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14.06.08 / Sieben Wahrheiten / Eindringliches Gesellschaftsdrama

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-08 vom 14. Juni 2008

Sieben Wahrheiten
Eindringliches Gesellschaftsdrama

Welche Version ein und derselben Geschichte überzeugt die Geschworenen in einem Gerichtsprozeß im Zweifelsfall eher, diejenige eines gesellschaftlich abgestiegenen, kunstsinnigen Eigenbrötlers oder diejenige eines skrupellosen Finanzhändlers? Wenn ein Autor einen merkwürdigen Entführungsfall aus der  Perspektive von gleich sieben davon betroffenen Personen beleuchtet, wird die Suche nach dem Wahrheitsgehalt der einzelnen Versionen beinahe schon abenteuerlich.

In seinem neuen Roman „Sieben Seiten der Wahrheit“, der in Melbourne spielt, beschäftigt sich Elliot Perlmann mit der komplizierten Wahrheitsfindung in einem Justizfall. Nicht von ungefähr, denn Perlmann arbeitete bis vor einigen Jahren noch hauptberuflich als Rechtsanwalt in Melbourne.

In seinem dritten Buch läßt er sieben Menschen, mehrheitlich Verlierer der Gesellschaft, als Ich-Erzähler nacheinander jeweils ihre persönliche Wahrnehmung der Zusammenhänge jener rätselhaften Tat erzählen. Aber es geht ihm dabei um viel mehr. Seine Protagonisten agieren vor dem Hintergrund unserer globalisierten Lebenswelt mit ihrer sozialen Kälte.

Simon, ein sensibler, mitfühlender Grundschullehrer, erhält von Anna, seiner Collegeliebe, scheinbar grundlos den Laufpaß. Simon kann sich von Anna nicht lösen, fängt an zu trinken und wird zum Sonderling. Trost findet er in der Welt der Literatur. In seinem Beruf als Lehrer ist er erfolgreich und engagiert tätig – so lange, bis es in seiner Klasse zu einem Entführungsfall kommt. Als kurz darauf aufgrund der allgemeinen Sparzwänge Entlassungen beim Lehrpersonal anstehen, muß Simon, der kurzzeitig verdächtigt worden war, den Dienst quittieren. „Der Jobverlust beschleunigte seinen Niedergang“, stellt sein Therapeut Alex Klima, den Simons Vater eingeschaltet hatte, später fest. Klima gewinnt Simons Vertrauen, läßt sich aber auf eine allzu große Nähe zu seinem Patienten ein.

Zehn Jahre sind seit der Trennung vergangen. Anna ist eine erfolgreiche Geschäftsfrau und lebt in einem anderen Stadtteil von Melbourne. Sie ist mit dem Finanzhändler Joe verheiratet, den sie aber nicht mehr respektieren kann. Joe ist ständig unter Strom, da er mit seinen Börsenspekulationen immer größere Risiken eingeht. Simon beobachtet die Familie heimlich und wird von seiner Freundin Angelique, einer Prostituierten, über deren Privatleben unterrichtet. Joe ist Angeliques Stammkunde, und bei ihr spricht er sich vorbehaltlos über seine privaten und beruflichen Probleme aus.

Weder Alex Klima noch Angelique können verhindern, daß Simon in Trunkenheit eine aberwitzige Tat begeht. Alles endet zwar glimpflich, aber Simon wird vor Gericht gestellt. Die lokale Presse veröffentlicht sämtliche Details, mit gravierenden Folgen für alle sieben Protagonisten. Während sie nacheinander ihre eigene Geschichte erzählen, schreitet die Handlung weiter voran.

Perlmanns Buch ist ein eindringliches Gesellschaftsdrama. Sein Hauptanliegen sind die sozialen Themen. Auf der Grundlage intensiver Recherchen vermittelt der Autor dem Leser im Rahmen des Geschehens ein beachtliches Wissen über Börsenspekulationen der Finanzmagnaten, Korruption und das Rotlichtmilieu, über Glücksspiel und Literaturgeschichte. Die altruistisch bestimmten Persönlichkeiten in diesem Beziehungsgeflecht stellen die Frage in den Raum, „wieviel Wut, wieviel Entfremdung es wohl bräuchte, um eine Gesellschaft zu überzeugen, das Rad des Gemeinwohls neu zu erfinden“.

Sie kämpfen einen hoffnungslosen Kampf gegen eine Reform des Gesundheitswesens, das „wie eine beliebige Wertanlage, wie ein Investitionsobjekt, behandelt wird und wodurch die Dienstleistungen von Ärzten und Krankenhäusern durch Bürokratie und Verwaltung so kontrolliert werden, daß Profite garantiert sind, gewöhnlich zum Nachteil der Patienten“.

Der 864 Seiten starke Roman brilliert durch eine souveräne Dramaturgie, Ideenreichtum sowie eine Sprache voller Witz, Ironie und Sarkasmen. Dagmar Jestrzemski

Elliot Perlmann: „Sieben Seiten der Wahrheit“, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008, geb., 864 Seiten, 22,95 Euro


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