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28.06.08 / Der Schatten Putins weicht / Von Katyn bis zum Kriegsrecht 1981: Russen sollen sich zu ihrem Sündenregister bekennen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-08 vom 28. Juni 2008

Der Schatten Putins weicht
Von Katyn bis zum Kriegsrecht 1981: Russen sollen sich zu ihrem Sündenregister bekennen
von Wolf Oschlies

Polen hassen Russen, Russen verachten Polen. Wer die osteuropäische Geschichte auf diesen einfachen Nenner bringt, sah sich Mitte Juni bestätigt. In Warschau trat die „Polnisch-Russische Kommission für schwierige Angelegenheiten“ zusammen, um ihrem Namen gerecht zu werden. Die von dem Polen Adam Rotfeld und dem Russen Anatoli Torkunow paritätisch geleitete Kommission von Historikern befaßt sich nicht mit Fakten, vielmehr „mit der Beseitigung von Problemen, die normale Beziehungen zwischen unseren Ländern blockieren, gelegentlich paralysieren“. So formulierte es Rotfeld, der als Ex-Außenminister Polens einen diplomatischen Ton bevorzugt.

Andere wurden deutlicher: Der Krakauer Historiker Andrzej Nowak empfand die russischen Arbeitspapiere als „propagandistische Manipulation“, die Polen „provozieren“ und „international kompromittieren“ sollten. Sein Warschauer Fachkollege Andrzej Kunert sprach gar von russischer „Geschichtsfälschung ohne einen Funken Wahrheit“.

Die polnische Seite erwartete, daß die Russen ihr Sündenregister gegenüber Polen wenigstens ansprächen: Den Hitler-Stalin-Pakt von 1939 und die ihm folgende sowjetische Aggression Polens; die Ermordung Tausender polnischer Kriegsgefangener im Frühjahr 1940 in Katyn und in anderen, in der Ukraine gelegenen Orten; die Passivität der Roten Armee, die im August 1944 am anderen Weichselufer tatenlos zusah, wie deutsche Truppen den Warschauer Aufstand niedermachten; die sowjetische Rolle beim „Kriegszustand“ in Polen 1981. 

Auf all das wollten die Russen nicht eingehen, vielmehr präsentierten sie am 13. Juni ein Gegenregister von 14 polnischen „Untaten“: Polen habe im Krieg gegen die Bolschewiken 1920 „Kriegsverbrechen“ an russischen Gefangenen verübt, 1938 durch die Annexion tschechoslowakischen Gebiets den Zweiten Weltkrieg „ausgelöst“, diesen durch verweigerte Zusammenarbeit der Londoner Exilregierung mit Stalin um Jahre „verlängert“ und weitere „Geschichtslügen, die suggerieren, daß zu Zeiten Lenins und Stalins nicht die Polen Opfer der Sowjets waren, sondern umgekehrt“, wie die Tageszeitung „Dziennik“ zornlodernd rügte.

Der Start des Kommissionstreffens hätte schlechter nicht sein können, aber die polnischen Wutausbrüche hatten ihr Gutes. Der russische Ko-Präside Torkunow räumte vor der polnischen Presse, die er um „Unterstützung“ der Kommission bat, erfrischend offen ein, daß seine Historiker noch unter zu vielen ideologischen Beschränkungen litten, wie sich gerade an der Beurteilung von russisch-polnischer Vergangenheit zeige.

Damit sagte Torkunow  den Polen nichts Neues, die dann wenigstens das neue Arbeitsklima der Kommission lobten: „kein weiteres Bürokratentreffen“, „originelle Gedanken“, Einfühlung in „schmerzliche Probleme, an denen in den polnisch-russischen Beziehungen kein Mangel herrscht“, „guter Wille und gegenseitiges Vertrauen“. Diesem Lob schlossen sich auch Premier Donald Tusk und Außenminister Radoslaw Sikorski an, so daß die Tagung einen versöhnlichen Abschluß samt optimistischem Ausblick aufs nächste Treffen in Moskau im Herbst fand.

