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21.06.08 / Aber die Bäume wissen es noch / Eine Traumreise in die Heimat offenbart so manche Sehnsucht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-08 vom 21. Juni 2008

Aber die Bäume wissen es noch
Eine Traumreise in die Heimat offenbart so manche Sehnsucht
von Gerd Schimansky

Ich gehe nur nachts. Denn überall steht ein Schild: Verboten. Kann man Erinnerungen verbieten? Sie kommen lautlos, wispern einem im Dickicht etwas zu, rufen die Bäume zu Zeugen auf. Der Mond verrät mich nicht. Und der Bach schon gar nicht. Lautlos eilt er dem Rauschener Mühlenteich entgegen. Dem wird er es leise anvertrauen: „Du, der da kommt, war schon mal hier, vor neunzig Jahren, ja, im Sommer 1917. Da wohnte er mit seiner Mutter in der Villa Fortuna. Die steht ja noch.“ Und die Bäume, welche die Villa überwölben, bestätigen das, mit dem Nachdruck, den ihnen der Seewind verleiht. Sie wissen auch, ich hatte eine hölzerne Schaufel und ein geschnitztes kleines Boot und auch einen Vogel mit weit gespreizten Flügeln, ebenfalls aus Holz geschnitzt. Den hatten mir russische Kriegsgefangene geschenkt. Dazu einen Aluminiumring mit einem eisernen Kreuz.

Zehn Jahre später, das wissen nun wieder die Bäume am Rauschener Mühlenteich, da kam ich als Pfadfinder in einer Regennacht nach weitem Fußmarsch hierher. Eine Zeltbahn hatte ich mir über den Kopf gezogen – wo ist hier im Dick­icht ein Unterschlupf? Ach hier, dicht am Teich in einer uralten Linde – sie lädt ein, hat sich in zwei mächtige auseinanderstrebende Stämme aufgeteilt, läßt dazwischen eine Mulde frei, wie geschaffen zum Schlafen. Man muß sich nur ein bißchen kümmern.

Aber wie komme ich denn jetzt plötzlich auf die Kurische Nehrung? Doch wohl von Rauschen am Strand entlang, über Neukuhren und Cranz zum Fischerdorf Sarkau. Und dann bin ich auch schon in den ersten Wanderdünen. Bin sogar in Rositten, zwischen Sand und Sumpf dahinstapfend. Und – da steht ja auch schon der Elch. Ja, er kommt ganz langsam auf mich zu, der ungeschlachte Bulle. Und sieht mich an. Und in seinen Augen steht ein uraltes Wissen. Seine mächtigen Schaufeln neigen sich, aber nicht etwa zum Angriff. Vielleicht um mich besser zu hören. Denn wir sprechen miteinander. Worte? Brauchen wir Worte? Wir sind Freunde.

Noch glimmt mein Lagerfeuer in einem von der Wanderdüne schon halb verschütteten Gehölz, dicht am Haff. Da höre ich ein Knacken, und ein mächtiger Schatten gleitet an mir vorbei. Geht er zur Tränke?

Und nun weiß ich nicht, wie ich nach Rominten komme, erinnere mich nur undeutlich an einen Fußmarsch von Gumbinnen bis zum Marinowosee. Und von da in die Rominter Heide. Es ist Herbst. Der Brunftschrei der Hirsche auf der mondbeschienenen Lichtung. Die kämpfen mit einander. Ein Käuzchenruf. Ein Rudel Wildschweine saust an mir vorbei. Die Augen des Keilers und seine Hauer blinken tückisch. Seltsam, so ängstlich ich sonst auch bin, hier habe ich keine Angst.

Aber nun bin ich ja auch schon weit fort, stehe in Königsberg auf der Dominsel, auch wieder im Dunkeln. Hier steht doch die alte Universität. Immanuel Kant – da, dieser gekrümmte Schatten an der Mauer, ob er einem noch begegnet? Nein, nein, da steht doch sein Grabmal am Dom. Und drüben, ja da ragt das Schloß empor. Ich höre, wie die Turmuhren jetzt einander antworten – zwölf Schläge, Mitternacht. Aber jetzt bin ich ja im Krönungssaal und, wahrhaftig, ich sitze auf dem Thronsessel der preußischen Könige. Bei einer Führung durch die Gemächer bin ich zurückgeblieben und auf den schimmernden Sitz geklettert. Da sitze ich nun, reiche aber mit den Füßen nicht bis auf die Erde, und schon rutschen mir die viel zu großen Filzpantoffeln von den Füßen – ein unwürdiger Anblick, ein König mit hilflos baumelnden Beinen. Ich also runter von dem Thron, in die vorgeschriebenen Pantoffeln geschlüpft, den anderen nachgelaufen, nachgerutscht und mich mit ehrbarer Miene wieder eingereiht. Immerhin, einige Sekunden war ich König gewesen, hatte geherrscht. Und jetzt nach meiner Abdankung wurde ich reichlich entschädigt, denn es ging ins Bernsteinzimmer in seiner atemberaubenden Pracht.

Wieder draußen, ganz allein, sehe ich den Turm der Schloßkirche gegen den Sternenhimmel. Schlägt es schon ein Uhr?

Und dann stehe ich am Pregelufer –  die alten Speicher, wie sie sich im Wasser spiegeln. Ich stehe auf der Grünen Brücke.

Und ohne daß ich einen Schritt getan hätte, bin ich plötzlich in Luisenwahl, in dem alten verwilderten Park. Ganz nah auch das Luisenhäuschen, in dem sich die Königin Luise auf der Flucht vor Napoleon ausgeruht hat. Sehr alte Buchen stehen wie Wächter da und erzählen so viel. So vieles auch, was ich fast vergessen habe. Aber die Bäume wissen es noch.


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