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07.06.08 / Land der Täter? / Zwei Biographien über Münchner Juden vermitteln ein anderes Bild

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-08 vom 07. Juni 2008

Land der Täter?
Zwei Biographien über Münchner Juden vermitteln ein anderes Bild

In einem Geleitwort schreibt Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland: „Keiner von uns wollte hier bleiben“, gemeint ist in Deutschland, „umgeben von Menschen, an deren Händen das Blut unserer Familien klebte.“ Und nur vier Zeilen später spricht sie vom „Land der Täter“. Wer diese Bemerkungen liest und sonst nichts weiß, könnte versucht sein, wenn er hier lebt, seine Koffer zu packen.

Doch die Lektüre der beiden Bücher „Wir wollen den Fluch in Segen verwandeln“ und „,Und ich lebe wieder an der Isar‘“ vermittelt ein ganz anderes Bild von Deutschland, speziell von München. Alfred Neumeyer (Sohn wie Enkel bleiben aus Raumgründen hier unberücksichtigt) und Hans Lamm, die beiden Biographierten, haben wesentliches gemeinsam: Beide sind gebürtige Münchner, Neumeyer Jahrgang 1867 und Lamm 1913. Beide waren lange Jahre Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde in München. Beide mußten Deutschland verlassen, um der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entgehen. Beide haben fleißig zur Feder gegriffen, auch um uns aus ihrem eigenen Leben zu erzählen. Doch während der ältere 1944 in der Ferne starb, kehrte Lamm nach dem Kriege rasch wieder nach München zurück. Die Lektüre jedes der beiden Bücher ist sehr zu empfehlen.

Hier müssen wir uns mit wenigem begnügen. Da erscheint es angezeigt zu skizzieren, wie sich die gewöhnlichen deutschen „Arier“ den Juden gegenüber in der Zeit der Verfolgung benahmen.

Neumeyer trifft zunächst aufschlußreiche Feststellungen über die Position der Juden in München vor Hitlers Kanzlerschaft: „Der Präsident des Verbands [der Jüdischen Kultusgemeinden, also er selbst], zugleich Vorsitzender der Münchner Gemeinde, hatte ungehinderten Zugang zu allen Behörden, insbesondere dem Kultus- und Finanzministerium. Er wurde zu repräsentativen Akten vom Ministerpräsidenten, der Stadt München, der Presse und auch vom Preußischen Gesandten eingeladen … Die uns freundlich gesinnte Bayerische Volkspartei war wohl die stärkste Partei im Landtag, besaß aber nicht die absolute Mehrheit …“

Am 30. Januar 1933 wurde Hitler Reichskanzler und die offizielle Politik antisemitisch. Schon am 1. April kam es zu einem reichsweiten Boykott der jüdischen Geschäfte. Doch das schier Unglaubliche geschieht. Neumeyer bestätigt: „Die wiedereröffneten jüdischen Geschäfte wurden im Einkauf bevorzugt.“

Mit Wirkung vom 1. Juni 1933 muß Neumeyer in den Ruhestand. Er schildert: „Der Abschied, nicht nur vom Präsidenten und den Richtern, sondern vom gesamten Kanzlei- und Botenpersonal war ungemein herzlich. Ich hielt mich einige Zeit vom hergebrachten Weinfrühschoppen fern, an dem auch die pensionierten Kollegen teilnahmen, und wurde darauf von den Kollegen aufgefordert, doch wiederzukommen …“

Das Ehepaar Neumeyer will Trubel anläßlich des 70. Geburtstages von Alfred am 17. Februar 1937 vermeiden und begibt sich auf Reisen. „Aber die herzlichsten Beweise von Liebe und Freundschaft aus München und dem ganzen Bayernland haben auch dorthin ihren Weg gefunden“, schreibt Alfred in sein Tagebuch.

Als die Ausreise Neumeyers unmittelbar bevorstand (Februar 1941), ließ der Aufsichtsbeamte des Sicherheitsdienstes der Gestapo fragen, wann er Neumeyer sprechen könne. Neumeyer: „Er verabschiedete sich dann in meinem Büro in höflicher und herzlicher Weise, und ich konnte ihm das Wohl der Gemeinde noch ans Herz legen.“

Diese Erinnerungen, aus der Fülle nur einige Kostproben, legen die Frage nahe, ob wir unterstellen dürfen, daß alle oder zumindest die große Mehrheit der von Neumeyer so positiv Geschilderten sich mit dem Blute von Juden befleckt haben.

Hans Lamm äußert sich ähnlich wie Neumeyer: „Ich weiß nicht, ob München eine besonders nationalsozialistische Stadt war. Ich glaube, hier war doch alles immer mit einem gewissen Maß an Gemütlichkeit und Urbanität oder der berühmten bayerischen Liberalität gemischt. Wenn dem nicht so gewesen wäre, wären Münchner Juden viel früher ausgewandert … Die Münchner Juden, um einen Münchner Ausdruck zu gebrauchen, haben sich in München sauwohl gefühlt.“

Neumeyer und Lamm sind zwei jüdische Zeitzeugen, die uns die Gewißheit geben, daß die große Mehrheit des deutschen Volkes Hitlers radikale Judenpolitik mißbilligt hat. Sie vermitteln ein Geschichtsbild, das unsere Vorfahren in einem weit milderen Licht erscheinen läßt als in der heute gängigen Publizistik üblich. Dieses Bild bekannt zu machen, entspricht nicht nur einer sittlichen Pflicht den Vorfahren gegenüber. Die Erfüllung dieser Pflicht dient auch den hier lebenden Juden, die sich nicht länger einreden müssen, daß sie im Land der Täter leben. Die jüdischen Zeitzeugen zertrümmern zugleich das Bild, das Goebbels der Welt glaubhaft machen wollte: Das Volk sei Hitlers williger Vollstrecker gewesen.     Konrad Löw

Robert Schopflocher und Rainer Traub (Hrsg.): „Wir wollen den Fluch in Segen verwandeln – Drei Generationen der jüdischen Familie Neumeyer“, Metropol, Berlin 2007, 560 Seiten, 24 Euro; Andrea Sinn „,Und ich lebe wieder an der Isar‘ – Exil und Rückkehr des Münchner Juden Hans Lamm“, Oldenbourg, München 2008, 230 Seiten, 24,80 Euro


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