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31.05.08 / Zukunftshoffnung mit Geschichte / Die Kartoffel gewinnt international zunehmend an Bedeutung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-08 vom 31. Mai 2008

Zukunftshoffnung mit Geschichte
Die Kartoffel gewinnt international zunehmend an Bedeutung
von Joachim Feyerabend

Ausgerechnet im von der Welternährungsorganisation zum „Internationalen Jahr der Kartoffel” ernannten 2008 macht die Hungerkrise in der Dritten Welt Schlagzeilen: Politiker sprechen sich für eine dringende Umorientierung der Landwirtschaftspolitik aus, in einigen exotischen Staaten sind Grundnahrungsmittel inzwischen Luxusgüter, Hunderttausende hungern und selbst in den Industrienationen klettern für den Konsumenten unaufhörlich die Kosten. Ein Hoffnungsträger für die Zukunft heißt Kartoffel. Der Schweiz war sie 2008 deswegen sogar eine Sonder-Briefmarke wert.

China, das traditionelle Reis-Land, hat für seine Milliarden-Bevölkerung seit einigen Jahren den Anbau der anspruchsloseren Kartoffel entdeckt, jene nahrhafte Knolle, die nach der Entdeckung Amerikas ihren Siegeszug vor allem in Europa antrat. Heute werden im Reich der Mitte bereits 73 Millionen Tonnen Kartoffeln geerntet, elf sind es beispielsweise in Deutschland, Tendenz abnehmend. Denn noch 1950 aßen die Westeuropäer 225 Kilogramm Kartoffeln je Jahr und Kopf, heute sind es noch ganze 70. Von 2004 sanken die Anbauflächen von 584000 Hektar auf 293000.

Mehr als 4000 verschiedene Sorten wetteifern um die Gunst der Verbraucher, 3800 kultivierte und 100 wilde Arten lagern in den Gen-Banken des Internationalen Kartoffelinstituts in Peru – einem Land, das die „Entdeckung“ der nahrhaften Knollenpflanze aus der Familie der Nachtschattengewächse für sich reklamiert. Die benachbarten Chilenen beanspruchen allerdings ebenfalls diesen Ruhm. Denn die ersten Spuren des Kartoffelanbaus führen über 13000 Jahre vor unserer Zeitrechnung auf die südchilenische Insel Chiloe. Die Zeiteinteilung einiger Andenbewohner basiert sogar auf der Dauer der Garung, und manche legen sich bis heute die vom Coniponiwurm befallenen Triebe unter das Kopfkissen. Das soll einen ruhigen Schlaf garantieren.

Der in manchen Regionen sogenannte Erdapfel hat sogar Sprachgeschichte geschrieben: Kanzlerin Merkel ließ etwa im Zusammenhang mit Bestechungsvorwürfen gegen Siemenschef von Pierer den Berater „wie eine heiße Kartoffel fallen“, ein sogenannter „Trouble-shooter“ ist ein Manager, der „die heißen Kartoffeln aus dem Feuer holt“ und nicht zuletzt „ernten die dümmsten Bauern die dicksten Kartoffeln“.

Dabei war das Gewächs in seinen Anfangszeiten in Europa umstritten. In Rußland, heute neben den USA und China der größte Anbauer, nannte man es gar „Äpfel des Teufels“, gleichwohl aber entdeckte man bald ganz neue Möglichkeiten für die unscheinbare Knolle und destilliert bis heute daraus das weltbekanntes Nationalgetränk, den Wodka.

Eine Pionierrolle bei der Einführung der Kartoffel als europäisches Grundnahrungsmittel spielte kein Geringerer als Preußenkönig Friedrich der Große. Er erkannte den Segen der geheimnisvollen Übersee-Entdeckung und verhinderte in seinem Reich damit eine durch Krieg drohende Hungersnot. Seinen Soldaten verordnete er zudem Pilsner Bier als tägliches Nahrungsmittel und sorgte für die Verbreitung dieses Brautyps und den Anbau von Kartoffeln in dem Süden. Dabei hatte es die Majestät nicht leicht, ihre dickköpfigen Bauern von der Qualität des neuen Nahrungsmittels zu überzeugen. Einer Überlieferung nach gelang das nur mit einem Trick: Der große Fritz baute auf den königlichen Feldern Kartoffeln an und ließ die Felder von Soldaten bewachen. Die Bauern spekulierten, daß die Knolle deshalb etwas ganz Wertvolles sein müsse und stahlen des Nachts die Kartoffeln des Monarchen, um sie selbst anzubauen.

Erdäpfel, Herdäpfel, Krumbieren, Bambulen (Niederösterreich), Pataten, Knullen, sie hat viele Namen und es drohen ihr ebenso viele Schädlinge aus dem Bereich der Würmer, Insekten (Kartoffelkäfer etwa), Viren und Bakterien. Es wurden immer resistentere Sorten gezüchtet, doch gerade ihre anfängliche Anfälligkeit führte in Westeuropa in der Vergangenheit auch zu einer der größten Katastrophen, der sogenannten Potatofamin in Irland, einer schrecklichen Hungersnot, in der Tausende von Iren starben oder in die Vereinigten Staaten von Amerika auswanderten. Drei Jahre lang regierten auf der Grünen Insel Mißernten durch Pilzbefall der Farmen.

Im Jahr 1565 brachte der Konquistador Francisco Pizzaro die ersten Kartoffeln an den Hof von Caroli Quinti nach Madrid, von wo aus sie auch den Vatikan erreichten, das Sprachrohr der damaligen Zeit. Sir Walter Raleigh schließlich und nicht, wie oft irrtümlich behauptet, Francis Drake führte die braunen Knollen auf den britischen Insel ein. Lange Zeit wurde sie wegen ihrer weißen Blüten und giftigen roten Fruchtknöllchen zunächst nur als Zierpflanze gezüchtet, bis ihre unter der Erde verborgenen Werte zu Tage traten. Seither werden die Knollen gesotten, gebraten und frittiert, zu Kartoffelpuffern, Brei, Salat oder Knödeln verarbeitet. Rund elf Millionen Tonnen weltweit werden in unseren Tagen als „Pommes Frites“, „Chips“ oder „French fries“ verzehrt. Kein „Hamburger“ ist ohne diese Beigabe zu denken. Und dabei haben die Amerikaner diese Art der Zubereitung erst nach dem Ersten Weltkrieg entdeckt. Belgien ist im übrigen die Hochburg der Kartoffel-Fritteusen. Nach der Absage der Franzosen zur Teilnahme am Irakkrieg des George Bush sollten in den USA die „French Fries” amtlich sogar in „Freedom-Fries” umbenannt werden, das aber machten die Konsumenten trotz aller Vaterlandsliebe nicht mit.

Die südamerikanische Knolle aus der Verwandtschaft der Tomaten und Paprikas, der Tollkirsche und des ebenfalls aus Amerika stammenden Tabaks enthält neben der Stärke Vitamin C, Eiweiß und Kalzium. Das in ihr gespeicherte Solanum wehrt Bakterien ab. Sie ist heute nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch Industrierohstoff in Form von  Binde-mitteln, Bioethanol und bei der Herstellung von Papier und Pappe. Vor diesem Hintergrund hat sich der Import als das wahre Gold aus der Hinterlassenschaft der Inkas herausgestellt und hat während der Industriealisierung, Landflucht und Verstädterung der europäischen Gesellschaft Millionen vor einer Hungerkatastrophe bewahrt. Nun setzen die Ernährungsexperten gegen den weltweiten Hunger erneut auf die unscheinbare Knolle.

Foto: Köstlich: Kartoffeln der neuen Ernte


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