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31.05.08 / »Europa-Zentrum« eröffnet / Nicht alle sind von Königsbergs neuem Konsumtempel begeistert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-08 vom 31. Mai 2008

»Europa-Zentrum« eröffnet
Nicht alle sind von Königsbergs neuem Konsumtempel begeistert
von Jurij Tschernyschew

In Königsbergs Zentrum hat mit dem „Europa-Zentrum“ ein neues Einkaufsparadies eröffnet. An der Eröffnungsfeier nahmen fast alle politischen Repräsentanten des Gebietes und der Stadt teil; aus St. Petersburg kam sogar Ilja Klebanow, der bevollmächtigte Stellvertreter des Präsidenten für den Nord-Westen der Russischen Föderation. Alle auf der Feier auftretenden Gäste beteuerten, daß dieses Zentrum einzigartig sei und, daß die Pregelmetropole dank des Zentrums nun eine richtige europäische Stadt werde. Im Laufe des Tages traten verschiedene Künstler und Musikgruppen aus Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland und Spanien auf, es gab verschiedene Ausstellungen und ein großes Feuerwerk.

Die Besucher des „Europa-Zentrums“, – das 60000 Quadratmeter groß ist und drei Attrien mit den Städtebezeichnungen „Mos­kau“, „London“ und „Paris“ beinhaltet –, konnten am Eröffnungstag 92 verschiedene Geschäfte und Boutiquen international bekannter Marken besuchen. Am 1. September sollen dann ein großes Unterhaltungszentrum sowie acht Restaurants und ein Bürotrakt mit einer Fläche von 12000 Quadratmetern eröffnet werden.

Die Bauzeit für den Neubau auf dem Gelände des ehemaligen Stadtparks neben dem Kinotheater „Rossija“ („Rußland“) betrug nur 18 Monate. 150 Subunternehmen waren beteiligt, und mehr als 100 Millionen Dollar hat der Bau verschlungen.

Schon zu Beginn der Bauarbeiten waren viele Königsberger dagegen. Das Volk nannte das Zentrum „Mega-Scheune“, „Hangar“ oder einfach „Bedarfsartikellager“, und als an den Fassaden die Schriftzüge „London“, „Berlin“ und die Namen anderer europäischer Städte angebracht wurden, nannten die Königsberger es ironisch „Internationaler Bahnhof“. Mit dem kleinen Unterschied, daß man von diesem Bahnhof nicht abfahren kann, und die Königsberger sowieso Probleme mit dem Visum für die Europäische Union haben.

Ein Grund, warum so viele Stadtbewohner das Einkaufszentrum negativ aufnehmen, ist, daß mit dem Bau die Vernichtung der Parkanlagen der Stadt begonnen hat. Wo jetzt das „Europa-Zentrum“ steht, wuchsen vorher im Park einzigartige Bäume, Sträucher und Blumen. Diese Parkanlage war der beliebteste Erholungsort der Stadtbewohner und der Gäste der Stadt. Nun ist er komplett bebaut.

Während der Aushebung wurde viel Grünfläche vernichtet und man hat vergessen, alles wieder in Ordnung zu bringen, so wie man das eben auf russisch macht. Nun sind alle Kinderspielplätze und der Rasen in den Höfen komplett mit Autos versperrt, weil die Autofahrer keine Parkgebühr in Höhe von fast einem Euro pro Stunde bezahlen möchten, und der Parkplatz sowieso nur für 350 Autos gedacht ist. Die Autofahrer können dafür noch nicht bestraft werden, weil es das entsprechende Gesetz frühestens ab Ende Mai gibt.

Eines der Hauptprobleme der Stadt ist der Verkehr, verbunden mit schlechter Luft, die der Gesundheit der Königsberger schadet. Um aus einem Teil der Stadt in einen anderen zu gelangen, muß man den Siegesplatz passieren, wo sich das „Europa-Zentrum“ befindet. Die Einrichtung wird noch mehr Verkehr in das Zentrum der Stadt hineinziehen. Die Gefahr von Verkehrsstaus hat sich durch das Einkaufszentrum mitten im Verkehrsknotenpunkt um ein Vielfaches erhöht, befürchtet der Gebietsleiter der staatlichen Verkehrsüberwachung, Jurij Kasakow.

Aber nicht nur die Bewohner der Stadt, sondern auch viele Abgeordnete des Stadtrates waren gegen den riesigen Bau. Der frischgewählte Bürgermeister Alexander Jaroschuk sagte in einem Interview, daß er nie die Erlaubnis für den Bau unterschrieben hätte.

Viele fragen sich, ob es überhaupt notwendig war, dieses „Europa-Zentrum“ zu bauen, da es in der Nähe des Zentrums schon mehrere Kaufhäuser gibt, wie das „Königsberg-Plaza“, das „Mega-Center“ mit einer Fläche von 105000 Quadratmetern, den Supermarkt „Akropol“, das „Epizentrum“, die „Ostrow Sokrowischtsch“ („Schatzinsel“), die „Königsberger Passage“, und gegenüber das große Geschäft „Majak“ („Leuchtturm“). Bald wird, 100 Meter vom „Europa-Zentrum“ entfernt, ein Städtisches Handelszentrum „Clever-House“ („Königsberg-750“) eröffnet. Königsberg steht jetzt schon ganz vorne, was die Menge an Einkaufshäusern betrifft.

Schon vor dem Bau des „Europa-Zentrums“ gab es zu viele Geschäfte in Königsberg. Außer großen Einkaufshäusern existieren noch sehr viele kleine, aus der Perestrojka-Ära stammende Läden, die sich in den Erdgeschossen der Wohnhäuser befinden. Diese Kleinhändler haben es nun schwer, weil sie nicht mit dem „Europa-Zentrum“ konkurrieren können. Eines der ersten Themen, denen sich der frischgewählte Präsident Dmitrij Medwedjew widmen will, ist die Entwicklung des Mittelstandes, weil der in Rußland viel schlechter als in den anderen europäischen Ländern entwickelt ist. Das hängt sicherlich mit dem Konzentrationsprozeß auf dem Markt zusammen.

Doch auch größere Unternehmen kann es treffen, wie das Schicksal von „Wester“ zeigt. Vor kurzem noch war der Supermarkt in der Innenstadt das meistbesuchte Einkaufszentrum in Königsberg. Mit der Zeit wurde die Zahl der Besucher kleiner. Um gegenzusteuern wurden den Kunden ab 23 Uhr Rabatte gewährt. Doch auch dieser Versuch, den Menschen einen Kaufanreiz zu bieten, konnte das Blatt nicht mehr wenden. Letztes Jahr mußte das Geschäft schließen. Jetzt hängt am Gebäude ein Schild „Zu Vermieten“. Noch hat sich kein Interessent gefunden.

Foto: „Europa-Zentrum“: Die Städtenamen an der Fassade brachten dem „Bedarfsartikellager“ die spöttische Bezeichnung „Internationaler Bahnhof“ ein.


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