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28.06.08 / Alte Zöpfe sollen fallen / Nicolas Sarkozy will mehr Geld in die militärische Aufklärung und Abschreckung investieren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-08 vom 28. Juni 2008

Alte Zöpfe sollen fallen
Nicolas Sarkozy will mehr Geld in die militärische Aufklärung und Abschreckung investieren
von Jean-Paul Picaper

Der französische Staatspräsident Sarkozy hat am 17. Juni vor 3000 Militärs in der Versammlungshalle an der Porte de Versailles in Paris das neue Weißbuch der Verteidigung vorgestellt. Diese umfangreiche Studie definiert die neuen Herausforderungen der Sicherheitspolitik und die strategische Ausrichtung Frankreichs in den nächsten fünfzehn Jahren, sowie deren Konsequenzen für den Umfang, die Ausrüstung und die europäische und atlantische Einbindung der französischen Streitkräfte. Man kann zusammenfassend sagen, daß es die Tradition der nuklearen Abschreckung von General de Gaulle fortsetzt. Aber auch, daß die in der Amtszeit von Jacques Chirac verstärkte Komponente der Truppenprojektion, d. h. der schnellen Verlegung von Elitetruppen mit Kriegsgerät zu entfernten Krisengebieten, dort ihren Platz findet. Hinzu kommt eine neue Komponente, die Stärkung der Aufklärung. Diese dritte Funktion soll zukünftig an erster Stelle der nationalen Sicherheit stehen. Sie richtet ihren Blick auf die Lageerkenntnis und auf die Früherkennung von Gefahren, die mit der Prävention und dem Schutz vor Angriffen eng verbunden und kombiniert werden.

Die Verfasser des Weißbuches gehen davon aus, daß seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes in den Jahren 1990 und 1991 und seit dem 11. September 2001 die Gefahren vielschichtiger und weniger greifbar geworden sind. Der Cyber-Terrorismus, die Weiterverbreitung von Nuklearwaffen und die Gefahr eines Anschlages mit einer so genannten „schmutzigen Atombombe“, die Gesundheitsrisiken sowie die Möglichkeit von biologischen und chemischen Anschlägen durch anonyme, nicht staatliche Terroristengruppen, sind heute leider aktuell geworden. Das macht eine bessere Zusammenarbeit der Kräfte der inneren und der äußeren Sicherheit erforderlich. Um Politikbereiche wie die innere Sicherheit und die Außenpolitik miteinander und mit der Verteidigung und dem Schutz der nationalen und kollektiven Wirtschaftsinteressen besser zu vernetzen und zu koordinieren, wird ein Rat für Verteidigung und nationale Sicherheit eingerichtet, im Rahmen dessen sich Premierminister François Fillon, Außenminister Bernard Kouchner, Innenministerin Michèle Alliot-Marie, Verteidigungsminister Hervé Morin, Wirtschaftsministerin Christine Lagarde und Haushaltsminister Eric Woerth unter der Ägide von Staatspräsident Nicolas Sarkozy mit den Sicherheitsfragen befassen. Dieser Rat soll die wichtigsten Leitlinien für die einzelnen Nachrichtendienste festlegen und die Ziele und die Mittel bestimmen.

Um den neuen Funktionen der Lageerkenntnis und der Früherkennung gerecht zu werden, beschreibt das Weißbuch den Posten eines Koordinators für die Nachrichtenbeschaffung, der im Elysee-Palast sitzt und dem etwa zehn Vertreter des Außen-, des Verteidigungs- und des Innenministeriums zur Seite stehen. Es sieht vor, daß die Ausgaben für Militärsatelliten bis 2020 verdoppelt werden sollen. Es schließt  neue Programme mit wissenschaftlich-technischem Hintergrund ein, etwa die Beobachtung aus dem Weltraum, in der Luft und zu Wasser, Abhörtechnologien und Frühwarnsysteme bei allen drei Waffengattungen. Vorgesehen ist dabei insbesondere der Ausbau der Überwachungsdrohnen und der bewaffneten Drohnen sowie der Fähigkeiten zur offensiven und defensiven Bekämpfung von Cyber-Attacken. Die neuen Verteidigungsrichtlinien werden eine Verlagerung der Militärausgaben auf neue, sehr kostspielige Bereiche und drastische Kürzungen, ja sogar die Streichung von bisherigen Positionen des Militärhaushaltes erfordern. Das hat sofort einen heftigen Widerstand bei den Offizieren ausgelöst. Sie werden von Regional- und Lokalbehörden unterstützt, da 60 Garnisonen von Schließung bedroht sind. Die Kampfeinheiten werden auf 87 Stützpunkte zusammengezogen, davon 50 für das Heer, 19 für die Luftwaffe und 4 für die Marine. Das Heer wird am meisten darunter leiden. Die Verteidigung vor Ort wird den Kommando-Operationen den Vortritt lassen. Die Panzerregimenter werden stark reduziert. Deren Stolz, der Kampfpanzer Leclerc, wird weitgehend eingemottet. Ohnehin war nur ein kleiner Bruchteil der Leclerc im Dienst, aber sie mußten alle instandgehalten werden, und das war teuer.

