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31.05.08 / Luxus pur auf Schienenrädern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-08 vom 31. Mai 2008

Luxus pur auf Schienenrädern
von Corinna Weinert

Am 5. Juni 1883 fährt der Orientexpreß zum ersten Mal die Strecke von Paris nach Istanbul, das damals noch Konstantinopel heißt. An eine Dampflok vom Typ 120 sind Restaurantwagen, Schlafwagen und Gepäckwagen aus stabilem Teakholz gekoppelt. Auch für die Innenausstattung hat man nur feinstes Material verarbeitet: Genueser Samt, Cordoba-Leder und Gobelins. Die „Reisesprache“ ist Französisch, auch wenn es außerdem deutsche, ungarische und türkische Speisekarten gibt. Für die Strecke von 3186 Kilometer beträgt sie Reisezeit 69,5 Stunden.

Bekannt wird der Orientexpreß nicht nur durch seinen Luxus und das Publikum aus dem europäischen Hoch- und Finanzadel, sondern auch durch spektakuläre Vorfälle. 1891 bringt der griechische Räuber Athanos den Zug 100 Kilometer westlich von Konstantinopel zum Entgleisen, entführt vier Männer und läßt diese erst frei, nachdem 8000 Pfund Sterling in Gold Lösegeld gezahlt worden sind. 1931 wird der Zug kurz nach der Abfahrt aus dem Bahnhof in Budapest Opfer eines Bombenanschlags. 20 Menschen sterben, 120 werden verletzt.

Autoren, Filmemacher, Schauspieler und Musiker sind fasziniert, der Orientexpreß beflügelt die Phantasie. Agatha Christie schreibt nach einer Reise ihren berühmten Kriminalroman „Mord im Orientexpreß“, Graham Greene inspiriert der Zug zu seinem Roman „Stamboul Train“. Und James Bond jagt in „Liebesgrüße aus Moskau“ den Bösewicht im Orientexpreß.

Weil der Orientexpreß verschiedene Länder durchquert, wird er immer wieder zum Zankapfel der Politik. Als Deutschland 1918 nach vier Jahren Krieg besiegt ist, steht außer Frage, wo der Waffenstillstand unterzeichnet werden soll: Am 11. November 1918 findet das Zeremoniell in Compiègne nahe Paris im geschichtsträchtigsten aller Orientexpreßwagen, dem Wagen Nr. 2914, statt. Fortan wird die Route für den Orientexpreß geändert und um die Verliererstaaten Deutsches Reich und Österreich herumgeführt; der Zug verkehrt nun über die Schweiz, Mailand, Triest und Zagreb bis Istanbul. Als Adolf Hitler am 22. Juni 1940 seinen Vergeltungsschlag gegen Frankreich inszeniert, befiehlt er, Wagen Nr. 2914 genau an den Punkt im Wald von Compiègne zu bringen, an dem die Niederlage von Deutschland ehemals besiegelt worden war. Fünf Jahre später – als die Alliierten immer näher rücken – läßt Hitler den Wagen in die Luft sprengen, um eine erneute peinliche Wiederholung der Geschichte zu vermeiden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verkehrt der Orientexpreß als gewöhnlicher Schnellzug. Seit 1946 verbindet er wieder Paris mit Stuttgart, München und Wien. 1961 beschließt die Internationale Fahrplankonferenz, den Zug in Wien enden zu lassen. Erst ab 1964 führt er wieder bis Budapest, später auch nach Bukarest. Der zunehmende Flugverkehr bringt es jedoch mit sich, daß der Zugbetrieb 1977 eingestellt wird.

In den 1980er Jahren macht sich James B. Sherwood unter großem finanziellen Aufwand daran, den einstigen Luxuszug im Original herzurichten. Heute rollen wieder 35 der alten Waggons durch Europa. Wer mit dem neuen Orientexpreß fährt, macht eine Zeitreise in die einstige Belle Epoque mit. Es dauert mehrere Tage, das Europa des 21. Jahrhunderts zu durchqueren, und so lange lebt man an Bord ein Leben wie in den 1930er Jahren, mit demselben Design und demselben Service.


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