden, Fotografieren war verboten, „inoffizielle Mitarbeiter“ der „Staatssicherheit“ waren als Beobachter in der Menschenmenge auf dem Karl-Marx-Platz verteilt, die mit Entsetzen der Sprengung um 9.58 Uhr zusah.

Nun liegt von Dietrich Koch, einem Physiker aus Leipzig, der 1972 aus der Psychiatrischen Anstalt des Zuchthauses Waldheim in Sachsen freigekauft wurde, das Buch „Nicht geständig – Der Plakatprotest im Stasi-Verhör“ vor, worin eine konspirative Aktion während des dritten Leipziger Bach-Wettbewerbs am 20. Juni 1968 beschrieben wird. Eine kleine, verschworene Gruppe von fünf Physik-Studenten hatte ein Plakat gefertigt, auf dem eine Silhouette der Universitätskirche zu sehen war, darunter stand der Satz: „Wir fordern Wiederaufbau!“ Dieses Plakat wurde, ausgelöst durch einen Zeitmechanismus, in den Festsaal des Leipziger Kongreßhauses abgesenkt, wo gerade die Festreden gehalten wurden. Keine DDR-Zeitung durfte damals über diesen beschämenden Vorfall berichten, nur der Korrespondent des West-Berliner „Tagesspiegels“, der zufällig im Publikum saß, schrieb einen Artikel darüber.

Die „Staatssicherheit“ konnte trotz wochenlanger Fahndungen der Täter nicht habhaft werden, weil sie auf der falschen Spur suchte, nämlich bei den Theologen. Immerhin konnte sie damals mit Nikolaus Krause, heute Klinikseelsorger in Dresden, einen Studenten der Theologie verhaften, der Unterschriften gegen die Sprengung gesammelt hatte und dafür 22 Monate Gefängnis zudiktiert bekam. Zwei der fünf  Physik-Studenten, Harald Fritzsch (heute Physikprofessor in München) und Stefan Welzk (heute Wirtschaftsreferent der Landesregierung Schleswig-Holstein in Kiel), flohen noch 1968 mit einem Boot übers Schwarze Meer in die Türkei. Stefan Welzk erzählte dem westdeutschen APO-Studenten Bernard Langfermann vom Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin von der Leipziger Plakataktion. Der aber war SED-Mitglied und „inoffizieller Mitarbeiter“ des Ost-Berliner „Ministeriums für Staatssicherheit“. Er schrieb alles auf und brachte seinen Bericht nach Berlin-Lichtenberg, dem Sitz des Ministeriums, worauf Dietrich Koch 1970 in Leipzig verhaftet wurde.

Nun wurde alles ihm aufgelastet, was der angeblich „staatsfeindlichen Gruppe“ von fünf Studenten vorgeworfen wurde. Er hätte, schon einmal festgenommen von der „Volkspolizei“ am 27. Mai 1968, drei Tage vor der Sprengung, die „staatlichen Maßnahmen zur Umgestaltung“ des Karl-Marx-Platzes „diskriminiert“. Damals hatte er auch seinen Arbeitsplatz bei der Ost-Berliner Akademie der Wissenschaften verloren. In der Gruppe, die keine war, hätte er „staatsfeindliche Hetze“ betrieben „mit dem Ziel der Aufwiegelung und Zersetzung der sozialistischen Gesellschaftsordnung“. Das Strafmaß lautete auf zweieinhalb Jahre. Der West-Berliner Denunziant von 1970, Bernard Langfermann, wurde nach 1989/90 angezeigt, das Verfahren wurde aber niedergeschlagen.

Nur wer am 1. Mai 2008 im „Mitteldeutschen Fernsehen“ den Film „Die Toten der Paulinerkirche“, die nach ihrem Gründerorden, den Paulinern, benannt war, gesehen hat, der kann ermessen, welchen Akt der Kulturschande diese Sprengung darstellte. Erbaut in den Jahren nach 1231 und geweiht 1240, war diese 737 Jahre alte Klosterkirche auch der Begräbnisort für verdiente Professoren der Universität und für Angehörige des sächsischen Adels. Diese Kirche, die den angloamerikanischem Bombenangriff vom 4. Dezember 1943 fast unbeschadet überstanden hatte, wurde vor 40 Jahren ein Opfer der Zerstörungswut der Kommunisten.

Dietrich Koch, inzwischen 71 Jahre alt, ist mit seinen Büchern „Das Verhör“ und „Nicht geständig“ in mehr als zwei Dutzend Lesungen auftreten. Die zweite Lesung bei der Leipziger Außenstelle der Gauck-Birthler-Behörde wurde von DDR-Sympathisanten derart empfindlich gestört, daß sie nicht stattfinden konnte.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren