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07.06.08 / Traditionelles Festessen zu Ehren Kants / Erstes deutsch-russisches »Bohnenmahl« in Königsberg

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-08 vom 07. Juni 2008

Traditionelles Festessen zu Ehren Kants
Erstes deutsch-russisches »Bohnenmahl« in Königsberg

Immanuel Kant verbindet Russen und Deutsche. Er ist auch die wichtigste Verbindung zwischen der heutigen Stadt und der großen Vergangenheit Königsbergs. Lebendig gehalten haben diese Verbindung Kants Freunde, die er regelmäßig zum Essen eingeladen hatte. Nach seinem Tode im Jahre 1804 beschlossen sie, die Erinnerung an den Menschen Immanuel Kant in seiner Heimatstadt zu bewahren und in Zukunft jedes Jahr zu Kants Geburtstag am 22. April zu einem Erinnerungsfest zusammenzukommen. Daraus entwickelte sich die „Gesellschaft der Freunde Kants“, die in nie unterbrochener Tradition, durch Kooptation ergänzt, die Tischgesellschaft Kants in Königsberg fortsetzte.

 Im Jahre 1814 schlug der Astronom Friedrich Wilhelm Bessel vor, denjenigen, der jeweils im nächsten Jahr vor dem Festessen die Rede halten sollte, durch eine Bohne zu bestimmen, die in dem als Nachtisch gereichten Kuchen versteckt wurde. So entstand die Tradition des „Bohnenkönigs“, die „Gesellschaft der Freunde Kants“ wurde seitdem auch „Bohnengesellschaft“ genannt und das Festessen an Kants Geburtstag „Bohnenmahl“.

Die „Bohnengesellschaft“ war in den 140 Jahren ihrer Existenz bis zum Untergang Königsbergs im Jahre 1945 ein wichtiger Kulturfaktor der Stadt. Am 12. Februar 1945, dem 141. Todestage Kants, legte Bruno Schumacher, der „Bohnenkönig“ für dieses Jahr, am Grabe Kants einen Kranz nieder. Das war der letzte Akt der „Gesellschaft der Freunde Kants“ in Königsberg.

Nach dem Krieg setzten die nach Westdeutschland geflüchteten Mitglieder der Königsberger Gesellschaft die Tradition fort und veranstalteten das alljährliche „Bohnenmahl“ bis zum Jahre 1973 in Göttingen und ab 1974 in Mainz. Rudolf Malter, „Kanzler“ der Gesellschaft der Freunde Kants, schrieb im August 1991 in der Einleitung zu der von ihm herausgegebenen Sammlung „Königsberger Kant-Ansprachen 1804–1945“: „Es wäre nicht das schlechteste Zeichen der Völkerverständigung, wenn sich eines Tages im Königsberg der Gegenwart Kantfreunde vieler Nationen in Erinnerung an den Friedensdenker Immanuel Kant zum ‚Bohnenmahl’ versammelten.“

Der Wunsch Malters ist dieses Jahr in Erfüllung gegangen. Schon vor drei Jahren hat sich in Königsberg auf Anregung des Mathematikers und Hotelbesitzers Bartfeld eine russische Gesellschaft der Freunde Kants gebildet, die sich einmal im Monat im Hotel „Albertina“ trifft. Die russische Gesellschaft lud die deutsche Gesellschaft der Freunde Kants zu sich ein. So kamen am 22. April 2008 zum ersten Mal deutsche und russische Freunde Kants zu einem gemeinsamen Bohnenmahl in der Stadt Kants zusammen.

Die insgesamt 34 deutschen Teilnehmer begannen ihren Aufenthalt am Sonntag, dem 20. April 2008, mit einem Gottesdienst in der evangelischen Auferstehungskirche am Prospekt Mira und genossen anschließend eine meisterhafte Aufführung der Symphonie Nr. 1 von Wassilij Kalinnikow durch Königsbergs Staatliches Symphonieorchester unter der Leitung seines Dirigenten Arkadij Feldmann. Beim Mittagessen im Gemeindesaal der Kirche begrüßten Bartfeld und Stolzenberg die Anwesenden, und Propst Osterwald erzählte etwas aus dem Leben der Kirchengemeinde. Einige Reiseteilnehmer, die zum ersten Mal in Königsberg waren, freuten sich bei der anschließenden Stadtrundfahrt darüber, daß im heutigen Königsberg noch erstaunlich viele Gebäude aus der Vorkriegszeit vorhanden sind. Für alle beeindruckend war aber auch der in der Stadt zu verspürende wirtschaftliche Aufschwung. Erinnerungen an Kants Leben in Königsberg trafen die Gruppe dann im Kant-Museum an. Sie bewunderten ein Modell und Bilder der alten Stadt in der Kneiphof-Ausstellung im Turm des Doms.

