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24.05.08 / Pflichtarbeit / Wirtschaftsminister Glos will »Bürgerarbeit« als Gegenleistung für Hartz IV

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-08 vom 24. Mai 2008

Pflichtarbeit
Wirtschaftsminister Glos will »Bürgerarbeit« als Gegenleistung für Hartz IV
von Mariano Albrecht

Kaum hat SPD-Chef Kurt Beck das Thema Vollbeschäftigung entdeckt, bringt das die Union, genauer gesagt die CSU in Gestalt von Wirtschaftsminister Michael Glos, auf den Plan.

Langzeitarbeitslose und schwer vermittelbare Arbeitnehmer sollen nicht länger Hartz-IV-Leistungen ohne Gegenleistung beziehen. Da das System der Ein-Euro-Jobs nicht für alle Leistungsempfänger greift, geht Glos einen Schritt weiter. Ähnlich wie zum Beispiel in Dänemark will der Wirtschaftsminister Leistungsempfänger zu einer Gegenleistung für die Subventionierung des Lebensunterhalts verpflichten. Hartz-IV-Gegner wittern das Entstehen eines „modernen Sklavenmarktes“, doch die Realität sieht anders aus.

25 Milliarden Euro könnte der Staat sparen, wenn es gelänge, Hartz-IV-Empfänger durch die Verpflichtung zu einer Arbeit, die mit nicht mehr als dem Hartz-IV-Satz bezahlt würde, zu motivieren, sich selbst auch eine Arbeit zu suchen, die unter Umständen gerade so über dem Sozialhilfesatz läge.

Glos hat dazu ein Konzept zur „Bürgerarbeit“ auf den Tisch gebracht, mit dem er 1,4 Millionen Arbeitslosengeld-II-Empfänger in Arbeit bringen will. Anders als bei den Ein-Euro Jobs soll diese Arbeit nicht extra bezahlt werden. Bei Verweigerung droht der Verlust von Leistungen. Mit Ein-Euro-Jobs können Hartz-IV-Empfänger bisher ihren monatlichen Regelsatz von 347 Euro für den Lebensunterhalt um rund 160 Euro aufbessern. Die Bürgerarbeit soll diejenigen, die bei allen anderen Maßnahmen durchgefallen sind, zur Mitwirkung an der Eingliederung in Arbeit motivieren. Das könnte funktionieren, denn müßte man für den Erhalt von Leistungen sowieso arbeiten, könnte man sich auch gleich eine Arbeit suchen. Doch wo sind die Arbeitsmöglichkeiten?

Michael Glos hat zur Untermauerung seiner Forderung das „Institut zur Zukunft der Arbeit“ (IZA) mit einer Studie beauftragt. Das arbeitgebernahe IZA wird von der „Deutsche Post Stiftung“ gefördert. Die Positionen des IZA sind umstritten, neben der Ablehnung von Mindestlöhnen spricht sich das IZA auch für ein höheres Renteneintrittsalter, die Lockerung des Kündigungsschutzes und die Verlängerung der Arbeitszeit aus.

Hilmar Schneider, Direktor für Arbeitsmarktpolitik am IZA und Mitverfasser der „Workfare-Studie“, ist der Meinung, daß Arbeitslose durch Pflicht zur Arbeit ohne zusätzliche Entlohnung zu den Transferleistungen motiviert werden, sich selbst schnell um eine reguläre Stelle zu bemühen. „Workfare“ ist ein Kunstwort aus dem englischen Wörtern work (Arbeit) und welfare (Wohlfahrt), zu gut deutsch: fordern und fördern.

So sieht Schneider Arbeitsmöglichkeiten in „Workfare“-Angeboten, bei denen eine produktive und qualifizierende Tätigkeit nur von nachrangiger Bedeutung ist und somit allenfalls eine strukturierende Wirkung auf den Tagesablauf und damit mittelbar eine Steigerung der Beschäftigungsfähigkeit angestrebt wird, ansonsten aber der „abschreckende“ Effekt im Vordergrund steht.

Einsatzmöglichkeiten sieht er in sogenannten marktfernen Tätigkeiten wie „einfachste quasi-industrielle Produktion, deren Nutzen für die Gemeinschaft oder qualifizierende Wirkung für die Teilnehmer kaum hervortritt“.

Schneider sieht weitere Möglichkeiten. Über den Einsatz der Null-Euro-Jobber heißt es in der Studie: „Es spricht jedoch grundsätzlich nichts gegen eine Einschaltung von privaten, gewinnorientierten Akteuren. Wichtiger als die Rechtsform des Trägers sind die Anreizstrukturen.“ Und diese können nach Schneiders Ansicht am besten in der freien Wirtschaft geschaffen werden. Sollen hier billige Arbeitskräfte, womöglich auf Kosten regulärer Arbeitsplätze, im Markt untergebracht werden?