Die Polen vertrauen darauf, daß der bestimmende Einfluß des Geschichtsignoranten Wladimir Putin langsam schwindet und man endlich offen mit einander reden kann. Putin, für den „der Zerfall der Sowjetunion das größte Unglück des 20. Jahrhunderts“ war, hatte die russischen Historiker aufgefordert, den Russen keinerlei historische „Schuldgefühle“ zu suggerieren. Natürlich habe es auch in der Sowjetunion Untaten gegeben, aber die seien weniger als anderswo gewesen und hätten allein Russen betroffen – gegenüber fremden Völkern habe man sich nie versündigt.

Und was war mit der Aggression Polens, der Okkupation der Baltenstaaten, den Morden von Katyn und ungezählten sowjetischen Verbrechen mehr? So fragten Polen seit Jahren nur noch rhetorisch und dokumentierten die historiographischen und interpretatorischen Rückschritte, die unter Putin eintraten. Dieser ist damit weit hinter seine Vorgänger zu­rück­­­gefallen. Bereits 1987/88 hatte Gorbatschow den Polen nach langen Verhandlungen zugesagt, gemeinsame Forschungen zu weißen Flecken im bilateralen Verhältnis zu starten und dabei den „Fall Katyn“ ins Zentrum zu rücken. Im Sommer 1993 war Boris Jelzin zu Besuch in Polen, wo er öffentlich russische Schuld eingestand, sich für Verbrechen entschuldigte und einen Packen Dokumente überreichte.

Unter Putin wurde das alles zurückgedreht – bis zurück zu Geschichtsklitterungen, die Russen bereits vor 60 Jahren beim Nürnberger Prozeß vorbrachten: Russische Verbrechen 1940 im ukrainischen Katyn habe es nie gegeben, nur deutsche 1943 im weißrussischen Chatyn. Und die Polen sollten auch schön ruhig sein, sie hätten seit 1920, als sie „80000 Rotarmisten ermordeten“, genug Dreck am Stecken. Für alle Fälle ließ Putin die Archive schließen und schickte  Sergej Karaganow vor. Der erklärte noch im Mai in Posen den russischen Standpunkt: „Wir Russen werden uns nie für Katyn offiziell entschuldigen, denn ihr Polen seid doch nur auf Entschädigungen aus.“ So etwas schuf natürlich böses Blut: 2007 hatte Andrzej Wajdas Monumentalfilm „Katyn“ ganz Polen aufgewühlt, und jetzt übt die von Andrzej Sariusz-Skapski geführte „Föderation der Katyn-Familien“ Druck auf die Regierung aus, von Rußland „moralische Satisfaktion“ zu fordern.

Die „Polnisch-Russische Kommission für schwierige Angelegenheiten“ ist, bei all ihrer noch bestehenden Unzulänglichkeit, die erste Schwalbe kommender Verbesserungen. Sie wurde 2002 ins Leben gerufen, hat aber die letzten Putin-Jahre über nicht gelebt. Erst im Dezember 2007 hatten  die Außenminister beider Länder, Sikorski und Lawrow, sie wiederbelebt. Das jüngste Treffen war „atmosphärisch“ wohl ein Erfolg: Die Russen haben wohl begriffen, daß Polen keine „Geiseln“ ihrer Geschichte sind, aber doch die historische Wahrheit zum Fundament aktueller Politik machen könnten. Das ist ein historischer Standpunkt, den russische Wissenschaftler wie der Moskauer Politologe Michail Narinski auch für die eigene Seite akzeptieren können: „Das polnische Volk wurde Opfer eines totalitären Regimes und hat kein Verständnis für eine Rechtfertigung der Verbrechen des Stalinismus. Auch Russen wurden Opfer des Stalinismus und man kann nicht das damalige System mit dem heutigen Rußland identifizieren und diesem die Schuld daran aufhalsen.“  

Foto: Ein Bild geht um die Welt: General Jaruzelski seiner Rede zur Nation, als er auf Druck der Russen  das Kriegsrecht am 13. Dezember 1981 ausrief.


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