Am zweiten Tag ihres Aufenthalts folgten die deutschen Teilnehmer, begleitet von einigen Russen einschließlich Journalisten der örtlichen Presse, den Spuren Kants auf einer seiner seltenen Reisen über die Stadtgrenzen Königsbergs hinaus, die er mehrfach auf das Rittergut Groß Wohnsdorff seines Freundes, des Freiherrn Friedrich Leopold v. Schrötter, unternommen hatte. Die direkten Nachfahren des Freiherrn und seines Bruders Karl Wilhelm, Alexandra v. Erichsen geborene Freiin v. Schrötter-Wohnsdorff, Tochter des letzten Besitzers des Ritterguts Groß Wohnsdorff, sowie Dieter Freiherr v. Schrötter waren mit ihren jeweiligen Ehegatten mit angereist. Frau v. Erichsen erzählte aus der Geschichte ihrer Familie, die seit 1702 dort ansässig war, bis sie Ende Januar 1945 ihre Heimat verlassen mußte. Auf dem Weg nach Wohnsdorff besichtigten die Reisenden zuerst die St. Katharinenkirche in Arnau, eines der seltenen Beispiele dafür, daß eine Dorfkirche im nördlichen Ostpreußen, dem Land der Kirchenruinen, wieder aufgebaut wird. In Heiligenwalde sahen sie eine schon vollständig wiederhergestellte Kirche; in Allenburg kamen sie dann jedoch in eine Ordenskirche, die noch viel Arbeit erfordert. Ute Bäsmann, die sich zusammen mit ihrem Mann seit vielen Jahren um die Erhaltung dieser Kirche kümmert, erzählte den Teilnehmern etwas über das Schicksal ihres Heimatorts Allenburg und ihr eigenes schweres Schicksal am Ende des Krieges.

Am Ziel der Reise standen die Reisenden erschüttert vor dem verfallenen und mutwillig zerstörten klassizistischen Bau des Herrenhauses Groß Wohnsdorff, an dessen Giebel die Aufschrift: „An Gottes Segen ist alles gelegen“ von Rowdys überschmiert worden ist. Von der früher dort gelegenen Ordensburg aus dem 14. Jahrhundert steht noch der Turm mit der Toreinfahrt. Genau dort hat Kant sich mehrfach aufgehalten und immer sehr wohl gefühlt. Der Torturm besteht nur noch aus den Außenmauern, aus denen offenbar Ziegelsteine herausgebrochen worden sind. Alle bewegte die Frage, ob es wohl gelingen könne, dieses einzigartige historische Gebäude der Nachwelt zu erhalten.

Nach ihrer Rückkehr in die Stadt empfing der Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland in Königsberg, Guido Herz, vor dem Eingang des Deutsch-Russischen Hauses alle Reiseteilnehmer, zu denen sich etwa noch einmal so viele Russen aus Königsberg gesellten. In seiner Begrüßungsrede beschrieb Herz die stürmische wirtschaftliche Entwicklung und die Zukunftsaussichten der Stadt und des Gebiets und äußerte über das Dienstliche hinaus seine persönliche Meinung zu deren Namen: In der Weltwirtschaft komme es auf gute, bekannte Marken an. Wenn man die Wahl habe zwischen einem schwachen Markennamen wie „Kaliningrad“ und einem guten wie „Königsberg“, dann würde er den Einwohnern der Stadt raten, den guten zu wählen.