In der Studie wird kritisiert, daß öffentlich finanzierte Jobs die Träger nicht selten dazu verleiten, Arbeitslose unnötig lange in Maßnahmen zu halten, um die Zahlung von Fördermitteln nicht abreißen zu lassen. Besser seien schwer vermittelbare Arbeitslose bei den „privaten, gewinnorientierten Akteuren“ aufgehoben, diese müssen sich nicht den Vorwurf gefallen lassen, kein Interesse an der Vermittlung der Langzeitarbeitslosen in eine reguläre Arbeit zu haben, da ja der Arbeitslosenmarkt genügend „Nachschub“ hergibt, argumentiert Schneider in der Studie für den Wirtschaftsminister.

Derzeit gibt es in Deutschland 2,4 Millionen Arbeitslosengeld-II-Bezieher. Rechnet man diejenigen heraus, die durch andere Maßnahmen wie Ein-Euro-Jobs, Bildungsmaßnahmen oder eigene Bemühungen den Weg in das Arbeitsleben finden, kann von einer Größenordnung von 500000 Personen ausgegangen werden. Allerdings treten monatlich auch rund 300000 Menschen in den Status des ALG-II-Empfängers ein. Nach den Auswirkungen auf den ersten Arbeitsmarkt gefragt, wiegelt Hilmar Schneider ab. Er kann sich nicht vorstellen, daß durch die Null-Euro-Kräfte reguläre Arbeitsplätze gefährdet werden, da ja nur sehr gering Qualifizierte und in anderen Maßnahmen Gescheiterte in die „Bürgerarbeit“ gebracht werden sollen.

Allerdings stellt sich dann die Frage, wie derart schwierige Fälle überhaupt bei den „privaten, gewinnorientierten Akteuren“ untergebracht werden sollen.

Was sollen die mit Arbeitskräften anfangen, deren Nutzen für die Gemeinschaft oder qualifizierende Wirkung für die Teilnehmer kaum hervortritt?

Foto: Ein-Euro-Jobber als Bahnbegleiter: Kommen jetzt Null-Euro-Jobber?

 

Zeitzeugen

Franz von Assisi – Geld ohne Arbeit? Dem italienischen Ordensgründer (1181/82–1226) schwebte das exakte Gegenteil vor: Franzis­kaner leben in gewollter Armut, alle jedoch sollen nach dem Willen und Vorbild ihres Gründers ehrbar arbeiten, und „die es nicht können, sollen es lernen“, so Franz von Assisi.

 

Hans Graf zu Rantzau – Die erbuntertänigen Bauern waren seit dem Mittelalter zur Arbeit für den Grundherrn verpflichtet. Der holsteinische Hans Graf zu Rantzau (1693–1769) machte das Experiment, gab 1739 einem Bauern Land, Saat, Vieh und Geräte und ließ ihn gegen Steuern auf eigene Rechnung wirtschaften. Ergebnis: Dieser Bauer brachte sich selbst und ihm viel mehr ein als die erbuntertänigen. Darauf schuf Rantzau weitere 30 freie Betriebe.

 

Reichsfreiherr vom Stein – Der preußische Reformer Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein (1757–1831) wurde 1807 in der größten Krise Preußens zum Minister berufen. Durch das mit seinem Namen verbundene „Oktober-Edikt“ hob König Friedrich Wilhelm III. „alle Guts-Unterthänigkeit in Unsern sämmtlichen Staaten“ zum Martini-Tag 1810 auf. Damit gab es, wie es in dem Edikt hieß, in Preußen von da an „nur freie Leute“.

 

Peter Hartz – Der 1941 geborene ehemalige VW-Manager stand mit seinem Namen für Arbeitsmarktreformen, von denen „Hartz IV“ am meisten Furore machte. Mit der Maßnahme sollten Arbeitslose nachdrücklicher zur Aufnahme einer Tätigkeit bewegt werden. Später wurde Hartz, SPD- und IG-Metall-Mitglied, wegen Untreue zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von 576000 Euro verurteilt.

 

Fritz Todt – Der Chef der nach ihm benannten „Organisation Todt“ (OT) war schon 1922 der NSDAP beigetreten. Todt (1891–1942) leitete den Autobahnbau, seine 1938 gegründete OT baute West- und Atlantikwall. Wegen der Inanspruchnahme von Zwangsarbeitern durch die OT wurde Todts Name über Jahrzehnte gegen alle Maßnahmen ins Feld geführt, mit denen Leistungsempfänger zur Arbeit gedrängt werden sollen.


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