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07.06.08 / Geheime Wünsche / Oft teilen Menschen die selben Sorgen, Gedanken und Wünsche

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-08 vom 07. Juni 2008

Geheime Wünsche
Oft teilen Menschen die selben Sorgen, Gedanken und Wünsche
von Hannelore Patzelt-Hennig

Sie sind alle vier Frühlingskinder – Erika, Lore, Hildegard und auch Helga. Ihre Geburtstage liegen zwischen Ende März und Anfang Mai. Es verbindet sie eine langjährige Freundschaft, die ihren Ursprung in der gemeinsamen engeren ostpreußischen Heimat hat.

Da sie jetzt ziemlich entfernt voneinander wohnen, verzichten sie schon seit einigen Jahren, sich an den jeweiligen Geburtstagen gegenseitig zu besuchen. Stattdessen treffen sie sich einmal im Jahr zu einer gemeinsamen Geburtstagsfeier in einem Ort, der für jede von ihnen ungefähr gleich entfernt liegt.

Sie nennen diese Zusammenkunft ihren gemeinsamen vierblättrigen Zweitgeburtstag. Und dieser ist immer sehr herzerfrischend. Er verläuft gänzlich im Sinne dieser vier alten Freundinnen, ohne all die häuslichen Notwendigkeiten, wie sie zu den regulären Geburtstagen für Gäste und Familien notwendig sind, und in der Gewißheit absoluter Gleichgesinntheit. Für ihre Gespräche brauchen sie keine Themen, die durch das Fernsehen in ihre Stuben gelangen. Sie haben genug aus eigenem Erleben, Tun und Denken einzubringen, trotz fortgeschrittener Jahre. Sie kommen aber auch immer wieder auf die noch in der Heimat verbrachten Kinderjahre, wie auf Vertreibung, Krieg und die Zeit danach zu sprechen. Und immer wieder leuchtet Dankbarkeit aus ihren Herzen. Dankbarkeit dem Schicksal gegenüber für so vieles, was ihnen trotz allem Schlimmen und Schweren beschieden wurde an Gutem und Segensreichem. Trotz so manchen Verzichts und so mancher bitter erlebten Zurücksetzung.

Wie aber war es mit den unerfüllt gebliebenen Wünschen? Helga, als Älteste, sollte sich als erste äußern. Das tat sie auch. Ohne zu zögern, gestand sie, daß sie gern Theologin geworden wäre, aber die Kriegsauswirkungen und die dadurch versäumten Schuljahre hatten das einen Traum bleiben lassen. „Davon hast du noch nie gesprochen“, entgegnete Erika mit ganz entgeistertem Gesicht. Und die anderen beiden Freundinnen blickten ähnlich drein.

„Wir haben uns ja auch noch nie über unsere unerfüllten Wünsche unterhalten. Eure entgeisterten Gesichter aber sind Gold wert. Und es ist für mich eine markante Vorstellung, im Ornat oben auf der Kanzel zu stehen und auf die Gemeinde hinabzudonnern. Und wenn ich euch da unten mit solchen Gesichtern gesehen hätte, dann hätte ich noch zugelegt!“

„Was für ein Glück, daß das Schicksal dir diesen Weg verbaut hat!“ frotzelte Erika. „Vielleicht dürfen wir jetzt deinen geheimen unerfüllten Wunsch erfahren?“ sagte Helga nun gespannt.

„Mein Wunsch ist groß und ganz gegenwärtig. Ich wünsche mir aus tiefstem Herzen, Großmutter zu werden, aber darauf warte ich schon sehr, sehr lange und hoffentlich nicht vergebens.“

Wieder waren alle gerührt,  aber in ganz anderer Art. Nun sollte Hildegard sich äußern. Das geschah spontan. Sie hatte lebenslang der Wunsch nach einem eigenen kleinen Haus mit tief herabgeneigtem, weit vorspringendem Strohdach begleitet.

Ein Haus, das dem glich, in dem sie groß geworden war. Dann kam Lore an die Reihe. Sie überlegte einen Moment: „Da wir uns auf einen Wunsch einigten, muß ich abwägen. Und das, was ich nenne, ist mehr ein unerfülltes Sehnen als ein Wunsch.

Ich erträume mir oft, wieder Kind zu sein, ausgestreckt auf einem hochaufgestakten Heufuder

zu liegen und in den heimatlichen Himmel mit seinen weißen, geballten Schönwetterwolken zu schauen, während die Fuhre den altvertrauten Feldweg dem großväterlichen Hof entgegen schwankt.

So wie ich es als siebenjähriges Mädchen zuletzt erlebte. Dieses Sehnen begleitete mich durch all die Jahre, die seither vergangen sind.“

Nach diesen Worten Lores schwiegen alle für längere Zeit. Es mochte in ihnen so manches im Rückblick lebendig geworden sein.


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