Die Offiziere bedauern, daß die Kommission, die das Weißbuch unter der Leitung eines höheren Beamten,  Jean-Claude Mallet, verfaßt hat, nur fünf Generäle unter den 35 prominenten Persönlichkeiten zählte. Keinem einzigen Unterausschuß der Kommission saß ein Militär vor. Offiziere nahmen zwar an Hearings teil, aber unter ihnen keine Leute, die Felderfahrung hatten. Das war Absicht, meinen die obersten Soldaten. Der absolute Vorrang wird der „Intelligence“ und der Satellitenaufklärung gegeben, die unerschwingliche Kosten voraussetzt, und das Werkzeug der Armee, die Streitkräfte, werden auf knappe Rationen gesetzt.

Die Offiziere mögen in der Tat Recht haben, da die Deeskalation in Krisengebieten sehr viele Männer und Frauen vor Ort erfordert, die auch Zivilausgaben erfüllen. Dabei wird der Militärhaushalt nicht gekürzt. Wahrscheinlich werden drei Milliarden Euro zusätzlich flüssig gemacht, denn die 36,8 Milliarden dieses Haushaltes reichen nicht mehr aus, um die neuen Waffen (M51-Missile, Barracuda-U-Boote, Lufttransporter A400M, FREMM-Fregatten, Rafale-Kampfjäger, NH-90 und Tiger Helikopter, VBCI Panzerfahrzeug) zu bezahlen.

Gemeinden und Städte protestieren bereits massiv, weil sie wirtschaftlich ausgetrocknet werden, wenn die Militärs sich zurück­ziehen würden. Dabei werden in den kommenden vier Jahren die jährlichen Militärausgaben (ausgenommen der Pensionslasten) real beibehalten, d.h. inflationsangepaßt erhöht. In einzelnen Bereichen sind Sonderausgaben möglich. Ab 2012 wird das Verteidigungsbudget dann über die Inflationsanpassung hinaus um real ein Prozent jährlich erhöht. Insgesamt wird Frankreich 377 Milliarden Euro (ausgenommen der Pensionslasten) bis 2012 für seine Verteidigung ausgeben. In die Nuklear-Abschreckung wird weiter viel Geld hereingesteckt und der Schutz der Bevölkerung vor Anschlägen bekommt neue Priorität. Eine Einsatzgruppe von 10000 Mann in ständiger Alarmbereitschaft wird gebildet, um speziell bei Terroranschlägen und bei Großkatastrophen vor Ort sein zu können.

Indem Sarkozy die Amputation der traditionellen Aufgaben zugunsten neuer strategischer Ziele durch Zivilisten vorantreiben läßt, wird seine Intention sichtbar, den Widerstand der Militärs zu brechen. Er will einerseits, wie de Gaulle seinerzeit, dem Krieg von Morgen einen Schritt voraus sein. Andererseits unterscheidet er sich radikal von der altgaullistischen Strategie, indem er gleichzeitig die Rück­kehr der französischen Armee in die Militärorganisation der Nato vollzieht, die de Gaulle 1966 verlassen hatte.

Foto: Helikopter vom Typ Tiger: Zukünftig flexibler und effektiver mit modernem Kriegsgerät .


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