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07.06.08 / Wünsche berücksichtigen / Alternativ- und Schulmedizin schließen sich nicht immer aus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-08 vom 07. Juni 2008

Wünsche berücksichtigen
Alternativ- und Schulmedizin schließen sich nicht immer aus
von Rosemarie Kappler

Im Prinzip ist es kein Geheimnis. Kinderärzte, die schwerkranke Kinder betreuen und versorgen, wissen, daß Eltern oft ergänzend zur gängigen schulmedizinischen Behandlung auf komplementäre und alternative Therapien zurückgreifen, um aus ihrer Sicht nichts unversucht zu lassen. Um schwierigen Gesprächen aus dem Weg zu gehen, verzichten aber trotzdem viele Ärzte darauf, konkret nachzufragen.

Umgekehrt fürchten viele Eltern möglicherweise wegen ihres eigenmächtigen Handelns kritisiert zu werden, weil ihnen die negative Einstellung mancher Ärzte gegenüber nicht schulmedizinischen Verfahren bekannt ist. 

Diese unsichtbare Front auf dem Fundament von Unsicherheit und fehlender Offenheit kann im Einzelfall tragische Folgen haben. Dann zum Beispiel, wenn ein an sich hochwirksames Medikament durch eine ergänzende oder alternative Substanz in seiner Wirkung gehemmt wird.

Umgekehrt können aber alternative Wirkstoffe die Nebenwirkungen schulmedizinischer Präparate durchaus lindern. Mit einer Reihe von Forschungsprojekten und Studien versuchen derzeit Ärzte am Universitäts-Kinderklinikum Homburg, bestehende Barrieren abzubauen und Elternwünsche in ihr Handeln einzubeziehen.

„Wichtig ist eine generelle Bereitschaft auf Seiten der universitären Medizin, sich mit dem Thema Komplementär- und Alternativmedizin auseinanderzusetzen, da die Nachfrage nach diesen Methoden bei der Bevölkerung groß und die Anzahl brauchbarer Studien gering ist“, sagt Dr. Sven Gottschling. Er ist Studienleiter einer der weltweit größten Untersuchungen, die Daten zur Anwendung alternativer und ergänzender Heilverfahren bei Kindern liefern soll.

Gemeinsam mit dem Deutschen Kinderkrebsregister in Mainz und dem Gemeinschaftskrankenhaus in Herdecke wurden über 2500 Familien in Deutschland befragt. Nach ersten Auswertungen zeigt sich, daß je nach Erkrankungsbild zwischen 25 und 60 Prozent der Eltern von sich aus die schulmedizinischen Verordnungen ergänzen, oft mit Unterstützung von Heilpraktikern.

Auch im Rahmen der Vorbeugung und zur Stärkung des Immunsystems setzen immerhin die Hälfte der Befragten bei gesunden Kindern auf komplementäre oder alternative Behandlungsmethoden. „Diese Fakten müssen wir einfach berücksichtigen, wenn wir vertrauensvoll mit den Eltern zusammenarbeiten wollen“, sagt Gottschling.

Das bedeutet, daß aus schulmedizinischer Sicht häufig angewandte komplementäre und alternative Methoden durch experimentelle und klinische Forschungen besser auf ihre Wirksamkeit untersucht werden müssen, um sie in ein vertretbares Behandlungskonzept zu integrieren.

Um es vorweg zu nehmen: Für Heilsteine, Haifischknorpel und bestimmte Mineralstoffe als Radikalenfänger oder gar das exotische Galavit (wirkt gegen alles und kostet wöchentlich 20000 Euro) gibt es keine Wirksamkeitsnachweise, die wissenschaftlichen Kriterien standhalten.

Als erfolgreich hat sich dagegen der Einsatz von Nadelakupunktur ergänzend zu Chemotherapien bei Kindern erwiesen, um Übelkeit und Erbrechen zu mildern. Kindern mit Spannungskopfschmerzen kann mit Laserakupunktur geholfen werden.

In einer aktuellen Studie wollen die Homburger Mediziner herausfinden, ob sich die Laserakupunktur auch in der Schmerzvorbeugung bei Neu- und Frühgeborenen bewährt.

„Darüber hinaus nehmen wir an einer Studie der Berliner Charité teil, die  überprüfen soll, ob die Misteltherapie aus der anthroposophischen Medizin begleitend zu einer Chemotherapie Nebenwirkungen senken kann“, nennt Gottschling ein weiteres Beispiel.

Und schließlich untersuchen die Wissenschaftler aktuell den Einfluß homöopathischer Substanzen bei akuten und wiederkehrenden Atemwegserkrankungen bei Kindern. Diese Untersuchung wird unterstützt von der Karl und Veronica Carstens-Stiftung.

„Mit diesen Bemühungen wollen wir Eltern zeigen, daß wir durchaus offen für Alternativen sind, aber wirksam müssen sie eben sein. Der Wirksamkeitsnachweis ist für uns die Basis, auf der wir offen mit den Eltern diskutieren wollen“, so der Mediziner Sven Gottschling.


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