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07.06.08 / Goethe besucht Chodowiecki in Berlin / Der Dichterfürst aus Weimar schätzte die Arbeiten des Danziger Radierers über alle Maßen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-08 vom 07. Juni 2008

Goethe besucht Chodowiecki in Berlin
Der Dichterfürst aus Weimar schätzte die Arbeiten des Danziger Radierers über alle Maßen
von Rüdiger Ruhnau

In einer unfaßbaren Fülle dringen auf den gegenwärtigen Menschen die Erscheinungen der Außenwelt ein. Das war im 18. Jahrhundert völlig anders, als sich das Leben der meisten in kleinsten Kreisen vollzog. Um so dankbarer empfand man es, wenn wenigstens im Bilde die Wirklichkeit der weiteren Umwelt wahrgenommen werden konnte. Diesem allgemeinen Verlangen kam der Maler-Radierer Daniel Chodowiecki (1726–1801) mit seinen aus dem täglichen Leben genommenen Darstellungen in reizvollster Weise entgegen. Auch die Verleger wußten sehr genau, daß der Absatz ihrer Bücher und Kalender durch Chodowieckis Radierungen stark gesteigert wurde. So konnte der Dichter Ludwig Gleim nach Chodowieckis Tod den Vierzeiler produzieren: „Chodowiecki war! / War! Wäre er nicht gewesen, / So blieb wohl eine Schar / Von unseren Büchern ungelesen.“

Chodowieckis Verbindung mit Johann Wolfgang von Goethe kam durch den Berliner Verleger und Buchhändler Friedrich Nicolai zustande und war zunächst nur indirekter Natur. Nicolai hatte 1765 begonnen, die kritische Zeitschrift „Allgemeine Deutsche Bibliothek“ herauszugeben. Als Kritiker und schroffer Vertreter der Aufklärung gefürchtet, rezensierte er auch die Werke Goethes. Für den 1776 erschienenen Band der „Allgemeinen Deutschen Bibliothek“ sollte Chodowiecki, damals beliebtester und erfolgreichster Illustrator klassischer Literatur, ein Bildnis des Dichters in Kupfer stechen. Chodowiecki hatte aber bis dahin Goethe persönlich niemals gesehen. Er ließ sich daher eine Bildnisskizze aus Weimar schicken, die wiederum nach einem Ölbild von Georg Melchior Kraus angefertigt worden war, danach radierte er mit großer künstlerischer Sorgfalt die Kupferplatte. Dieses Goethe-Porträt von Chodowiecki ist in die deutsche Literaturgeschichte eingegangen und hat viele Nachahmer gefunden. Später legte Fried-rich Nicolai unter Mitwirkung des Danzigers eine der größten Privatsammlungen von Graphiken Chodowieckis an, die bis heute erhalten geblieben ist und in der „Stiftung Stadtmuseum Berlin“ angeschaut werden kann.

Mit den „Leiden des jungen Werthers“ kündigte sich eine Sensation auf dem deutschen Büchermarkt an. Kein anderes Buch hatte vor dem Erscheinen von Goethes erstem Roman (Leipzig 1774) die Gemüter so erregt.

Eine Werther-Epidemie setzte ein, es gab eine Werther-Mode bei jungen Herren, die nach Schilderung des Buches im blauen Frack und gelber Weste auftraten; die Damen trugen Werther-Fächer, man produzierte sogar ein Parfüm „Eau de Werther“.

Goethe war von da an als „genialer Werther-Autor“ abgestempelt, und es dauerte längere Zeit, bis seine späteren Werke diesen Ruhm überdeckten.

Die Geschichte enthält eine wahre Begebenheit. Johann Wolfgang Goethe kam als junger Gerichtsreferendar nach Wetzlar an das Reichskammergericht. Dort verliebte er sich in Charlotte Buff, „ein hübsches gesundes Mädchen, ein wünschenswertes Frauenzimmer“, wie er schreibt. Aber Lotte ist nicht frei, ihr Verlobter, ein Freund Goethes, ist ebenfalls Jurist am Reichskammergericht. Als die Situation immer ungemütlicher wird, ergreift der Dichter die Flucht. Er verarbeitet seinen Liebeskummer poetisch in dem Roman „Die Leiden des jungen Werthers“, wo Dichtung und Wahrheit ineinander übergehen und Werther aus unglücklicher Liebe zu einem schon vergebenen Mädchen durch Freitod endet.

Zahlreich war die Werther-Literatur, geschmückt mit den reizvollsten Radierungen Chodowieckis, eine Kunst, die damals zu blühen begann. In „Dichtung und Wahrheit“ schreibt Goethe dazu: „Die höchst zarten Vignetten von Chodowiecki machten mir viel Vergnügen, wie ich denn diesen Künstler über die Maßen verehrte.“

Wie sehr der Dichterfürst die Arbeiten des Danzigers schätzte, läßt ein Brief an Anna Luise Karsch, die „Berliner Sappho“ erkennen: „... Und gehen Sie doch einmal zu Chodowiecki, und räumen Sie bei ihm auf, was so von allen Abdrucken seiner Sachen herumfährt. Schicken Sie mirs, und stehlen ihm etwa eine Zeichnung. Es wird mir wohl, wenn ich ihn nennen höre, oder ein Schnitzel Papier finde, worauf er das Zeichen seines lebhaften Daseins gestempelt hat.“

Goethe bedingte sich die Ausschmückung seiner Werke mit Zeichnungen oder Radierungen von Chodowiecki vertraglich aus. Es entstanden Szenen zu „Hermann und Dorothea“, zu „Clavigo“ und für den „Götz von Berlichingen“. Höhepunkt der Beziehungen des größten Danziger Künstlers zu Goethe war zweifellos dessen Besuch bei Chodowiecki in Berlin 1778. Grund zu der Reise war eine politische Mission, die Goethe zusammen mit Herzog Karl August in die preußische Hauptstadt führte. Der Aufenthalt dauerte nur vier Tage, Goethe fühlte sich von der großen Stadt bedrückt, das Menschengewimmel störte ihn, trotzdem fand er zweimal Zeit, Chodowiecki aufzusuchen.

Wie diese Besuche verlaufen sind, wissen wir nicht. Goethe hat darüber in seinem Tagebuch nur kurze Vermerke gemacht. Es ist anzunehmen, daß den Sammler Goethe die reichhaltigen Bildersammlungen Chodowieckis interessierten, wahrscheinlich ist auch über einen Ankauf für den Weimarer Hof gesprochen worden. Sicher ist, daß das Interesse an einem persönlichen Kennenlernen im Vordergrund stand.

Daniel Chodowiecki, unter dessen acht Urgroßeltern sich sieben Nicht-Polen befanden, war in den 35 Jahren seiner Berliner Zeit zu einem begeisterten Preußen geworden. Seine ganze künstlerische Entwicklung vollzog sich im deutschen Geistesleben, an welchem er infolge seiner Illustrationen zu den Werken von Dichtern und Wissenschaftlern einen glänzenden Anteil hatte. In der Hinterlassenschaft Goethes befanden sich Zeichnungen und Radierungen des Danzigers, die zum Ruhme des Dichterfürsten beigetragen haben.

Foto: Daniel Chodowiecki: Bildnis von Goethe


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