In seinem anschließenden Vortrag „Preußen war nicht nur Deutschland“ untersuchte der Göttinger Historiker Rudolf v. Thadden die Frage nach dem europäischen Charakter Preußens und kam zu dem Ergebnis: „Daß wir uns hier im nunmehr zu Rußland gehörenden Teil des alten Ostpreußens im Geiste Kants zusammenfinden können, ist ein Zeichen der Hoffnung und der Zuversicht.“ Der danach folgende künstlerisch anspruchsvolle Klaviervortrag der 16jährigen Tochter Bartfelds begeisterte das Publikum. Dann sprach Gerfried Horst, Initiator und Organisator dieser Reise, über die Geschichte der Gesellschaft der Freunde Kants und legte dar, daß die alte Königsberger Kant-Tradition von Russen und Deutschen nicht getrennt, sondern nur gemeinsam fortgesetzt werden könne.

Der Geburtstag Kants am Dienstag, dem 22. April führte die russischen und deutschen Freunde Kants mit Königsberger Intellektuellen und Studenten in einem Hörsaal der Immanuel-Kant-Universität zusammen. Der Begrüßung durch die Vizerektorin Vera Zabotkina folgten Vorträge von Michael Wieck, Leonard Kalinnikow, Jürgen Stolzenberg, Wladimir Brjuschinkin und Dietrich Rauschning.

Im vollbesetzten Dom auf der Kneiphofinsel erreichte die Feier von Kants Geburtstag ihren Höhepunkt. Es war viel junges Publikum da. Jürgen Stolzenberg sprach von der Orgelempore herunter Grußworte im Namen der deutschen Gesellschaft der Freunde Kants. Der Domchor sang das alte Studentenlied „Gaudeamus igitur“ und eine Motette von J. S. Bach, Michael Wieck und seine Frau Miriam Röhm-Wieck spielten zwei Violinduos und der junge Königsberger Domorganist Artjom Chatschaturow füllte mit Bachs großer Toccata und Fuge d-moll den gewaltigen Innenraum des Doms in seiner makellosen Akustik mit den reinen und starken Klängen der neuen Domorgel. Königsberg hat wieder eine Stimme: die Orgel des Doms. Draußen vor dem Kant-Grabmal sprachen die geborenen Königsberger Manfred Lossau und Hannelore Loos von ihrer Liebe zu Kant und zu Königsberg, und alle Anwesenden, Professoren, Studenten und Menschen aus anderen Lebensbereichen, Deutsche und Russen legten Blumen am Grab des größten deutschen Philosophen nieder.

Krönender Abschluß der Feiern war das „Bohnenmahl“ im Hotel „Albertina“. Der „Bohnenkönig“ der deutschen Gesellschaft der Freunde Kants war Hans-Martin Gerlach aus Leipzig; bei der russischen Gesellschaft war die Germanistikdozentin Irina Chernenok „Bohnenkönigin“ geworden. Gerlach befaßte sich in seiner „Bohnenrede“ mit dem Verhältnis zwischen Kant und der Berliner Aufklärung, insbesondere Moses Mendelssohn; Frau Chernenok gab einen Überblick über die deutschen und russischen Biographen Kants. Es gab außerdem Beiträge einzelner Teilnehmer; Michael Wieck erzählte davon, daß seine Erziehung wie die fast aller Königsberger durch die Lehren Kants geprägt wurde; Dieter v. Schrötter wies darauf hin, daß Freiherr Friedrich Leopold v. Schrötter als preußischer Minister die Judenemanzipation durchgesetzt habe; der litauische Kulturattaché Arvidas Josaitis stellte ein Buch mit Gedichten von Boris Bartfeld vor, das demnächst in Memel erscheinen werde, und die Kieler Slawistin Annelore Engel trug ein von ihr ins Deutsche übersetzte Gedicht daraus vor. Das Bohnenmahl vereinte alle Anwesenden zu freundschaftlichen Gesprächen. Voller Spannung nahm sich jeder ein Stück von dem als Nachtisch gereichten Kuchen; in einem Kuchenstück befand sich die silberne Bohne, die den ersten gemeinsamen deutsch-russischen Bohnenkönig für das Jahr 2009 bestimmte. Die Bohne fand Christian Richter aus Berlin. Als gelungene Überraschung erhielten jeder deutsche Teilnehmer und auch Generalkonsul Guido Herz einen Mitgliedsausweis der russischen Gesellschaft der Freunde Kants. Am 22. April 2009 wird wieder ein deutsch-russisches Bohnenmahl in Königsberg stattfinden. Die über 200 Jahre alte Königsberger Kant-Tradition ist an ihren Ursprungsort zurückgekehrt.            G. H.


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