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07.06.08 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-08 vom 07. Juni 2008

Sichtwechsel / Wie uns Gysi begeistert, was Becks Fuß in der Hintertür soll, und welch tolle Sachen Franziska Drohsel in alten Truhen findet
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Es gibt eine Form der Arroganz, die begeistert. Haben Sie Gregor Gysi im Reichstag gesehen? Fabelhaft: Nein, mit der Stasi hat er nichts zu tun gehabt. Und warum nicht? „Ich hatte Gespräche mit dem Zentralkomitee, der führenden Kraft der DDR. Ich brauchte keine Kontakte mit der Staatssicherheit!“, dozierte der Cheflinke im Parlament über die innersten Strukturen des Arbeiter- und Bauernstaats und seine herausragende Rolle in dem Unternehmen.

„Da setzt di nieder!“, würde wohl ein Bayer dazu sagen. Man muß es sich nur etwas allgemeiner, weg von der Person Gysi, zusammenreimen, um die Szene zu fassen: Da wird also jemand bezichtigt, mit der Geheimpolizei einer totalitären Diktatur gekungelt zu haben. Und wie kontert der? „Was? Ich und die Geheimpolizei? Hör mal, Schätzchen: Ich bin beim großen Diktator persönlich ein- und ausgegangen! Da mußte ich mich doch nicht mit seinen Spießgesellen abgeben!“

Wenn Frechheit siegt, hat die Linke den Wahlsieg 2009 schon in der Tasche. Und die Freunde von der SPD an der Hand. Die sind sich nur nicht im klaren, wann sie die Verlobungsanzeige schalten sollen. Sie trauen sich nicht recht. Die verfahrene Lage in Hessen schmerzt derweil wie ein fauler Zahn, den man mit einer Glaubwürdigkeitskappe überdeckt hat, statt den sozialdemokratischen Antikommunismus an der Wurzel zu packen und auszureißen.

Parteichef Beck vergißt aber nie, seinen Fuß unauffällig ins Hintertürchen zu stellen, wenn er wieder einmal jede Zusammenarbeit mit der Linken auf Bundesebene ausschließt: Immer fügt er dabei leise an: „... aus heutiger Sicht.“ Sichten ändern sich. Politiker gefallen sich besonders im Wechsel ihrer Sichten. Nur selten sagen sie über ihre vergangenen Fehler: „Ja, das war falsch, und das bereue ich auch, weshalb ich seitdem kleinere Brötchen backe.“ Nein, statt dessen belehren sie uns noch nachträglich: „Also aus heutiger Sicht würde man das wohl für verfehlt halten, aber aus damaliger Sicht konnten wir kaum anders, als ...“ Manchmal werden sogar diejenigen, die „damals“ schon eine Sicht vertraten, die sich erst „aus heutiger Sicht“ als richtig erweist, dafür bestraft, daß sie „damals“ eine aus „damaliger Sicht“ unvertretbare Meinung vertraten. Hä? Schwer verständlich, und es ist auch eine ziemlich krumme Sache, darum hier ein Beispiel, an das sich die meisten erinnern.

Der TV-Journalist Gerhard Löwenthal galt mit seinem „ZDF-Magazin“ den fortschrittlichen Kräften der 70er und 80er Jahre als das Böse schlechthin, ein kalter Krieger, ein Friedensfeind, ein Kommunistenfresser, ein ... ach, was noch alles!

Zwar konnte schon damals jeder erkennen, daß Löwenthal recht hatte mit seinen scharfen Attacken auf den SED-Staat und dessen Machenschaften gegen die eigenen Bürger. Sehen konnte das jeder, auch im dicksten Nebel der Beschönigungen. Man mußte es nur wollen.

1989 klarte die Sicht plötzlich auf, die Löwenthal-Steiniger sahen nun auf einmal ganz schön schäbig aus. Aber haben sie den Geschmähten etwa rehabilitiert? Sich gar bei ihm entschuldigt?

Aber niemals! Löwenthal blieb auf der schwarzen Liste der „Mainstreamer“ kleben, weil er „aus damaliger Sicht“ als „kalter Krieger“ und „Kritiker der Entspannungspolitik“ hervorgetreten sei. Man mied ihn bis zu seinem Tode 2002. Der 1922 geborene Löwenthal, der als Jude die NS-Zeit unter dramatischen Umständen in Berlin überlebt hatte, trug’s mit Gleichmut.

Wir aber können daraus lernen: Teile stets die Sicht der Zeitgeistdesigner. Später recht zu bekommen, wo die großen Vorsprecher geirrt haben, ist gefährlich. Es zieht ihren unstillbaren Haß auf Dich. Plapper besser ungehemmt das, was im Moment ankommt. Morgen kannst Du Dich immer noch mit in den Wandel der Sichten verkrümeln, falls man Dich mit Deinen Lügen behelligt.

