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24.05.08 / Konkrete Kritik formuliert / Zum Tag der Arbeit versammelten sich in Königsberg mehr Menschen als in den Vorjahren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-08 vom 24. Mai 2008

Konkrete Kritik formuliert
Zum Tag der Arbeit versammelten sich in Königsberg mehr Menschen als in den Vorjahren
von Jurij Tschernyschew

Mit Elan wurde in Königsberg am 1. Mai der Tag der Arbeit gefeiert. An diesem Tag werden in der Stadt üblicherweise die Springbrunnen wieder angestellt. Weil die Königsberger Jugend lustige Effekte liebt, wird dem Wasser der Springbrunnen gerne von Scherzbolden Shampoo oder Waschmittel beigefügt, was zwar zur Freude der Kinder zur Bildung großer Schaummengen führt, aber auch zu Problemen für die Mitarbeiter der Wasserwerke.

Zum Tag der Arbeit waren auch Hunderte Motorradfahrer aus Rußland und anderen Ländern gekommen, um durch die Stadt zu fahren und sich vor den Königsbergern zu zeigen. Später nahmen sie die Route Königsberg–Cranz–Rauschen in Angriff, um anschließend ins Königsberger Zentrum zurückzukehren, wo sie auf dem Zentralplatz auf eine Vielzahl Königsberger trafen. Dort fand ein Konzert statt, an dem sie teilnahmen. Auf dem Hansaplatz fand eine Folkloreaufführung statt.

Es gab auch den traditionellen Sportwettbewerb. Die Zeitung „Kaliningradskaja Prawda“ organisierte einen Stafettenlauf, wie er auch schon in den vorangegangenen Jahren durchgeführt worden war. An ihm nahmen viele Schulklassen, Studenten und Betriebssportler teil. Sie alle kämpften um den Preis der Zeitung.

Im Königsberger Zoo fanden sich viele Kinder mit ihren Eltern ein, um der Saisoneröffnung beizuwohnen.

Schon am Morgen des 1. Mai fanden von den Gewerkschaften und der Kommunistischen Partei organisierte Versammlungen und Kundgebungen statt. Beim Denkmal zu Ehren der Mutter Rußland versammelten sich Gewerkschafts- und Veteranenorganisationsfunktionäre. Später bewegten sich Kolonnen von Demonstranten vom Hotel „Kaliningrad“ über den Lenin-Prospekt zum Hansaplatz, wo eine Maikundgebung stattfand. Die Redner sprachen die sozialen Probleme an. Zu nennen sind hier vor allem der starke Preisanstieg bei Lebensmitteln und kommunalen Diensten. Obwohl laut offizieller Statistik die Inflation seit Beginn des Jahres 2008 nur 6,3 Prozent betrug, stiegen die Preise real wesentlich stärker. Das war besonders am 1. Mai zu spüren. Der Grund dafür war, daß bis zu diesem Tag eine Vereinbarung zwischen der Gebietsregierung und den Herstellern und Verkäufern von Grundnahrungsmitteln bestanden hatte, die sogenannten „sozial wichtigen“ Produkte zu eingefrorenen Preisen abzugeben. Nun sind diese Begrenzungen aufgehoben, und die Preise schnellten in die Höhe. Schon in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai wurden in den großen Handelsketten der Stadt die Preisetiketten geändert, so daß die ersten Käufer am frühen Morgen schon die neuen, erhöhten Preise zahlen mußten.

Daneben kritisierten die Redner, daß alle Medizin kostenpflichtig geworden sei, ungeachtet des Vorhandenseins einer Pflichtkrankenversicherung für jeden, ohne die man nicht zum Arzt gehen könne. Doch obwohl man vorab den Nachweis einer Krankenversicherung erbringen müsse, habe man praktisch für alles zu bezahlen. Vor dem Feiertag wurde der Chefarzt des Gebietskrankenhauses, Alexej Stenin, der erst vor kurzem diese Position übernommen hatte, gefeuert, weil fast alle Mitarbeiter des Krankenhauses Geld für die Behandlung forderten, ungeachtet dessen, daß die Patienten eine Krankenversicherung vorweisen konnten, deren Beitrag ihre Arbeitgeber direkt vom Gehalt abziehen.

Ebenso hieß es, daß in Königsberg die Dollar-Millionäre „wie Pilze aus dem Boden“ schössen und das, während gleichzeitig viele Rentner von weniger als umgerechnet 100 Euro im Monat leben müßten.

Die Redner erinnerten auch daran, daß Wladimir Putin vor kurzem erst erklärt hatte, „die durchschnittliche Pension“ würde „auf zirka 150 Dollar angehoben“, was seinen Angaben zufolge den 100 Rubeln entspreche, welche die Rentner in der Sowjetunion erhielten. Das ist jedoch ganz und gar nicht so. In der Sowjetunion kosteten die kommunalen Dienste für eine 50-Quadratmeter-Wohnung ungefähr 15 Rubel im Monat, heute sind es 3000 Rubel. Das heißt, die Rentner zahlen für ihre Wohnung bereits die gesamte Rente. Wenn früher das Essen in einer Mensa 50 Kopeken kostete, so sind es heute fast 200 Rubel. Für 100 sowjetische Rubel konnte man also 200mal essen, für die heutige durchschnittliche Rente gerade ein halbes mal.

Viele Redner übten auch Kritik am Chefarchitekten der Stadt Alexander Baschin und dem ehemaligen Bürgermeister Jurij Sawenko, die Königsberg zu einer Anhäufung von Eisen- und Beton-Monstern verwandelt und für gewaltige Baustellen Spielplätze und Parkanlagen geopfert hätten. Bei der Kritik bekamen auch die Glücksspielzonen, die im Königsberger Gebiet entstehen sollen, ihr Fett weg. Von ihnen hieß es, daß sie den Königsbergern nichts Gutes bringen würden.

Die Zeitungen der Region berichten für gewöhnlich, daß die Teilnahme an diesen Kund­ge­bun­gen und Demon­strationen rück­läufig sei und dort nur „alte Schwachköpfe“ hingingen, die wirklichkeitsferne Forderungen verträten. Doch in diesem Jahr versammelten sich wesentlich mehr Menschen auf dem Hansaplatz als in den vergangenen Jahren, und die Kritik an den Mächtigen wurden konkreter formuliert und in Resolutionen festgehalten.

Foto: Von Flaggen aus der Sowjetzeit geprägt: Festveranstaltung aus Anlaß des Tages der Arbeit


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