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31.05.08 / Mit großen Namen Kasse machen? / Literatur auf der Bühne – Die Dramatisierung großer Prosa zieht weite Kreise

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-08 vom 31. Mai 2008

Mit großen Namen Kasse machen?
Literatur auf der Bühne – Die Dramatisierung großer Prosa zieht weite Kreise
von R. Fiedler-Winter

Es wirkt wie ein Erfolgsrezept, wenn das Thalia-Theater in Hamburg nach ,Effi Briest‘ und nach den ,Buddenbrooks‘ auch noch den ,Schimmelreiter‘ auf die Bühne bringt. Doch die Wirklichkeit ist natürlich komplizierter“, schreibt John von Düffel, Chefdramaturg des Hauses, im Schimmelreiter-Programmheft. Und recht hat er. Denn an der Alster gab es fast gleichzeitig eine „Michael Kohlhaas“-Interpretation im Deutschen Schauspielhaus zu sehen, und sogar im kleineren privaten Altonaer Theater tänzelte „Der Steppenwolf“ über die Bühne. Theodor Storm, Thomas Mann, Heinrich von Kleist und Hermann Hesse sozusagen in einem Atemzug. Die Dramatisierung großer Prosa zieht Kreise. Zeitgemäß vielgestaltig scheint sich ein fruchtbares „Spät-Beet“ für das so oft zitierte Regie-Theater aufzutun.

Denn nicht allein die großen Namen der Literaturgeschichte, auch Autoren der Gegenwart wie Julie Zeh mit ihrem Erstling und Durchbruchsroman „Spieltrieb“ oder der Däne Hoeg mit seinem durch den Film berühmten „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ fanden sich als Schauspiel wieder.

 „Warum überhaupt und warum diese Geschichte aus ihrer endgültigen epischen Form herauslösen und auf die Bühne transferieren?“ fragte sich von Düffel anläßlich der Buddenbrooks-Uraufführung und beantwortete diese Frage selbst mit dem Hinweis, daß er das tun mußte, „um den psychologischen Kern, die zeitlose Nähe der Figuren zu entdecken“.

Dabei fiel – nicht allein, aber ganz besonders – bei der „transferierten Literatur“ auf, daß die meist überzeugenden Programmtexte eher literarisch begründeten Absichtserklärungen entsprachen als der Realität des Bühnen-Geschehens. Dennoch wurden die genannten Aufführungen fast alle Publikumserfolge. Wie kommt das?

Die Frage nach der Kasse kann also so unrichtig nicht sein. Ihr sollte sich lediglich eine Erkundigung nach der literarischen und historischen Wurzel, verbunden mit einer Hinwendung zur Psychologie des heutigen Publikums anschließen. Beides wirkt zusammen und macht manche Linien – zum Nachteil der Literatur – auch unscharf. Liegt es doch auf der Hand, daß ein selbst ausgezeichnet dargebotener Theater-abend einen 700-Seiten-Roman, wie zum Beispiel Manns scharf gezeichnetes Familienporträt der Buddenbrooks, nicht voll ausschöpfen kann.

Zumal sich Stefan Kimmigs berühmte Regie auf eine vorwiegend statuarische Darstellung konzentrierte, die das Nobelpreisträger-Wort in den Mittelpunkt stellen wollte. Ergebnis: Ein gutes Schauspiel, das die Eindringlichkeit des großen Romans trotzdem nicht erreichte.

Ähnliches ergab im selben Haus Storms „Schimmelreiter“, dem die Atmosphäre der selbst wie eine Meereswoge breit aufrollenden Novelle des Dichters aus Husum deutlich fern blieb. Siegfried Lenz hat sie einmal die bedeutendste des Mannes aus der grauen Stadt am Meer überhaupt genannt. Storm schrieb sie kurz vor seinem Tode. Jorinde Dröses Regie lenkte alles Licht auf die auch von der Dramatisierung John von Düffels entsprechend übersetzte Liebe des jungen Deichvogt-Paares dieser Sturmfluttragödie, in der das Unverständnis der alten Deich-Verteidiger die neuen der See ausliefert. Doch auf der Bühne kam kein Sturm auf. Die See blieb im norddeutschen Sinne – von einigen Bühnen-Planschbecken abgesehen – „außen vor“, und ein Schimmelreiter erschien überhaupt nicht, nicht einmal als Video. Auch hier, ein gut präparierter Theaterabend aber keiner von Storm.

Der „Michael Kohlhaas“ im Deutschen Schauspielhaus hatte ein ähnliches Schicksal. Kleists Verzweiflungsnovelle, in der Kohlhaas als Rächer des ihm angetanen Unrechts selbst zum Brandschatzer wird, erstickte sogar in flachen Diskussionen, die den Originaltext absterben ließen.

Aber dann gab es auch eine Überraschung: Auf der Winzigbühne des Altonaer Theaters inszenierte Gil Mehmert den ja nicht unumstrittenen Midlife-Crisis-Roman des anderen Nobelpreisträgers Hermann Hesse „Der Steppenwolf“, und es gelang ihm mit sparsam stilisiertem Bühnenbild tatsächlich, eine Art „Empfindungs-Übertragung“ zu realisieren. Bei der reichlich verwirrenden Handlung ein schier erstaunliches Ergebnis. Oder konnte die traumtänzerische Haltung des Autors der modernen Regie besser die literarische Balance halten?

Literatur-Inszenierungen sind ein Wagnis. Sie bieten einem modernen, oft zeitgehetztem, von allzu vielen Informationen ermüdetem Publikum bestenfalls die verkürzte Berührung mit einem berühmten Stoff, den ein ebenfalls Berühmter bereits einmal mit anderen Mitteln aufbereitet und damit Millionen Menschen berührt hat. Das, was der Ursprungs-Autor damit ausdrücken wollte, wird dabei kaum erreicht. Im Gegenteil, oft wird seine Aussage verdünnt. Wobei noch gesagt werden darf, daß die Prosatext-Übertragung in dramatische Formen in der Regel rücksichtsvoller unternommen worden ist als die Inszenierung weltberühmter Bühnenstücke, wonach sich mancher verblichene Autor im Grabe umdrehen würde.

Immerhin kann die Theaterkasse beweisen, daß große Literaten der Vergangenheit vom Publikum auch heute noch als Attraktion gewertet werden. Künstlerisch reizvoll bleibt deren Übertragung auf die Bühne, zumal mit der Absicht eines gegenwartsnäheren Bezugs, in jedem Fall. Die literarische Überzeugungskraft zu erlangen ist jedoch ein hehres Ziel, sofern als solches überhaupt vorhanden, das nur selten erreicht wird. Für das Schauspiel und die Schauspieler spielt dabei obendrein die heute oft mißachtete Erfahrung eine Rolle, daß bedeutende, noch immer zeitgültige Pointen in der Regel am stärksten wirken, wenn sie auch im Stil der Zeit, zu der sie gehören sollten, dargeboten werden.

Foto: Thomas Manns „Die Buddenbrooks“ auf der Bühne: Norman Hacker als Thomas


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