So kommt man bequem durch die Sichtwechsel, allerdings kann das auf Dauer langweilig werden. Wo bleibt der Kitzel der Vorreiterrolle? Des inszenierten Radikalismus?

Gemach, auf den muß man nicht verzichten, zumindest, wenn man einige Voraussetzungen erfüllt: Der erfolgreiche Radikale fordert nur Sachen, mit denen die Großkopferten zwar heimlich sympathisieren, die ihnen zum Selbersagen aber doch zu extrem oder einfach zu bescheuert erscheinen. Solche Radikalen werden dann nicht als „gefährliche Extremisten“ verteufelt, sondern als „aufmüpfige Querdenker“ und „Heißsporne“ apostrophiert, was sie im Grunde sympathisch macht und ihrer späteren Karriere nach dem Abkühlen nur förderlich sein kann.

Und wenn einem nichts einfällt? Macht auch nichts: Die Jusos haben die schweren Truhen ihrer Altvorderen durchwühlt und allerhand vergilbten Kram aus der Zeit um 1970 gehoben. Das Zeug ist zwar uralt und stinkt erbärmlich nach vergammeltem Positionspapier, aber die erschmökerten Texte klingen unwiderstehlich radikal. Zumindest in den Ohren von politischen Jungspatzen im Format von Juso-Chefin Franziska Drohsel.

So haben die Jungsozialisten die Überzeugung exhumiert, „daß der Kapitalismus überwunden werden muß“. Um die ganze SPD von den Spuren des Erwachsenwerdens zu säubern und in ihr linksradikales Zeltlager zu locken, wollen die Jusos „linke Kräfte von der Notwendigkeit eines sozialistischen Engagements in der SPD überzeugen“. Ob Sahra Wagenknecht die Signale gehört hat?

Nein? Dann kommen die Jungsozialisten eben selber bei ihr vorbei, um es ihr noch einmal direkt zu sagen: Sie wollen ein „linkes Zukunftsprojekt entwerfen, und für dessen konkrete Umsetzung kämpfen“. Darüber wollen sie mit Grünen und Linkspartei sprechen.

Den unter 50jährigen dröhnt das Gedrohsel wie Kettenrasseln aus dem ideologischen Jenseits durch den Kopf – die können dieses paläomarxistische Gequalster doch unmöglich ernst meinen! Ach, und warum nicht? Wie hieß es noch: Die Geschichte wiederholt sich zweimal, erst als Tragödie, dann als Farce.

Ist das jetzt die erste oder zweite Wiederholung? Womöglich endet es in beidem zusammen: in einer tragischen Farce. Einiges ist nämlich etwas anders als vor über 30 Jahren, als die Jusos ihr letztes radikalsozialistisches Bäuerchen hervorpreßten: Damals waren die Kassen vom Wirtschaftswundergeld prall gefüllt. Der „rheinische Kapitalismus“ stand in der Blüte seiner Jahre und ließ sich bereitwillig Milliarden an Spielgeld für interessante sozialistische Experimente abknöpfen. Es war die schönste aller Welten: Man konnte wie besessen Sozialimus spielen, weil Papa Kapital alles zahlte.

Das war einmal: Das Kapital ist vom zahlungsbereiten Papa zum streunenden Vagabunden verkommen, der sich niederläßt, wo man nett zu ihm ist, und der seine Kinder bedenkenlos vor die Tür setzt, wenn die Verführung rumänischer Billigarbeiter von den Karpaten winkt. Und den Staatsetat, der Anfang der 70er noch rank und schlank daherkam, hat die Schuldenwampe längst auf die Seite gekippt.

Die Geldbeschaffung wird also schwieriger als in den 70ern. Da trifft es sich gut für Frau Drohsel, daß die Mutterpartei SPD mit ihrem neuesten Steuermodell schon mal das Feld sondiert hat für die notwendigen Beutezüge in der Zeit von Rot-Rot. Da das große Kapital über viel zu viele Fluchtwege verfügt, will man sich auf die Mittelschicht stürzen, die hier bekanntlich weitgehend festsitzt.

Fluchtgefahr stellt sich bei der Mittelschicht erst ein, wenn sie weitgehend enteignet und das Land an die Wand gefahren ist. Dann folgt der tragische Teil der Farce: Da sich Sozialismus erfahrungsgemäß nicht selber finanzieren kann, ist der Bankrott unvermeidbar. Und was macht Franzis­ka Drohsel dann. Nun, sie wird uns erklären, daß das böse Ende  ja keiner ahnen konnte, weil es „aus damaliger Sicht ...“, wir kennen den Rest.


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