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07.06.08 / Architektonischer Sündenfall droht / Berlin: Direkt neben dem Schloß-Areal soll eine modernistische Brücke entstehen – Bürgerprotest formiert sich

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-08 vom 07. Juni 2008

Architektonischer Sündenfall droht
Berlin: Direkt neben dem Schloß-Areal soll eine modernistische Brücke entstehen – Bürgerprotest formiert sich
von Peter Westphal

In etlichen deutschen Städten ist das leidenschaftliche Bemühen sichtbar, historische Stadtensembles zu bewahren oder zu rekonstruieren, zum Beispiel in Wiesbaden unter der Marke „Weltkulturerbe“. Dies geschieht immer häufiger auch durch den Wiederaufbau großer Repräsentationsbauten.

Auf keinen Ort sonst allerdings ist der Prozeß zur Wiedergewinnung historisch gewachsener Stadtbilder so fokussiert wie in der deutschen Hauptstadt. Auf geradezu wundersame Weise wurde – oft wenig wahrgenommen wegen vorheriger Frevel wie der Schloßsprengung – schon zu DDR-Zeiten die historische Mitte immer weiter komplettiert, so mit dem Wiederaufbau von Staats­oper, Prinzessinnenpalais, Kronprinzenpalais, Gendarmenmarkt und mit der Rückführung des Reiterstandbilds von Friedrich dem Großen Unter den Linden. Gleiches gilt für die Brücken, die die historische Formensprache aufscheinen lassen.

Gleichwohl kennzeichnet die aktuelle Situation für Berlins historische Mitte eine widersprüchliche Gleichzeitigkeit. Während mit der äußeren Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses und von Schinkels Bauakademie die Krönung und Vollendung der alten Mitte bereits absehbar ist, drängen plötzlich mehrere Bauvorhaben in den Vordergrund, die dieses einmalige Ensemble empfindlich stören würden.

Neben dem vom britischen Architekten David Chipperfield (neue Reichstagskuppel) geplanten modernistischen Entwurf für den Eingangsbereich der Museumsinsel betrifft dies unter anderem den geplanten Neubau eines würfelförmigen Gebäudes für Thyssen-Krupp vor dem ehemaligen Staatsratsgebäude. Die letzte Baulücke am Hausvoigteiplatz soll überdies durch einen unpassenden Entwurf im Stil der 70er Jahre geschlossen werden.

Zudem sehen die aktuellen Senatsbroschüren immer noch eine Bebauung der Schloßfreiheit mit „auf Lücke stehenden“ sogenannten „Townhouses“ vor, obwohl bereits selbst von öffentlicher Seite zugegeben wurde, daß hier ein geeigneter Standort für das geplante Denkmal der Deutschen Einheit wäre. Dies entspräche auch der historischen Konstellation, war doch hier die Stelle des monumentalen Nationaldenkmals, das Kaiser Wilhelm I. gewidmet war und von föderaler Gesinnung kündete. Im Winter 1949/50 hatte die SED-Regierung das Denkmal bis auf den Sockel abtragen lassen. Übriggeblieben von der 21 Meter hohen Reiterstatue sind lediglich zwei Löwengruppen, die heute vor dem Raubtierhaus im Tierpark Berlin im Ostteil der Stadt ihr Asyl gefunden haben.

Am eklatantesten jedoch und akut gefährdet wird die Vollendung der historischen Mitte durch die veralteten Pläne für eine neue „Rathausbrücke“, der einstigen Kurfürstenbrücke. Dieser völlig überholte Entwurf stammt von 1998, mithin aus einer Zeit, bevor noch der Bundestag sich für die Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses entschieden hatte. Inzwischen hatte die Enquete-Kommission die Wiederaufstellung des von Andreas Schlüter geschaffenen Reiterstandbilds des Großen Kurfürsten vorgesehen, selbst die offizielle Senatsbroschüre von 2005 (im Vorfeld der WM) hatte dies bereits berücksichtigt. Doch wäre dafür auf der neuen Brücke keinerlei Platz. Auch in ihrer radikal modernistischen Form wäre sie ein unzumutbarer Fremdkörper. Dennoch versucht die Senatsbauverwaltung derzeit, die Ausschreibung für den – von der Stadtplanung längst überholten – brachial-modernen Entwurf handstreichartig am Parlament vorbeizumogeln. Und dies, obwohl – mit Ausnahme der Linkspartei – alle anderen Fraktionen des Abgeordnetenhauses, selbst die SPD-Fraktion, für eine Abänderung des Brückenentwurfs plädieren, die sich an der ursprünglichen Gestaltung der Kurfürstenbrücke orientieren soll.

Dies ist um so bedeutender, als damit nicht nur das Erscheinungsbild des Schloßensembles vervollständigt würde. Überdies wäre die Ausführung des modernen Entwurfs ein unverzeihliches Novum, denn es wäre das erste Mal, daß im historischen Zentrum Berlins eine Brücke nach einem komplett neuen und modernen Entwurf gestaltet würde. Selbst beim jüngsten Projekt, der Monbijoubrücke, wurde bei der Gestaltung Rücksicht genommen auf das historische Vorbild.

Das vielleicht noch ent­scheidendere Argument für die wei­testmögliche Wiederherstellung der einstigen Kurfürstenbrücke liegt in der Stadtgeschichte selbst. Denn wie erst kürzlich festgestellt wurde, ist die „Rat­hausbrücke“ die älteste Brücke Berlins überhaupt und zugleich Entstehungsgrund der Stadt: Im Jahre 1307 manifestierte sich hier die Vereinigung der Doppelstadt Berlin und Cölln in dem Bau eines gemeinsamen Rathauses auf oder zumindest an der Brücke.

In einem offenen Brief hat nun die Gesellschaft Historisches Berlin (GHB e.V.) die Abgeordneten des Berliner Parlaments aufgerufen, dafür zu sorgen, daß die stadthistorisch bedeutsame Entscheidung über die Brückengestaltung im Parlament noch einmal debattiert wird. Überdies soll durch ein – noch bis Ende Juni laufendes – Volksbegehren das Land Berlin dazu aufgefordert werden, eine Gestaltungssatzung für die historische Mitte Berlins zu verabschieden.

Die Geschichte selbst ist beredtes Zeugnis für die Wichtigkeit dieses Kampfes: Schließlich war die Kurfürstenbrücke in der Vorkriegszeit die prominenteste und schönste Stelle des alten Berlins, kein anderes Motiv war häufiger porträtiert oder fotografiert worden. Bislang scheine es, so die GHB-Vorsitzende Annette Ahme, als verstünde Berlin nicht, welch historischen Reichtum es besitzt.


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